Laut § 175 I Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, aufzuheben oder zu erlassen, wenn ein Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Das klingt erst ein Mal einfach, doch in der Praxis ergeben sich häufig Probleme bei der Einschätzung, ob ein Grundlagenbescheid vorliegt. Im folgenden geben wir Ihnen Lösungen für Ihre Fragen rund um § 175 AO.
Von Steuerberater Marian Schildhorn, LL.B.
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Tatbestandsvoraussetzungen § 175 AO
Folgende Tatbestandsvoraussetzungen müssen für die Änderung, Aufhebung oder Erlass eines Steuerbescheids gemäß § 175 AO vorliegen:
- ein Grundlagenbescheid wird erlassen, aufgehoben oder geändert, § 175 I Nr. 1 AO, oder
- ein rückwirkendes Ereignis tritt zu Tage, § 175 I Nr. 2 AO
Schauen wir uns nun den Änderungsgrund Grundlagenbescheid genauer an: Wann liegt ein Grundlagenbescheid vor und was sind die Rechtsfolgen?
Tipp: Sie haben bereits konkrete Fragen rund um § 175 AO? Schauen Sie sich hier unsere Beispielgutachten an (dort wird teilweise auch das „rückwirkende Ereignis“ thematisiert):
Rückwirkendes Ereignis nach § 175 AO bei übersehener Pauschalversteuerung?
Pflichtteilsanspruch als rückwirkendes Ereignis?
Festsetzungsverjährung bei Grundlagenbescheiden
Festsetzungsfrist Grundlagenbescheid
Behindertenausweis als rückwirkendes Ereignis?
Änderung gesonderte Feststellung gem. § 10b EStG nach § 129 AO
1. Änderungsgrund, § 175 I Nr. 1 AO
Die genaue Tatbestandsvoraussetzung lautet: Ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für den zu ändernden, zu erlassenden oder aufzuhebenden Steuerbescheid zukommt, wird geändert, erlassen oder aufgehoben.
Der Grund für die Änderung auf Grund eines Grundlagenbescheids ist das mehrstufige Steuerverwaltungsverfahren. In manchen Anwendungsbereichen sind mehrere Verwaltungsakte dergestalt untrennbar verbunden, dass die Änderung eines Bescheides unmittelbare Bindung für einen anderen Bescheid entfaltet. Dies ist Ausdruck eines mehrstufigen Verfahrens, das in manchen Anwendungsbereichen der Abgabenordnung 1977 zur Anwendung kommt.
2. Grundlagenbescheid
Die Legaldefinition des Grundlagenbescheids ergibt sich aus § 171 X AO. Dieser ist ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt, soweit er für die Festsetzung einer Steuer bindend ist.
Für passende Beispielgutachten hier klicken: Festsetzungsverjährung bei Grundlagenbescheiden und Festsetzungsfrist Grundlagenbescheid
a) Feststellungsbescheid, Steuermessbescheid
aa) Diese sind Teil des mehrstufigen Verfahrens, in dem die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden, § 157 II AO. Diese sind Bescheide gem. § 179 I AO, § 184 I S. 3 AO, die kraft Gesetzes mit punktueller Bindungswirkung ausgestattet sind.
bb) Charakterlich sind die Feststellungsbescheide und Steuermessbescheide Verfahrensgegenstand eines eigenen selbständigen Verfahrens, auf die – als den Steuerbescheiden gleichgestellten Bescheiden – die Anwendungsbereiche des §§ 172 ff. AO und §§ 347 ff. AO ebenfalls anwendbar sind.
cc) Die Rechtsschutzmöglichkeiten der Folgebescheide sind hinsichtlich der im Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungsgegenstände vollständig eingeschränkt und können nur durch Anfechtung oder Änderungsantrag des Grundlagenbescheids gewahrt werden, § 351 II AO.
Beispiele:
- Gesonderte und einheitliche Feststellung gem. §§ 179, 180 I AO
- Einheitswertbescheide
- Entscheidung gem. § 18 I S. 1 AStG
- Steuermessbescheid für die Grund – und Gewerbesteuer
Keine Grundlagenbescheide:
Gewerbesteuermessbescheide im Verhältnis zum Einkommensteuer – und Körperschaftsteuerbescheid
b) andere Verwaltungsakte
Auch andere Verwaltungsakte können Grundlagenbescheide sein, wenn sie Entscheidungen treffen, die für die Festsetzung einer Steuer verbindlich sind. Dazu gehören auch Verwaltungsakte von anderen Behörden, die nicht Finanzbehörden sind.
Beispiele:
- Bescheinigung der Denkmalbehörde nach § 7i EStG
- Bescheinigung der Baubehörde nach § 7h EStG
3. Rechtsfolge
a) Anpassungspflicht
Soweit ein Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird, der Bindungswirkung für einen Steuerbescheid hat, ist dieser entsprechend zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern. Das Finanzamt hat die Rechtswidrigkeit zu beseitigen, die im Regelungsbereich des Folgebescheids infolge der Bindungswirkung und Abhängigkeit von einem Grundlagenbescheid entstanden ist. Dies erfolgt durch einen Erlass, einer Aufhebung oder einer Änderung nach § 175 I S. 1 Nr. 1 AO.
b) Art und Umfang
Der Änderungsgrund ist von der Art und dem Umfang beschränkt. Nur soweit vom Erlass, von der Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheids für den Folgebescheid verbindliche Feststellungen betroffen sind, darf bzw. muss unter Durchbrechung der Bestandskraft korrigiert werden. Vom Umfang ist von § 175 I S. 1 Nr. 1 AO daher nicht abgedeckt:
Die Richtigstellung von Anpassungsfehlern, sofern keine andere Korrekturnorm erfüllt ist. In diesem Zusammenhang ist die Gegenrechnung nach § 177 AO ganz besonders hervorzuheben.
Für passende Beispielgutachten hier klicken: Änderungsvorschriften AO und Wegfall von Verlustvorträgen nach Festfestungsverjährung
c) Frist
Die Anpassungspflicht ist zeitlich gem. § 171 X S. 1 AO modifiziert. Darin ruht eine Ablaufhemmung, nach der auch der Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist unmaßgeblich ist. Dies gilt jedoch nicht für Grundlagenbescheide einer ressortfremden Behörde. Die Ablaufhemmung tritt nur dann zu Tage, wenn der Grundlagenbescheid vor Ablauf der für die jeweils betroffene Steuer geltenden Festsetzungsfrist erlassen wird. Die Anpassungsfrist beträgt aber einheitlich zwei Jahre.
Weiterführender Hinweis: Im folgenden Beitrag haben wir für Sie zahlreiche Praxis-Beispiele rund um § 175 AO zusammengestellt – Klicken Sie hier und lesen Sie jetzt weiter!