Mit der Vorlage des BFH vom 27.09.2012 (II R 9/11) wurden die geltenden erbschaftsteuerlichen Regelungen auf Basis des Art. 3 GG auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand gestellt.
Im Kern entzündet sich die Kritik des BFH an den Begünstigungen für Betriebsvermögen (§ 13a, 13b ErbStG). Diese ermöglichen es, Vermögen ganz oder zum größten Teil steuerfrei zu übertragen. Außerdem liegen insbesondere verschiedene Gestaltungen im Fokus des BFH. Durch diese war es möglich, privates Vermögen in begünstigtes betriebliches Vermögen umzuwandeln. Insgesamt sieht der BFH durch die Regelungen zu starke Entlastungsmöglichkeiten für Betriebsvermögen.
Mit dem gleichlautenden Erlass der Obersten Finanzbehörden der Länder vom 14.11.2013 hat die Finanzverwaltung bereits reagiert: Alle Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheide sind hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftsteuer nur vorläufig festgesetzt.
Der Handlungsspielraum des BVerfG
Als nächstes hat das Bundesverfassungsgericht zur Erbschaftsteuer zu entscheiden. Das BVerfG ist im Inland die höchste Prüfungsinstanz für die Akte der gesetzgebenden Gewalt. Allerdings sind dem BVerfG im Rahmen des Art. 3 GG Grenzen gesetzt.
Es darf insoweit nicht als ein Ersatzgesetzgeber fungieren. Gerade im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG muss der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers möglichst gewahrt bleiben (vgl. schon BVerfG, 11.06.1958, BVerfG 8, 28).
Im Rahmen seiner Möglichkeiten kann das BVerfG eine Norm für nichtig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären:
- Bei der Nichtigkeit einer Norm ist diese grundsätzlich auch rückwirkend nicht mehr anzuwenden.
- Wird eine Norm für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, ist eine Weiteranwendung bis zu einer Gesetzesänderung möglich.
Aus diesen Handlungsspielräumen ergeben sich beim Verfahren rund um die Erbschaftsteuer verschiedene Entscheidungsszenarien, die wir Ihnen im Folgenden vorstellen.
Mögliche Nichtigkeit des Erbschaftsteuerrechts
Das BVerfG könnte das geltende Erbschaftsteuerrecht insgesamt für nichtig erklären. Für alle noch offenen Veranlagungen würde insoweit keine Steuerpflicht mehr bestehen.
Bei den Erbschaftsteuerentscheidungen der Vergangenheit hat das BVerfG jedoch auf eine Unvereinbarkeit des Erbschaftsteuerrechts abgestellt. Hiernach war eine einstweilige Weiteranwendung des geltenden Rechts auch aus haushaltspolitischen Gründen geboten (BVerfGE 117, 1 (70)).
Vergleicht man zum Beispiel die 2006er Vorlage mit der derzeitigen, so sind einige Parallelen erkennbar. Insbesondere stellt sich folgende Frage: Sind tragende Gründe ersichtlich, dass die möglichen Verfassungsverstöße in der jetzigen Vorlage signifikant schwerer wiegen als die des vorangegangenen Verfahrens?
Der BFH sieht zumindest Ähnlichkeiten zur 2006er Vorlage (vgl. Vorlage vom 27.09.2012, Rn. 163). Die Hürden für eine komplette Nichtigkeit des geltenden Erbschaftsteuerrechts sind darüber hinaus als relativ hoch anzusehen. Demnach wird dieses Szenario nicht sehr wahrscheinlich sein. Vorsichtshalber sollten allerdings entsprechende Bescheide weiter offen gehalten werden.
Zumindest denkbar ist auch eine Teilnichtigkeit, jeweils für die Begünstigungen des Betriebsvermögens in § 13a, § 13b ErbStG (vgl. hierzu auch Zipfel/Regierer/Vosseler, DStR 2014, S. 1089).
Auch diese Variante ist jedoch unwahrscheinlich, zumindest in der Ausgestaltung als rückwirkende Teilnichtigkeit. Im Ergebnis stehen hier gewichtige Gründe des Vertrauensschutzes entgegen. Außerdem wirkt eine mögliche Verfassungswidrigkeit von Bewertungsnormen auch auf die Tarifnorm des § 19 ErbStG.
Auf bereits erlassene Bescheide kann das kommende Urteil im Übrigen keine negativen Auswirkungen nach sich ziehen. Hier verhindert § 176 Abs. 1 AO eine Änderung, wohl auch bei vorläufigen Festsetzungen.
Unvereinbarkeit der Regelungen mit dem Grundgesetz
Erklärt das Bundesverfassungsgericht das Erbschaftsteuerrecht für unvereinbar mit der Verfassung, kann es dem Gesetzgeber eine verfassungskonforme Neuregelung innerhalb einer bestimmten Frist vorschreiben.
Grundsätzlich vorstellbar wäre, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang die Begünstigung komplett aufhebt. Denkbar ist aber auch, dass bisher nicht besonders begünstigte Personenkreise und Erwerbsarten entsprechend begünstigt werden.
Es ist außerdem vorstellbar, dass dem Steuerpflichtigen unter dem Strich für eine gewisse Zeit ein Optionsrecht eingeräumt wird, die Besteuerung entweder nach dem alten Recht oder den dann neuen Regelungen zu wählen.
Auch hier ist in jedem Fall zu empfehlen, die betroffenen Bescheide offen zu halten, soweit diese nicht ohnehin mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wurden.
Zumindest denkbar ist auch, dass das BVerfG zwar keine direkte Unvereinbarkeit der Regelungen feststellt, zumindest aber partielle Schwächen der Regelungen aufzeigt. Auch hieraus könnten dann Neuregelungen des Gesetzgebers erwachsen (so auch Meinke, ZEV 2013, S. 1 (8)).
Auswirkungen der Änderungen durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz
Der Gesetzgeber hat mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz durch die faktische Abschaffung der Gesellschafts-Gestaltungen immerhin bereits einen Aspekt entschärft, den der BFH in der Vorlage als gleichheitswidrig angesehen hatte.
Ob diese Intervention des Gesetzgebers allerdings ausreichen wird, damit das Gesetz vom BVerfG als verfassungskonform angesehen wird, ist zweifelhaft. Die Vorlage des BFH attestiert im Ergebnis durchgehend Beanstandungen, die auch ggf. jede für sich zu einer Gleichheitswidrigkeit des Gesetzes führen.
Und selbst wenn das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz bereits zu einer verfassungsgemäßen Lösung geführt haben sollte, würde dies erst für Zeiträume nach dem 06.06.2013 gelten (Anwendungszeitpunkt der Änderungen des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes, (§ 37 Abs. 8 ErbStG n.F.).
Die Regelungen in der Zeit zwischen dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes bis zum 06.06.2013 könnten ggf. isoliert als nichtig oder unvereinbar mit der Verfassung erklärt werden
Fazit: Verfassungsrechtliche Entscheidungsszenarien bei der Erbschaftsteuer
Aus dem anstehenden Urteil des BVerfG können verschiedene Folgen erwachsen. Diese können von der rückwirkenden Nichtigkeit des Gesetzes über die Unvereinbarkeit mit der Verfassung unter Fristsetzung zur Neuregelung bis lediglich zur Rüge des Gesetzgebers mit Verbesserungsauftrag führen.
Es spricht vieles dafür, dass im Fall einer grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit wohl die Feststellung der Unvereinbarkeit mit Fristsetzung für eine Neuregelung das Mittel der Wahl sein wird. Demnach könnte das geltende Recht bis zu einer Neuregelung noch anwendbar bleiben. Gegebenenfalls ergibt sich für den Steuerpflichtigen auch wieder zeitweise ein Wahlrecht wie im Fall des letzten BVerfG-Urteils.
Autor: Thorsten Wagemann, Steuerberater/ Dipl.-Wirtschaftsjurist, München
Weiterführende Lektüre: Lesen Sie hier eine Prognose der Deubner Steuerredaktion, wie das BVerfg entscheiden und wie das BMF reagieren wird.