Mit Beschluss vom 27.09.2012 - II R 9/11 (BStBl II 2012, 899) hatte der BFH dem BVerfG die geltenden Regelungen des ErbStG wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zur Entscheidung vorgelegt. Auslöser für die Vorlage waren die umfangreichen Vergünstigungen beim Erwerb unternehmerischen Vermögens.
Nun hat das BVerfG die Regelungen des ErbStG zur Begünstigung von Betriebsvermögen in weiten Teilen als unvereinbar mit dem GG erklärt (BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 - 1 BvL 21/12).
Die beanstandeten Teile der §§ 13a, 13b ErbStG müssen verfassungsgerecht ausgestaltet werden. Hierfür wurde dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30.06.2016 gesetzt. Bis dahin gilt grundsätzlich das bisherige Recht weiter.
Rechtliche Hintergründe und Ausgangsverfahren
- Nach §§ 13a und 13b ErbStG bleiben 85 % (Regelverschonung) oder 100 % (Optionsverschonung) des Werts von Betriebsvermögen, von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von bestimmten Anteilen an Kapitalgesellschaften außer Ansatz, wenn die im Gesetz hierfür vorgesehenen weiteren Voraussetzungen erfüllt werden. Die Verschonungsregelung führt zu Ungleichbehandlungen der Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens, die ein enormes Ausmaß erreichen können.
- Bedingung ist insbesondere die Einhaltung von Behaltensfristen (fünf bzw. sieben Jahre) und bei Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern die Beibehaltung der Lohnsummen für fünf bzw. sieben Jahre. Bei Verstoß gegen Lohnsummen- und Behaltensregelungen droht ein anteiliger bzw. der gesamte Wegfall der Begünstigungen.
- Der BFH hat im Vorlagenbeschluss vielfältige Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen der Begünstigungsregeln festgestellt. Er hält die hohen Verschonungsabschläge von 85 % bzw. 100 % für nicht ausreichend gerechtfertigt und die Regelungen für in hohem Maße gestaltungsanfällig. Beanstandet wurde auch die Lohnsummenregelung - insbesondere, da sie erst bei Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern greift. Durch das Zusammenwirken der verschiedenen gleichheitswidrigen Regelungen entsteht nach Ansicht des BFH außerdem insgesamt ein Begünstigungsüberhang. Die Besteuerung von Betriebsvermögensübergängen stellt eher die Ausnahme als die Regel dar.
Das Urteil des BVerfG vom 17.12.2014
1. Zulässigkeit der Vorlage
Das BVerfG sieht die Vorlage des BFH im Rahmen des Normenkontrollverfahrens als zulässig an. Auch wenn im ursprünglichen Beschlussfall die Begünstigung für Betriebsvermögen keine Rolle gespielt hat, ist die Frage dennoch entscheidungsrelevant, da durch die Zweifel des BFH das ErbStG insgesamt in Frage gestellt wird. Die Zulässigkeit einer Vorlage beim BVerfG ist nicht unbedingt selbstverständlich, oft scheitern Vorlagen schon allein an formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen.
2. Gleichheitswidrigkeit der Verschonungsregelungen
Entgegen der Auffassung des BFH sieht das BVerfG die geltenden Verschonungsregelungen grundsätzlich als eine verfassungskonforme Möglichkeit der Entlastung an. Bei der Neuregelung der erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Begünstigung betrieblichen Vermögens durch das ErbStRG v. 24.12.2008 (BGBl I 2008, 3018) ließ sich der Gesetzgeber davon leiten, dass Betriebsvermögen gegenüber anderen Vermögensarten Besonderheiten aufweise, die eine differenzierte Behandlung im Rahmen der Erbschaftsteuer erforderten. Diese Vermögensart bilde eine Basis für Wertschöpfung und Beschäftigung und für den Erhalt von Arbeitsplätzen (vgl. BT-Drucks. 16/7918, S. 33).
Die Verschonungsregelungen sind auch erforderlich und geeignet, diese Zielsetzungen zu erreichen, da eventuell bestandsgefährdende Liquiditätsprobleme insoweit vermieden werden. Andere Entlastungsmittel - wie die Stundung der Steuer - sieht das BVerfG gegenüber dem Verschonungsabschlag nicht als gleichermaßen geeignet an. Im Prinzip ist aus Sicht des BVerfG auch die 100-%-Verschonung verfassungsrechtlich nicht problematisch, soweit eine zielgenaue Förderung sichergestellt ist. Auch die Behaltensfristen mit einer Dauer von fünf bzw. sieben Jahren sind nach Ansicht des BVerfG grundsätzlich gleichheitskonform ausgestaltet.
Allerdings sind die Verschonungsregelungen unverhältnismäßig und deshalb gleichheitswidrig, wenn sie über die Förderung von kleineren und mittelständischen Unternehmen hinausgehen und keine konkrete Bedürfnisprüfung für größere Unternehmen vorsehen. Wann ein Unternehmen genau als förderungswürdiges, kleines oder mittelständisches Unternehmen anzusehen ist, lässt das BVerfG allerdings offen. Ebenso nennt es keine konkreten Kriterien, wie eine Bedürfnisprüfung verfassungskonform ausgestaltet werden soll. Diese Aufgaben werden im Rahmen einer verfassungskonformen Neuregelung dieser kritischen Punkte dem Gesetzgeber aufgetragen.
3. Verfassungsmäßigkeit der Lohnsummenregelung
Auch die Lohnsummenregelung ist nach Ansicht des BVerfG mit dem GG vereinbar. Als Rechtfertigung für die Regelung gilt die Sozialbindung des betrieblichen Vermögens durch die Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Das BVerfG sieht es jedoch als unverhältnismäßig an, dass Unternehmen mit 20 oder weniger Beschäftigten keiner Lohnsummenkontrolle unterliegen. Zwar hat der Gesetzgeber das Recht, durch die Festlegung pauschaler Grenzwerte zu typisieren.
In diesem Zusammenhang ist auch hinzunehmen, dass es im Rahmen solcher Typisierungen bei einzelnen Personengruppen zu Härtefällen kommt. Allerdings müssen Typisierungen des Gesetzgebers immer auch realitätsgerecht ausgestaltet sein. Gerade an dieser realitätsgerechten Ausgestaltung mangelt es aber bei der Festlegung der 20-Arbeitnehmergrenze. Nach Ansicht des BVerfG ist die Typisierung nicht realitätsgerecht, da Untersuchungen zufolge mehr als 90 % der Unternehmen über weniger als 20 Arbeitnehmer verfügen. Insoweit wird das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis durch die geltende Regelung eher in sein Gegenteil verkehrt. Auch hier hat das BVerfG dem Gesetzgeber aufgetragen, für eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Regelung zu sorgen.
4. Problematik des Verwaltungsvermögens
Eine Voraussetzung für die Regelverschonung ist, dass Unternehmen über nicht mehr als 50 % schädliches Verwaltungsvermögen verfügen. Bei der Optionsverschonung sinkt die Grenze auf nicht mehr als 10 %. Das BVerfG sieht die Systematik der Trennung in begünstigtes Produktivvermögen und schädliches Verwaltungsvermögen zwar als legitime Möglichkeit zur Förderung von tatsächlich produktivem Vermögen an, die hohe 50-%-Grenze hält das Gericht aber nicht für gerechtfertigt und sieht sie als gleichheitswidrig an. Außerdem ist die Regelung nicht geeignet, um missbräuchliche Gestaltungen zu verhindern. Die Regelung wurde in der Vergangenheit mit dem Argument der Verwaltungsvereinfachung begründet. Das BVerfG erkennt diese Rechtfertigung jedoch nicht an.
5. Verfassungswidrigkeit aufgrund von Umgehungsmöglichkeiten
Durch einige bereits im Gesetz angelegte Gestaltungsmöglichkeiten wird nach Auffassung des BVerfG ebenfalls das Gleichheitsgebot in Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Angeführt wird hier die Möglichkeit einer Umgehung der Lohnsummenregelung durch Aufspaltung des Betriebs sowie die Nutzung von Kaskadeneffekten bei Konzernsachverhalten, da die Muttergesellschaft dann schon begünstigt ist, wenn die einzelnen Tochtergesellschaften über nicht mehr als 50 % Verwaltungsvermögen verfügen. Die Schaffung von begünstigten Vermögen durch die Einlage grundsätzlich nicht begünstigter Wirtschaftsgüter in Gesellschaften (sog. Cash-Gesellschaften oder auch Forderungsgesellschaften) hatte das BVerfG hierbei ebenfalls im Fokus.
Hinweis: Im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG vom 26.06.2013 (BGBl I 2013, 1809) wurde der neue § 13b Abs. 2 Nr. 4a ErbStG eingeführt, der die Umwandlung eigentlich nicht begünstigten Vermögens in Betriebsvermögen durch Einbringung in eine Gesellschaft verhindern soll. Zum Verwaltungsvermögen gehört nun auch der Bestand an Zahlungsmitteln, Geschäftsguthaben, Geldforderungen etc., soweit diese saldiert 20 % des Werts des Betriebsvermögens des Betriebs bzw. der Gesellschaft übersteigen. Die Regelung gilt für Übertragungen nach dem 06.06.2013. Für bestimmte Unternehmen, z.B. Kreditinstitute und Finanzierungsgesellschaften, gelten jedoch Ausnahmen. Außerdem wurde die Lohnsummenregelung durch die Einbeziehung von Tochter- und Enkelunternehmen in die Berechnung verschärft.
6. Weitergeltung der bisherigen Regelungen und Auftrag an den Gesetzgeber
Die §§ 13a, 13b ErbStG sind laut BVerfG als verfassungswidrig anzusehen, sowohl in der ursprünglichen Form des ErbStRG vom 24.12.2008 als auch in Form der aktuellen Regelungen. Auch wenn die Normen sich nur auf einzelne Regelungsbereiche beziehen, sind die Vorschriften des ErbStG insgesamt betroffen, da das Gesetz ohne die beanstandeten Teile insgesamt nicht mehr sinnvoll anwendbar ist.
Die derzeitigen Regelungen sollen bis zum 30.06.2016 weitergelten. Bis dahin soll der Gesetzgeber für die beanstandeten Teile verfassungskonforme Ausgestaltungen gefunden haben.
Mögliche Ausgestaltung der erbschaftsteuerlichen Neuregelungen
Für den Gesetzgeber ergibt sich aus dem Urteil die Verpflichtung zur Schaffung verfassungskonformer Neuregelungen der beanstandeten Normen, die die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers zur Begünstigung kleinerer und mittlerer Unternehmen besser abbilden. Ein Merkmal des klassischen Mittelstands ist, dass Kapital oft schnell reinvestiert wird, auch um die Fremdfinanzierungsquote gering zu halten. Dieses Merkmal wäre im Rahmen einer Neuregelung sicherlich zu berücksichtigen. Auch auf die Ausgestaltung der Bedürfnisprüfung darf man gespannt sein.
Denkbar ist, dass die Verschonung nur gewährt wird, wenn andernfalls die Förderziele des Gesetzgebers, insbesondere der Erhalt von Arbeitsplätzen, nicht erreicht werden. Möglich ist auch die Einführung einer Verschonungshöchstgrenze, möglicherweise in Kombination mit Steuerstundungsregelungen. Das BMF hat am Tag der Urteilsverkündung am 17.12.2014 schon darauf hingewiesen, dass sich die gesamtwirtschaftliche Belastung durch die Neuregelungen nicht erhöhen soll.
Dies schließt allerdings eine höhere Belastung für Unternehmenserben nicht unbedingt aus, soweit korrespondierende Entlastungsregelungen im Rahmen des Erwerbs von anderem Vermögen greifen würden. Als extrem unwahrscheinlich dürfte die Möglichkeit gelten, dass der Gesetzgeber dem Beispiel anderer Staaten (z.B. Österreich) folgt und die Erbschaft- und Schenkungsteuer ganz abschafft.
Handlungsempfehlungen bei erbschaftsteuerlichen Mandaten
Obwohl die derzeitigen Vorschriften noch bis zur Neuregelung anwendbar sind, hat der Gesetzgeber laut BVerfG die Möglichkeit, auch rückwirkende Regelungen zu erlassen, um eine „exzessive“ Nutzung der derzeit noch geltenden Normen zu verhindern. Hiermit dürften wohl insbesondere die vom BVerfG kritisierten Gestaltungsmöglichkeiten gemeint sein.
Denkbar ist eine solche Nutzung der geltenden Normen etwa in Konzernfällen im Rahmen von Verwaltungsvermögensgestaltungen oder der Aufspaltung von Unternehmen zur Vermeidung der Lohnsummenkontrolle. Hier sollten die verschiedenen Optionen den Mandanten offengelegt und auf Risiken wie die eventuell verschonungsschädliche Rückwirkung etwaiger Neuregelungen hingewiesen werden.
Für geplante Übertragungen ihrer Mandanten bedeutet das Urteil jedoch keinen Grund zum Zögern. Vieles spricht dafür, dass sich die rechtliche Ausgangssituation durch die Neuregelungen eher verschärfen wird. Entsprechende Übergabeverträge sollten jedoch mit steuerlich anzuerkennenden Widerrufs- und Rücktrittsklauseln verbunden werden, falls sich die Neuregelungen als günstiger erweisen sollten.
Fazit: Dass das BVerfG nur eine Unvereinbarkeit der Begünstigungen mit dem Auftrag an den Gesetzgeber zur Nachbesserung feststellen wird, war auch die überwiegende Ansicht der steuerlichen Literatur. Möglich wäre es auch gewesen, dass das BVerfG das Gesetz komplett für nichtig erklärt. Das BVerfG nimmt den Gesetzgeber in die Pflicht und verweist ihn auf die in der Gesetzesbegründung von ihm selbst aufgestellten Entlastungsgrundsätze für kleine und mittelständische Unternehmen. In der Zeit bis Mitte 2016 wird man jedenfalls einer lebhaften Diskussion in Bezug auf mögliche Ausgestaltungen der Neuregelungen entgegensehen können.
Autor: Thorsten Wagemann, Steuerberater/ Dipl.-Wirtschaftsjurist, München