Widerspricht der Zinssatz von 6 % pro Jahr für Steuernachzahlungen dem Grundgesetz? Der BFH hat entschieden, dass dieser Zinssatz zumindest für das Streitjahr 2013 verfassungsgemäß ist - trotz des allgemein niedrigen Zinsniveaus.
Auch ein Erlass festgesetzter Zinsen scheidet demnach aus. Mit den umstrittenen Nachzahlungszinsen könnte sich aber noch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, ob der in der AO vorgesehene Zinssatz von 6 % p.a. in einer Niedrigzinsphase – im Entscheidungsfall im Jahr 2013 – verfassungsgemäß ist.
Der klagende Steuerpflichtige erhielt im Veranlagungszeitraum 2011 eine Sonderzahlung, die zunächst vom Finanzamt (FA) den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugeordnet wurden. Auf dieser Grundlage wurden die Vorauszahlungen festgesetzt.
Bei Abgabe der Steuererklärung für 2011 ordnete der Steuerpflichtige, nachdem er gegen die Einordnung der Zahlung durch das FA erfolgreich ein Einspruchsverfahren geführt hatte, die Zahlung zutreffend den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu.
Dadurch kam es zu einer Steuernachzahlung verbunden mit Nachzahlungszinsen i.H.v. 6 % p.a. Der Steuerpflichtige legte gegen die Zinsfestsetzung Einspruch ein und beantragte hilfsweise deren Erlass. Das FA bewilligte daraufhin den Erlass eines Teilbetrags. Der Steuerpflichtige hielt den erlassenen Betrag für zu gering und erhob Klage. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, der BFH folgte dem FG.
Möglicher Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
Im Steuerrecht hat der Gesetzgeber bezüglich des allgemeinen Gleichheitssatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Dies ist darin begründet, dass Steuergesetze i.d.R. Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen sowie Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des Einzelfalls vernachlässigen müssen.
Aus Sicht des BFH sind die verfassungsrechtlichen Grenzen, die sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben, nicht überschritten. Die Zinsen betragen für jeden Monat 0,5 %. Die mit der typisierten Festsetzung der Nachzahlungszinsen verbundene unterschiedliche Behandlung von zinszahlungspflichtigen und nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern stuft der BFH als verfassungsrechtlich unbedenklich ein.
Die Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zwar jeweils spätestens zum Jahresende entstehen, aber zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig werden.
Die Vorschrift beruht insoweit auf der – laut BFH - zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil hat.
Zudem hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) insbesondere gebilligt, dass die Zinsregelung grundsätzlich unabhängig davon greift, aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist sowie ob und inwiefern der Liquiditätsvorteil tatsächlich genutzt wurde.
Insbesondere sieht der BFH keinen Gleichheitsverstoß darin, dass Steuerpflichtige, deren Steuer in der 15-monatigen Karenzzeit richtig festgesetzt wird, anders behandelt würden als Steuerpflichtige, denen das FA nach Ablauf der Karenzzeit eine Nachzahlungsverpflichtung auferlegt.
Denn die gesetzlich festgelegte Zinshöhe findet nur auf Fälle Anwendung, in denen dem Grunde nach eine Zinspflicht besteht. Bei der Gruppe der Steuerpflichtigen, deren Steuer in der 15-monatigen Karenzzeit richtig festgesetzt wird, besteht aber bereits dem Grunde nach keine gesetzliche Zinspflicht, so dass es bereits an einer Vergleichbarkeit dieser beiden Gruppen fehlt.
Möglicher Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Dem BFH zufolge verstößt die Zinshöhe auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Bei dieser Einschätzung stützt sich der BFH zunächst auf eine Entscheidung des BVerfG von 2009: Der vom Gesetzgeber auf 0,5 % pro Monat festgesetzte Zinssatz sei rechtsstaatlich unbedenklich und verstoße insbesondere nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot.
Maßgebend für diese Einschätzung war die Absicht des Gesetzgebers, den konkreten Zinsvorteil bzw. -nachteil für den Einzelfall nicht ermitteln zu müssen sowie eine Regelung zu schaffen, die der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung dient.
Zulässig ist danach auch, eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder den Basiszinssatz nach § 247 BGB im Hinblick auf deren Schwankungen zu unterlassen, weil eine solche Anpassung mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden ist.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Zinssatz sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Steuerpflichtigen gilt. Der BFH hat ferner einen Vergleich mit dem allgemeinen Zinsniveau am Markt im Jahr der Veranlagung (2013) vorgenommen.
Ergebnis:
Für den BFH bewegt sich der Zinssatz auch im Zinszeitraum 2013 nach wie vor innerhalb der Bandbreite realitätsnaher Referenzwerte. Auch der Umstand, dass Nachzahlungszinsen nicht abzugsfähig sind, während Erstattungszinsen der Versteuerung unterliegen, berührt aus Sicht des BFH nicht die Recht- oder Verfassungsmäßigkeit der streitigen Zinsfestsetzung.
Weiterhin ist laut BFH zu berücksichtigen, dass eine Verzinsungspflicht im Gegensatz zum Kapitalmarkt nicht bereits mit Entstehung der Schuld, sondern erst nach Ablauf der 15-monatigen Karenzzeit beginnt.
Damit werden etwaige Belastungsfolgen der Verzinsungsregelung im Hinblick auf die absolute Höhe der festgesetzten Zinsen abgemildert. Den gleichen Effekt hat überdies, dass angefangene Monate bei der Zinsberechnung außer Betracht bleiben (§ 238 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 AO) und auf eine Zinseszinsregelung verzichtet wurde.
Erlass der Zinsen Für den BFH scheidet schließlich auch ein Erlass der festgesetzten Zinsen aus. Die geleistete freiwillige Zahlung führt nicht zwingend dazu, dass die festgesetzten Nachzahlungszinsen in vollem oder zumindest tagesgenauem Umfang erlassen werden müssen.
Zudem ist die Verzinsung nach § 233a AO grundsätzlich nicht davon abhängig, ob den Steuerpflichtigen oder das FA ein Verschulden an der verzögerten Festsetzung trifft. Der mögliche Zinsvorteil des Steuerpflichtigen soll unabhängig davon abgeschöpft werden, aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist sowie ob und inwiefern Liquiditätsvorteile tatsächlich genutzt wurden.
Praxishinweis: Die Entscheidung des BFH folgt der Begründung des BVerfG von 2009 und legt nachvollziehbar dar, dass sich daran für das Jahr 2013 nichts geändert hat. Darüber lässt sich sicherlich streiten, gleichwohl herrscht insoweit Rechtssicherheit – es sei denn, der klagende Steuerpflichtige erhebt Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH. Aufgrund dieser Entscheidung kann nun die Verzinsung der Steuerfestsetzung eingeschätzt werden: Zum einen sind die Zinsen mit 6 % p.a. zu berechnen, zum anderen scheidet ein Erlass grundsätzlich aus.
BFH, Urt. v. 09.11.2017 - III R 10/16
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht