Die Beratungssituation: In Folge der weltweiten COVID-19-Pandemie ist Ihr Mandant schon im Frühjahr 2020 in wirtschaftliche Schieflage geraten. Angesichts der durch die Bundesregierung veranlassten Maßnahmen, insbesondere die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auf Grundlage des COVInsAG, hat der Mandant bislang auf die Stellung eines Insolvenzantrages verzichtet.
Obwohl die Liquidität derzeit gerade noch zur Zahlung der betriebsnotwendigen Verbindlichkeiten ausreicht, fragt sich Ihr Mandant, wie lange er in diesem Zustand noch agieren darf.
Rechtliche Einordnung: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
Um eine Flut von Insolvenzanträgen aufgrund der massiven coronabedingten Einschränkungen und dadurch verursachter wirtschaftlicher Schäden zu vermeiden, hat der Bundestag das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz - COVInsAG) verabschiedet, das mit Wirkung zum 1. März 2020 in Kraft getreten ist.
Dieses sieht in § 1 COVInsAG vor, dass die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO und nach § 42 Abs. 2 BGB (für den Verein) in der Zeit bis zum 30. September 2020 ausgesetzt ist. Dies gilt allerdings nicht, wenn
- die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht,
- oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Da ein entsprechender Nachweis nur schwer zu führen ist, regelt § 1 S. 2 COVInsAG, dass vermutet wird, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, wenn der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war.
Folgen der Aussetzung / Keine Haftung und keine Strafbarkeit
Soweit diese Voraussetzungen vorliegen, machen sich die organschaftlichen Vertreter demnach keiner Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO strafbar, wenn sie trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Insolvenzantragstellung unterlassen.
Weiterhin gelten in diesem Fall nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG auch Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters im Sinne des § 64 S. 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG, §§ 130a Abs. 1 S. 2, 177a Satz 1 HGB und § 99 S. 2 GenG vereinbar.
Nicht nur, dass eine Strafbarkeit der organschaftlichen Vertreter entfällt, so werden insbesondere auch Zahlungen nach Eintritt eines Insolvenzgrundes privilegiert, die anderenfalls erhebliche Haftungsansprüche gegen die organschaftlichen Vertreter auslösen können.
Einschränkung der Insolvenzanfechtung
Schließlich werden auch die Vorschriften zur Insolvenzanfechtung stark eingeschränkt, um die Finanzierung der in wirtschaftliche Schieflage geratenen Unternehmen – trotz Eintritt eines Insolvenzgrundes – rechtssicher zu ermöglichen.
So gilt unter anderem eine bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines in der Zeit vom 1. März bis 30. September 2020 gewährten neuen Kredits sowie die in dieser Zeit erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend im Sinne des § 129 InsO, sogar wenn es sich um die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und entsprechende Zahlungen handelt.
Ebenso unterliegen in dieser Zeit vorgenommene Rechtshandlungen, die dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht der Anfechtung, es sei denn, dem anderen Teil war bekannt, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.
Praktische Handlungsanweisungen für Sie als StB für die Zeit bis und nach 30.9.2020
Das COVInsAG hat im Ergebnis nicht die Insolvenzantragsgründe beseitigt, sondern allein die rechtlichen Folgen bei deren Eintritt eingeschränkt.
Ob der Mandant im Aussetzungszeitraum bis zum 30. September 2020[1] überhaupt berechtigt ist, auf eine Insolvenzantragstellung zu verzichten, sollte genau überprüft werden. Insbesondere soweit schon eine Zahlungsunfähigkeit zum 31. Dezember 2019 bestand, kann der Mandant die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in Folge der COVID-19-Pandemie nicht für sich in Anspruch nehmen.
Selbst wenn der Mandant berechtigterweise auf die Stellung eines Insolvenzantrages verzichtet hat, weil er durch die COVID-19-Pandemie in wirtschaftliche Schieflage geraten ist, sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein planvoll eingeleitetes Insolvenzverfahren auch Chancen für eine Sanierung bietet.
Vertieft sich hingegen die Krise bis zum 30. September 2020 weiter, kann sich nicht nur schon früher die Pflicht zur Insolvenzantragstellung ergeben, weil keine Aussichten mehr darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, sondern eine spätere Sanierung könnte auch daran scheitern, dass die Substanz des Unternehmens hierfür nicht mehr ausreicht (Zombie-Unternehmen).
Ende der Aussetzung der Antragspflicht
Schließlich ist zu beachten, dass die Aussetzung der Antragspflicht nach bisheriger Rechtslage am 30. September 2020 endet.[2] Mit Wirkung zum 1. Oktober 2020 müssen die organschaftlichen Vertreter wieder ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, einen Eröffnungsantrag stellen.
Die Frist von drei Wochen kann dabei jedoch nur dann ausgeschöpft werden, wenn ernsthafte Sanierungsaussichten in dieser Zeit bestehen, anderenfalls muss sofort ein Antrag gestellt werden.
Auch wenn das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 4 COVInsAG ermächtigt wurde, die Regelungen bis höchstens zum 31. März 2021 zu verlängern, steht nach den derzeitigen Verlautbarungen eine Verlängerung des Aussetzungsrechts nur im Falle der Überschuldung und auch nur bis zum 31.12.2020 im Raum. Dies ist in Deutschland allerdings im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit der weit seltenere Insolvenzantragsgrund.
Praxistipp: Zwar wurde durch das COVInsAG die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages eingeschränkt, sodass zugleich die Strafbarkeit nach § 15a Abs. 4 InsO und eine Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenz im Falle einer verzögerten Antragstellung unter den Voraussetzungen des § 1 COVInsAG entfällt. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass sich im Zuge eines Insolvenzverfahrens regelmäßig auch andere Haftungs- und Straftatbestände realisieren. Insbesondere sind die Vorschriften des § 266a StGB im Zusammenhang mit der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung oder die organschaftliche Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 69 AO zu nennen, die durch das COVInsAG nicht berührt werden.
Autor: RA Joachim Beuck, Fachanwalt für Insolvenzrecht
[1] Nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.08.2020 soll dieses Moratorium für den Insolvenzgrund der Überschuldung bis zum 31.12.2020 verlängert werden.
[2] Nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses vom 25.08.2020 soll dieses Moratorium für den Insolvenzgrund der Überschuldung bis zum 31.12.2020 verlängert werden.