Wann ist bei der Überlassung von Aktien an Arbeitnehmer der geldwerte Vorteil zugeflossen? Wie wird das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil übertragen?
Nach dem BFH hängt das vom Inhalt der Vereinbarung ab, die bestimmt, wann die wesentlichen Rechte ausgeübt und durchgesetzt werden können. Die Richter äußerten sich auch zu den Folgen eines unwirksamen Rechtsgeschäfts.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 26.08.2020 (VI R 6/18) dazu Stellung genommen, wann beim Verkauf von Aktien, welche im wirtschaftlichen Eigentum stehen, der Zufluss anzunehmen ist.
Sachverhalt im Besprechungsfall
Der Kläger A war leitender Angestellter der X AG. Das Grundkapital der X AG bestand aus vinkulierten Namensaktien. Für die unternehmensprägende Mitarbeit während der Gründungs- und Aufbauphase sollte A u.a. 50.000 Namensaktien der X AG erhalten. Hierzu hatte die X AG A zunächst 28.000 Aktien aus eigenem Bestand übertragen.
Im folgenden Jahr schloss die X AG mit dem Vorstandsmitglied G eine Vereinbarung über die Abtretung von 22.000 Aktien an der X AG zum Preis von 13,50 € je Aktie, welche an A abgetreten werden sollten. Vor dem Vertragsschluss hatte die Rechtsabteilung der X AG A mitgeteilt, dass er nunmehr 50.000 Aktien an der X AG halte. Eine korrigierte Stimmkarte werde ihm am Tag der Hauptversammlung übergeben.
Im Aktienregister wurde der Abgang der Aktien bei G mit dem Zusatz: „Aktienübertrag gem. Vereinbarung“ vermerkt. Später erfolgte die Eintragung des A als Inhaber von 50.000 Aktien in das Aktienregister. In der Folgezeit bot A den übrigen Gesellschaftern der X AG einen Teil dieser Aktien (10.000 Stück) zu einem Preis von 15,50 € je Aktie zum Kauf an.
Zu einer Veräußerung kam es jedoch nicht. In seiner Einkommensteuererklärung machte A zu den 22.000 Aktien keine Angaben. Das Finanzamt ging davon aus, dass A die 22.000 Aktien erworben habe, welche als steuerbarer Sachbezug zu erfassen seien, und zwar zu einem geschätzten Stückpreis von 13,50 € je Aktie, mithin 297.000 €.
Einspruch und Klage blieben erfolglos; der BFH folgte dem nicht.
Zufluss der Aktien
Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer tatsächlich zufließt.
Nur zugeflossener Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer. Arbeitslohn ist mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen. Bei einem Aktienerwerb ist das der Zeitpunkt, zu dem der Anspruch des Arbeitnehmers auf Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Aktien erfüllt wird und zu dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das zivilrechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an den versprochenen Aktien verschafft.
Das zivilrechtliche Eigentum an unverbrieften (Namens-)Aktien geht durch schuldrechtliche Vereinbarung und Übertragung durch Indossament oder – wie Forderungen – durch formlose Abtretungsvereinbarung auf den Erwerber über.
Die Übertragung vinkulierter Aktien bedarf zusätzlich der Zustimmung der Gesellschaft. Wird aber die Einwilligung verweigert, ist die Übertragung von vornherein unwirksam.
Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums
Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht auf einen Erwerber über, wenn dieser aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position (Anwartschaftsrecht) erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.
Danach erlangt wirtschaftliches Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil, wer nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte, insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann.
Entscheidung im Besprechungsfall
Für die Verschaffung des zivilrechtlichen Eigentums fehlt es dem BFH bereits an der Feststellung, dass die Aktien durch Indossament oder durch Abtretung auf A übertragen worden sind. Aus der Vereinbarung zwischen der X AG und G lässt sich die Abtretung der Aktien an A nicht ableiten.
Denn Inhalt der Vereinbarung ist lediglich die schuldrechtliche Verpflichtung des G, 22.000 Aktien an A zur Erfüllung der der X AG obliegenden Verpflichtung abzutreten. Ebenfalls fehlt es dem BFH an Feststellungen, ob und zu welchem Zeitpunkt A zumindest wirtschaftliches Eigentum an den streitbefangenen Aktien erlangt hat.
Feststellungen zu dem Vorliegen eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts zwischen der X AG und A, aufgrund dessen dieser eine rechtlich geschützte Position auf den Erwerb der Aktien erworben hatte, welche ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden konnte, hatte das Finanzgericht (FG) nicht getroffen.
Die Vereinbarung und der E-Mail-Verkehr, insbesondere mit den darin dokumentierten Verkaufsbemühungen des A, lassen zwar den Schluss zu, dass die X AG sich gegenüber A bereits früher (schuldrechtlich) verpflichtet hatte, diesem insgesamt 50.000 Aktien zu übertragen. Da die X AG über die 22.000 Aktien zum Zeitpunkt dieser Verpflichtung aber noch nicht verfügen konnte, kann allein durch diese frühere Verpflichtung unter keinen Umständen wirtschaftliches Eigentum an den Aktien auf A übertragen worden sein.
Ob und inwieweit die X AG und A bezüglich der streitgegenständlichen Aktien eine weitere schuldrechtliche Vereinbarung getroffen haben, hat das FG nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass sich A offensichtlich mit Billigung der X AG und des G als Eigentümer der Aktien geriert hat, rechtfertigt ohne Feststellung eines konkreten Vertragsverhältnisses nicht den Schluss, das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien sei auf ihn übergegangen.
Auch die Eintragungen im Aktienregister lassen einen derartigen Schluss nicht zu. Denn die Eintragung in das Aktienregister vermittelt keine materielle Berechtigung – Inhaberschaft der Aktie –, die Grundlage eines Anwartschaftsrechts sein könnte.
Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 AO ist für die Besteuerung unerheblich, wenn ein Rechtsgeschäft unwirksam ist oder es unwirksam wird, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten und bestehen lassen wollen.
Diese Vorschrift setzt aber immer ein (unwirksames, aber gleichwohl steuerwirksames) Rechtsgeschäft voraus. Der Anwendungsbereich der Norm ist mithin nicht eröffnet, wenn es überhaupt, wie im Besprechungsfall, an einem Rechtsgeschäft fehlt. Für den BFH war die Sache nicht spruchreif und daher an das FG zurückzuverweisen.
Praxishinweis: Der BFH hat mit dieser Entscheidung seine Grundsätze zum wirtschaftlichen Eigentum an Aktien konkretisiert: Wirtschaftliches Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil erlangt jener, wer nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte, insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann. § 41 Abs. 1 Satz 1 AO ist auch bei der Zurechnung von Wirtschaftsgütern im Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 AO zu beachten. Voraussetzung ist aber immer das Vorliegen eines unwirksamen Erwerbsgeschäfts. Insoweit herrscht nun Rechtssicherheit.
BFH, Urt. v. 26.08.2020 - VI R 6/18
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht