Kapitaleinkünfte: Günstigerprüfung bei neuem Abzugsteuergesetz

Aus dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 ergeben sich auch Änderungen für die Erstattung der Kapitalertragsteuer. Der BFH hat nun klargestellt, dass die Neufassung von § 50d Abs. 3 EStG in allen offenen Fällen anzuwenden ist. Bei Anwendbarkeit von Neu- und Altfassung ist eine Günstigerprüfung durchzuführen. Im Streitfall ging es um Kapitalerträge aus Wandelanleihen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 10.11.2021 (I R 27/19) entschieden, dass die mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 eingeführte neue Fassung des § 50d Abs. 3 EStG auf alle offenen Fälle angewendet werden kann. 

In Fällen, in denen alte und neue Fassung des § 50d Abs. 3 EStG parallel anwendbar sind, ist eine Günstigerprüfung zugunsten des jeweiligen Steuerpflichtigen durchzuführen.

Sachlage im Streitfall

Klägerin ist eine in Zypern ansässige Kapitalgesellschaft, die Inhaberin einer Wandelanleihe an einer in Deutschland ansässigen AG war. Zudem war die Klägerin an der AG zu 15 % beteiligt. 

Der Geschäftszweck der Klägerin bestand darin, sich für einen bestimmten Zeitraum als strategischer oder finanzieller Investor an Unternehmen zu beteiligen, die in der Schifffahrtsbranche tätig sind.

Aus der Wandelanleihe erzielte die Klägerin in den Jahren 2010 und 2011 Kapitalerträge, auf die Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag i.H.v. insgesamt 26,375 % einbehalten wurden. 

Daraufhin beantragte die Klägerin die teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags i.H.v. 16,375 %, da nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und Zypern Deutschland ein Anrecht auf Quellensteuereinbehalt i.H.v. lediglich 10 % hatte. 

Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) lehnte diesen Antrag jedoch mit Verweis auf § 50d Abs. 3 EStG ab. Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte Erfolg. Die Revision des BZSt vor dem BFH war jedoch begründet und führte zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Substanztest nach § 50d Abs. 3 EStG in alter und neuer Fassung

Mit den Einkünften aus der Wandelanleihe erzielt die Klägerin in Deutschland beschränkt steuerpflichtige Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG a.F. 

Nach dem DBA zwischen Deutschland und Zypern sind derartige Einkünfte jedoch nicht nach dem regulären Kapitalertragsteuersatz von 26,375 % zu besteuern, sondern lediglich mit einem Steuereinbehalt von 10 %. 

Da die ausschüttende Kapitalgesellschaft jedoch nach § 50c Abs. 1 EStG dazu verpflichtet ist, dennoch den vollen Kapitalertragsteuersatz einzubehalten, muss die Klägerin zur Erstattung des Differenzbetrags einen Antrag nach § 50c Abs. 3 EStG beim BZSt stellen.

Einer Erstattung des Differenzbetrags könnte jedoch § 50d Abs. 3 EStG a.F. entgegenstehen. Nach dieser Vorschrift besteht kein Anspruch auf Erstattung oder Freistellung, wenn

  • für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
  • die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder
  • die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

Steht dies dem Anspruch auf Erstattung entgegen, kann eine Erstattung jedoch ggf. nach dem mit dem Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz im Jahr 2021 eingeführten § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG n.F. möglich sein. Nach diesem ist eine Erstattung lediglich ausgeschlossen, wenn

  • an Kapitalgesellschaften Personen beteiligt sind, denen der Anspruch nicht zustünde, wenn sie selbst die Einkünfte erzielen würden, und
  • die Einkunftsquellen keinen wirtschaftlichen Zusammenhang zu der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kapitalgesellschaft haben.

Anwendung der Grundsätze auf den Streitfall

Nach Auffassung des BFH ist im Streitfall die Erstattung der Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 3 EStG a.F. ausgeschlossen, da die Klägerin lediglich eigenes Vermögen verwaltet hat und nicht selbst geschäftsleitend im Hinblick auf die Beteiligung der AG tätig war. 

Da der Substanztest nach § 50d Abs. 3 EStG a.F. somit negativ ausfällt, kann zusätzlich noch die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG n.F. geprüft werden. Für eine Prüfung, ob § 50d Abs. 3 EStG n.F. anwendbar sein könnte, reichte die Feststellung des FG aber nicht aus. Der BFH verwies daher die Streitsache an das FG zurück.

Praxishinweis

Durch die Einführung des § 50d Abs. 3 EStG n.F. mit Rückwirkung für alle offenen Fälle kommt es zu der Situation, dass § 50d Abs. 3 EStG a.F. und § 50d Abs. 3 EStG n.F. gleichzeitig anwendbar sind. 

Der BFH folgt mit seinem Urteil der Auffassung der Literatur, dass eine Günstigerprüfung zwischen den beiden Fassungen zugunsten des jeweiligen Steuerpflichtigen durchzuführen ist. Für die Erstattung der zu viel einbehaltenen Quellensteuer reicht es somit aus, dass lediglich die Voraussetzungen für § 50d Abs. 3 EStG a.F. oder n.F. erfüllt werden.

BFH, Urt. v. 10.11.2021 - I R 27/19

Erstellt von Christian Kappelmann, StB, M.A., Dipl.-Finw. (FH)

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