Ist gegen eine Steuerfestsetzung ein weiterer Einspruch möglich, wenn das Finanzamt vor Ablauf der Einspruchsfrist bereits eine (teilweise) Einspruchsentscheidung gefällt hat? In einem aktuellen Urteil verneint der BFH diese Frage und begründet dies mit den Rechtsfolgen des Einspruchsverfahrens: Ursprünglicher Verwaltungsakt und Einspruchsentscheidung bilden demnach eine Verfahrenseinheit.
Ein Steuerpflichtiger machte in seiner Einkommensteuererklärung 2011 ca. 12.000 € Reisekosten geltend. Das Finanzamt erkannte aber nur 80 % als Werbungskosten an und erließ am 04.06.2012 den Einkommensteuerbescheid mit 7.000 € Steuerschuld.
Der Steuerpflichtige legte gegen den Bescheid - vertreten durch seinen Steuerberater - rechtzeitig Einspruch ein und begehrte, die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen nicht um die zumutbare Eigenbelastung zu kürzen, weil die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung vor mehreren Finanzgerichten bestritten sei. Das Finanzamt wies bereits am 21.06.2012 den eingelegten Einspruch zurück und führte dazu aus, dass keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung vorlägen.
Im Übrigen stellte das Finanzamt das Einspruchsverfahren ruhend. Daraufhin legte der Steuerpflichtige am 06.07.2012 erneut Einspruch gegen den Steuerbescheid vom 04.06.2012 ein. Er reichte aber erst im September 2012 die Einspruchsbegründung nach und beantragte die Anerkennung der Reisekosten in voller Höhe. Das Finanzamt verwarf diesen zweiten Einspruch als unzulässig. Das Finanzgericht wies die anschließend erhobene Klage zurück.
So begründet der BFH seine Entscheidung
Die eingelegte Revision wurde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen. Er entschied mit Urteil vom 18.09.2014, dass gegen einen steuerlichen Sachverhalt innerhalb der Einspruchsfrist nicht zweimal Einspruch eingelegt werden könne. Der BFH begründete seine Entscheidung damit, dass gegen eine wirksame Einspruchsentscheidung nur die Klage zulässig sei.
Aufgrund des abgeschlossenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens liegen nunmehr zwei Verwaltungsakte vor: der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid vom 04.06.2012 und die (Teil-)Einspruchsentscheidung, was auch von der einschlägigen Steuerrechtsliteratur anerkannt wird. Mit der Einspruchsentscheidung beschließt die Finanzbehörde über den Fortbestand des angefochtenen Verwaltungsakts.
Gegen einen Steuerbescheid/Verwaltungsakt ist nur einmal ein Einspruch zulässig
Verfahrensrechtlich bildet der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid mit der Einspruchsentscheidung jedoch einen Rechtsverbund, der in Form der Einspruchsentscheidung Eingang in das finanzgerichtliche Verfahren findet (§ 44 Abs. 2 FGO). Daraus ergibt sich, dass die Einspruchsentscheidung nicht nochmals mit einem Einspruch angefochten werden kann. Auch eine weitere isolierte Anfechtung ist nach Erlass der Einspruchsentscheidung nicht möglich, denn ein Nebeneinander von Einspruchsentscheidung und Klage bezüglich desselben Verwaltungsakts ist ebenfalls nicht zulässig.
Durch die Einspruchsentscheidung erhält der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid eine andere Gestalt. Infolgedessen existiert der ursprüngliche Verwaltungsakt nicht mehr und kann somit auch nicht mehr mit dem Einspruch angefochten werden, auch wenn der „erneute Einspruch“ innerhalb der ursprünglichen Einspruchsfrist erfolgte. Die Einspruchsentscheidung brachte das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 zum Abschluss. Ein weiterer Einspruch ist nicht mehr zulässig.
Keine Auslegung des zweiten Einspruchsschreibens als Klage
Selbst wenn man der Ansicht folgt, das (erneute) Rechtsschutzbegehren des Steuerpflichtigen müsse dahingehend ausgelegt werden, den wirklichen Willen des Erklärenden gem. § 133 BGB und Art. 19 Abs. 4 GG zu erforschen, war das ans Finanzamt gerichtete Schreiben vom 06.07.2012 keine Klage, denn der Steuerpflichtige verwies darin lediglich auf die nachgereichte Begründung, ohne den Willen zur gerichtlichen Begründung darzulegen.
Keine schlichte Änderung
Im ersten Einspruchsschreiben ist keine schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a i.V.m. Sätzen 2 und 3 AO zu sehen, denn es wurde kein konkretes Änderungsbegehren zum Ausdruck gebracht - so der BFH. Erst mit seiner nachgereichten Einspruchsbegründung vom September gegen den Bescheid sei ein bestimmbares Änderungsbegehren des Steuerpflichtigen erkennbar gewesen. Insoweit ist die BFH-Entscheidung jedoch nicht nachvollziehbar, weil der Steuerpflichtige mit seinem ersten Einspruch ganz klar die Nichtanrechnung einer zumutbaren Eigenbelastung und somit die Verminderung der Steuerschuld wünschte, was durchaus als bestimmbares Änderungsbegehren anzusehen ist.
Praxishinweis: Steuerpflichtigen, die über einen zweiten Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist weitere Änderungswünsche beim Finanzamt begehren, sollten dies als „Nachtrag zum Einspruch vom ….“ geltend machen, aber noch bevor eine Einspruchsentscheidung ergangen ist. Wenn das Finanzamt die Einspruchsentscheidung schon erlassen hat, ist dem Steuerpflichtigen zu empfehlen, gegen den beteiligten Steuerberater wegen eines Haftungsfalls/einer Verletzung des Beratungsvertrags vorzugehen. Der Steuerberater müsste nämlich den Steuerbescheid vollumfänglich prüfen und Abweichungen von der eingereichten Erklärung mit wirksamem Einspruch sofort verfolgen.
BFH, Urt. v. 18.09.2014 - VI R 80/13
Rechtsanwalt und Dipl.-Finanzwirt Horst Schirrmann