Corona-Krise und Änderungen im Insolvenzrecht: Das müssen Sie wissen!

Am 25. März 2020 hat der Bundestag das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG) einstimmig angenommen.

Die wichtigsten Inhalte werden hier erläutert.

– Von StB Prof. Dr. Volker Mayer, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Bilanz- und Steuerrecht an der TH Köln

1. Die Inhalte des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes (COVInsAG) im Überblick

Das Gesetz enthält neben den Änderungen zur Insolvenzantragspflicht und der Haftung für verbotene Auszahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife einen wichtigen Schutz bestimmter Transaktionen vor Insolvenzanfechtung.

Daneben regelt es Erleichterungen bei der Corporate Governance von Aktiengesellschaften (unter anderem Online-Hauptverhandlungen), Genossenschaften und Vereinen, es verstärkt den Schutz von Schuldnern im Rahmen von Miet- und Darlehensverträgen und gewährt Verbrauchern und Kleinstunternehmen Leistungsverweigerungsrechte, wenn ihnen infolge der Covid-19-Pandemie die Leistung unmöglich oder unzumutbar geworden ist (ausführlich Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, S. 633; Thole, ZIP 2020, S. 650).

Die zentrale Vorschrift in Artikel 1 § 1 des COVInsAG lautet:

„Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und nach § 42 Absatz 2 BGB ist bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Dies gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2 (COVID-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.“

2. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Die Insolvenzantragspflicht ist damit de facto für alle bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Sie greift zwar formal (nur) dann nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder generell keine Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen.

Allerdings gilt eine Vermutung, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Wer demnach also nicht bereits seit Ende 2019 in der Insolvenzverschleppung ist, braucht bis zum Herbst keinen Insolvenzantrag zu stellen.

Von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sind alle Insolvenzgründe umfasst. Sie gilt sowohl für Zahlungsunfähigkeit wie auch für Überschuldung.

Die Vermutungsregel, dass die Insolvenzreife auf der COVID-19-Pandemie beruht, knüpft zwar nur an die Zahlungsunfähigkeit an. Sie ist als Anknüpfungsmoment auch besser geeignet und kann im Vergleich zur insolvenzrechtlichen Überschuldung relativ leicht (auch rückblickend) dargelegt werden. Vor allem aber bedeutet das, dass Ende 2019 auch nur(!) die Zahlungsfähigkeit gegeben zu sein brauchte, um jetzt von der Antragspflicht entbunden zu sein

Praxistipp: Also selbst wer die letzten Monate wegen bereits bestehender Überschuldung in der Insolvenzverschleppung war, hat jetzt ein Moratorium bis Herbst, vorausgesetzt, seine Zahlungsfähigkeit war bisher davon unberührt geblieben.

Unerheblich ist insbesondere, was eine jetzige Insolvenzreife auslöst. In den meisten Fällen wird von vornherein gar nicht eindeutig feststellbar sein, ob sie auf der COVID-19-Pandemie beruht. Umsatzrückgänge, Zahlungsausfälle oder Auftragsstornierungen können je nach Unternehmen und Branche mehr oder weniger deutlich Folge der Pandemie sein oder auf eine seit längerem bestehende Schieflage hinweisen.

Hinweis: So klagte etwa die Automobilindustrie schon vor dem ersten Auftreten des Virus über erhebliche Einbrüche der Verkaufszahlen in China und manche jetzt insolvente Systemgastronomie krankte laut Zeitungsberichten seit Jahren an Missmanagement. Bei anderen liegt dagegen auf der Hand, dass fortlaufende Fixkosten etwa für die Ladenmiete bei ausbleibenden Gästen bzw. Kunden nicht lange gutgehen können. Überall hier hilft die Vermutungsregelung weiter. Ganz gleich, ob es sich um direkte oder indirekte Folgen der Corona-Krise handelt.

3. Keine Zahlungsverbote zur Rettung des Betriebes

In Artikel 1 § 2 Nr. 1 regelt das COVInsAG die Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Danach

„gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne der § 64 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 92 Absatz 2 Satz 2 des Aktiengesetzes, § 130a Absatz 1 Satz 2, auch in Verbindung mit § 177a Satz 1, des Handelsgesetzbuchs und § 99 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes vereinbar“.

Mindestens genauso wichtig wie die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht selbst ist, dass die Zahlungsverbote, nach denen Geschäftsführer für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife persönlich haften, zwar nicht grundsätzlich aufgehoben sind, aber doch erheblich gelockert wurden.

Liegen die Voraussetzungen vor, nach denen die Insolvenzantragspflicht vorerst ausgesetzt ist, darf der Betrieb auch weitergeführt werden.

Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, gelten dann als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar und lösen keine Haftung des Geschäftsleiters aus.

4. Insolvenzanfechtung teilweise ausgeschlossen

Geknüpft an die Voraussetzungen, nach denen die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist, wird schließlich auch die Insolvenzanfechtung durch einen eventuellen späteren Insolvenzverwalter nach der Krise teilweise ausgeschlossen.

Gemäß Artikel 1 § 2 Nr. 2 COVInsAG

„gilt die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend; dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht aber deren Besicherung; § 39 Absatz 1 Nummer 5 und § 44a der Insolvenzordnung finden insoweit in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, die bis zum 30. September 2023 beantragt wurden, keine Anwendung“.

Praxistipp: Das Gläubiger-Risiko, bereits als Darlehenstilgung erhaltene Beträge zur Masse zurückzahlen zu müssen, wird damit weitgehend ausgeschlossen. Werden bis zum 30. September 2023 Kredite zurückgeführt die von Dritten oder auch von Gesellschaftern im Aussetzungszeitraum gewährt wurden, gilt die Rückzahlung von vornherein als nicht gläubigerbenachteiligend und kann nicht angefochten werden. Gleiches gilt für die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite. In dieser Übergangszeit sind weder die Kreditgewährung noch die Besicherung als sittenwidrig anzusehen.

Auch die Rückführung von Gesellschafterdarlehen genießt damit Schutz vor späterer Anfechtung. § 39 Abs. 1 Nr. 5 und § 44a InsO finden insoweit in Insolvenzverfahren, die bis zum 30. September 2023 beantragt werden, keine Anwendung.

Zusätzlich zu den Darlehensrückführungen sind nach Artikel 1 § 2 Nr. 4 COVInsAG auch

„Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Entsprechendes gilt entsprechend für

a) Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber;

b) Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners;

c) die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist;

d) die Verkürzung von Zahlungszielen und

e) die Gewährung von Zahlungserleichterungen.“

Damit sind auch alle kongruenten Rechtshandlungen – und zwar unabhängig davon, ob sie im Zusammenhang mit einer Darlehensgewährung stehen – in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; eine Ausnahme gilt nur für Fälle, in denen der Anfechtungsgegner wusste, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Hierfür bleibt die Anwendbarkeit des § 130 InsO erhalten.

Insoweit unanfechtbar sind auch Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners, die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist sowie die Verkürzung von Zahlungszielen und die Gewährung von Zahlungserleichterungen.

Damit nimmt die Aufzählung der Buchstaben a) bis e) auch bestimmte sog. inkongruente Leistungen von der Anfechtung aus, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Insolvenzgläubiger eigentlich eine Sicherung oder Befriedigung erhält, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (§ 131 InsO).

5. Empfohlene Dokumentation zur Beweissicherung

Die jetzt erlassenen Regelungen zum Krisenmanagement sind nicht ganz neu. Vergleichbare Maßnahmen traten bereits 2013 und 2016 in Kraft und geben daher eine gewisse Sicherheit im Umgang durch die Gerichte:

 „§ 1 [Aussetzung der Insolvenzantragspflicht]

Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe im Mai und Juni 2013, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013.“

 „§ 1 [Aussetzung der Insolvenzantragspflicht]

Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle und Hochwasser im Mai und Juni 2016, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2016.“

Praxistipp: Soweit sich der Wortlaut der neuen Regelung an den Gesetzesregelungen aus 2013 und 2016 orientiert, sollten die Unternehmen darauf achten, die Kausalität der COVID-19 Epidemie für den Eintritt der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zu belegen und zu dokumentieren, um den erforderlichen Nachweis erbringen zu können, dass die Antragspflicht auch im konkreten Fall ausgesetzt ist. So sollte die Geschäftsführung, um von einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Zahlungsverbotes zu profitieren, mindestens nachweisen können:

(1) kein Vorlegen der Zahlungsunfähigkeit vor dem Stichtag,

(2) ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsbemühungen,

(3) begründete Aussichten auf Sanierung,

(4) nach Insolvenzreife zu tätigende Zahlungen dienen der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes.

Gesetzestext im Volltext hier aufrufen: Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 24.3.2020 (BT-Drucksache 19/18110)

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