Hat eine Kapitalgesellschaft ihren gesamten Grundbesitz einen Tag vor Ablauf des Erhebungszeitraums ("zu Beginn des 31.12.") veräußert, kann sie die sog. erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht in Anspruch nehmen, weil sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig war.
BFH, Urt. v. 17.10.2024 - III R 1/23
Kurzfassung
Einfache Kürzung
Der Gewinn wird gem. § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehörenden Grundbesitzes gekürzt. Als Bemessungsgrundlage sind 140 % des Einheitswerts anzusetzen (R 9.1 Abs. 2 GewStR).
Entscheidend für die einfache Kürzung ist lediglich, dass das wirtschaftliche Eigentum am 01.01. des jeweiligen Jahres besteht und der Grundbesitz nicht steuerbefreit ist. Anders als bei der erweiterten Kürzung muss kein Antrag für die Gewährung der einfachen Kürzung gestellt werden.
Hinweis: Nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG n.F. gilt für Erhebungszeiträume ab 2025 eine neue Rechtslage: Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird gekürzt um die im Erhebungszeitraum als Betriebsausgabe erfasste Grundsteuer für zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitz.
Erweiterte Kürzung
Die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG wird nur auf Antrag und anstelle der einfachen Kürzung gewährt. Sie bewirkt, dass der Gewinn um den Teil gekürzt wird, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt.
Dieser Teil fließt somit nicht in die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ein und ist faktisch gewerbesteuerfrei.
Die Voraussetzungen für die erweiterte Kürzung sind jedoch strenger. Sie wird nur Unternehmen gewährt, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern.
Die von der Rechtsprechung als unschädlich angesehenen Nebentätigkeiten und die in § 9 Nr. 1 Satz 2 und 3 GewStG zugelassenen Ausnahmen schränken den Anwendungsbereich der erweiterten Kürzung weiter ein.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, die 2013 gegründet worden war. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist laut Gesellschaftsvertrag und Eintrag im Handelsregister die Realisierung von Immobilienprojekten, insbesondere der Erwerb, die Verwaltung (insbesondere die Vermietung und Verpachtung) und die Veräußerung von Grundbesitz einschließlich der Durchführung von Baumaßnahmen auf fremdem Grundbesitz.
Die Klägerin erwarb im Jahr 2015 ein aus mehreren Eigentumswohnungen und Teileigentumseinheiten bestehendes Geschäftsgrundstück. Ursprünglich wollte sie das Grundstück modernisieren und vermieten.
Dieses Vorhaben konnte sie jedoch aus kommunalpolitischen Gründen nicht umsetzen, so dass sie das Grundstück veräußern musste. Deshalb wurde das Grundstück zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung dem Umlaufvermögen zugeordnet.
Im Streitjahr 2016 veräußerte die Klägerin das Geschäftsgrundstück und erzielte hieraus einen Erlös. Im Kaufvertrag wurde vereinbart, dass alle das Vertragsobjekt betreffenden öffentlichen und privaten Lasten, alle Verbrauchskosten, Verkehrssicherungspflichten und jede mit dem Vertragsobjekt verbundene Haftung "ab Beginn des 31.12.2016" auf den Käufer übergehen sollten.
Der Übergang des Besitzes, der Nutzungen und der Gefahr sollten ebenfalls "am Beginn des 31.12.2016" erfolgen. Zum 31.12.2016 besaß die Klägerin noch zwei unverzinsliche Bankkonten und verfügte über Umsatzsteuererstattungsansprüche gegenüber dem Finanzamt.
In der Gewerbesteuererklärung für 2016 begehrte die Klägerin die Anwendung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Nachdem das Finanzamt die Klägerin zunächst erklärungsgemäß zur Gewerbesteuer unter Vorbehalt der Nachprüfung veranlagte, änderte es die Festsetzung später dahingehend, dass es die erweiterte Kürzung nicht mehr gewährte.
Das Finanzamt begründete dies damit, dass die Klägerin nicht ausschließlich vermögensverwaltend tätig sei. Der Geschäftszweck sei der Erwerb und der Verkauf von Grundstücken. In der Einspruchsentscheidung führte das Finanzamt weiter aus, dass eine originäre gewerbliche Tätigkeit bei der Klägerin vorlag, bei der der Anwendungsbereich des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht eröffnet sei.
Darüber hinaus schließe nach der Rechtsprechung des BFH der Verkauf des einzigen und letzten Grundstücks einer bis zu diesem Zeitpunkt grundstücksverwaltenden GmbH die erweiterte Kürzung aus.
Entscheidung des FG
Die Klage vor dem FG hatte Erfolg. Das FG stellte zunächst fest, dass die Klägerin im Streitjahr vermögensverwaltend und nicht, wie vom Finanzamt angenommen, originär gewerblich tätig gewesen ist.
Sowohl in qualitativer, quantitativer als auch zeitlicher Hinsicht verwaltete und nutzte die Klägerin im gesamten Erhebungszeitraum 2016 ausschließlich ihren eigenen Grundbesitz oder neben ihrem eigenen Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen. Der Anwendungsbereich der erweiterten Kürzung i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG sei damit eröffnet.
Dass die Klägerin das Grundstück mit Wirkung "ab Beginn des 31.12.2016" veräußert habe, schade dem Erfordernis der zeitlichen Ausschließlichkeit einer grundstücksverwaltenden Tätigkeit für den gesamten Erhebungszeitraum nicht.
Zwar sei die Klägerin am 31.12.2016 nicht mehr grundstücksverwaltend tätig gewesen, sie habe aber keine anderweitige Tätigkeit mehr ausgeübt, die steuerliche Relevanz gehabt hätte. Dass die Klägerin noch zwei unverzinsliche Bankkonten am 31.12.2016 besessen und über ertraglose Umsatzsteuererstattungsansprüche gegenüber dem Finanzamt verfügt habe, sei nicht als schädliche Tätigkeit anzusehen.
Entscheidung des BFH
Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben. Er begründet seine Entscheidung damit, dass die Klägerin, entgegen der Auffassung des FG, nicht im gesamten Erhebungszeitraum 2016 ausschließlich grundstücksverwaltend tätig war.
Der Begriff der Ausschließlichkeit bezieht sich auch auf die zeitliche Komponente und verlangt, dass ein Unternehmer während des gesamten Erhebungszeitraums eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt.
Die Verwaltung eigenen Kapitalvermögens darf nur neben die Grundbesitzverwaltung treten. Wird nur während eines Teils des Erhebungszeitraums eine anderweitige Tätigkeit ausgeübt, entfallen für den gesamten Erhebungszeitraum die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung.
Die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft gilt stets und im vollen Umfang als Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG). Die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft endet erst, wenn keinerlei Tätigkeiten mehr ausgeübt werden.
Dies beinhaltet auch Abwicklungshandlungen der Kapitalgesellschaft. Veräußert daher ein Unternehmer das letzte oder einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums und übt danach nur noch anderweitige Tätigkeiten aus, fehlt es am Erfordernis einer ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.
Der BFH lässt nur eine "technisch bedingte" Ausnahme bei einer Veräußerung zum 31.12. um 23:59 Uhr zu (BFH, Urt. v. 11.08.2004 - I R 84/03, BStBl II 2004, 539).
Hinweis: Mit Urteil vom 11.08.2004 - I R 84/03 (BStBl II 2004, 539) hatte der BFH entschieden, dass einem grundstücksverwaltenden Unternehmen die erweiterte Kürzung des
Gewerbeertrags gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG unbeschadet des darin bestimmten Ausschließlichkeitsgebots zu gewähren ist, wenn das Unternehmen sein einziges Grundstück zum 31.12., 23:59 Uhr, des Erhebungszeitraums veräußert.
Der BFH begründete seine Entscheidung damit, dass es sich hierbei um eine Vereinbarung mit rein rechtlichen Wirkungen handelt, die das tatsächliche Geschehen unberührt lässt und lediglich technisch wirkt, ähnlich der sog. juristischen Sekunde.
Da die Klägerin ihr einziges und letztes Grundstück mit Wirkung "ab dem 31.12.2016" veräußerte, ihre Gewerbesteuerpflicht und der Erhebungszeitraum jedoch auch den 31.12.2016 umfasste, war sie an einem Tag des Erhebungszeitraums, nämlich dem 31.12.2016, nicht ausschließlich vermögensverwaltend tätig.
Eine erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG kam für die Klägerin daher nicht in Betracht. Eine "technisch bedingte" Ausnahme lag nach Auffassung des BFH nicht vor.
Ob die am 31.12.2016 von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit nur dann schädlich ist, wenn sie zu steuerbaren Einkünften führt, ist für den BFH nicht entscheidungserheblich.
Der Klägerin sei jedoch die einfache Kürzung gem. § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG zu gewähren.
Fazit
Der BFH wiederholt in seiner Entscheidung, dass Ausnahmen vom Ausschließlichkeitserfordernis wegen Geringfügigkeit aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht geboten sind.
Auch wenn bis zum 30.12. eines Jahres demnach sämtliche Voraussetzungen der erweiterten Kürzung erfüllt sind, kann dieser steuerliche Vorteil noch durch eine anderweitige Tätigkeit verlorengehen. Für eine Kapitalgesellschaft genügt sogar "Untätigkeit", sofern sie noch nicht abgewickelt ist.
Steuerliche Berater sollten daher ihre Mandanten, sofern diese ausschließlich grundstücksverwaltend tätig sind, frühzeitig auf die Versagung der erweiterten Kürzung in gleichgelagerten Konstellationen hinweisen.
Sofern das letzte Grundstück einer dem Grunde nach begünstigten Kapitalgesellschaft zu Beginn des 31.12. eines Jahres veräußert wird und die Kapitalgesellschaft fortbesteht, ist die erweiterte Kürzung für das Veräußerungsjahr nahezu ausgeschlossen.
Erfolgt die Übertragung jedoch zum Ende des Jahres (23:59 Uhr), ist die erweiterte Kürzung möglich.
Luca Wagener, Dipl.-Finanzwirt