Wann liegt eine Organschaft im Umsatzsteuerrecht vor? Der BFH hat seine Rechtsprechung an den EuGH angepasst. Demnach muss der Organträger zwar grundsätzlich weiterhin über die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft verfügen. Die finanzielle Eingliederung kann nun aber auch bei nur 50 % der Stimmrechte vorliegen, wenn die notwendige Willensdurchsetzung anderweitig sichergestellt wird.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit seinem aktuellen Urteil vom 18.01.2023 (XI R 29/22 (XI R 16/18)) seine Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Organschaft und insbesondere zur finanziellen Eingliederung geändert und der Rechtsprechung des EuGH angepasst.
Sachverhalt im Besprechungsfall
Gesellschafter der klagenden GmbH waren eine juristische Person A zu 51 % und ein eingetragener Verein C zu 49 %. Alleiniger Geschäftsführer der GmbH war E, der zugleich Alleingeschäftsführer der A und geschäftsführender Vorstand des C war.
Aufgrund des Gesellschaftsvertrags der GmbH standen A und C jeweils 50 % der Stimmrechte zu. Mit dem Finanzamt entstand Streit darüber, ob eine umsatzsteuerliche Organschaft besteht.
Das Finanzgericht und der BFH, der den EuGH anrief, gaben der GmbH Recht und nahmen eine Organschaft an.
Entscheidung im Besprechungsfall
Zunächst stellt der BFH klar, dass die deutsche Regelung der Organschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Einklang mit der europäischen Mehrwertsteuersystem-Richtlinie steht. Im Entscheidungsfall nimmt der BFH neben der organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung auch die finanzielle Eingliederung an.
Zwar erfordert die finanzielle Eingliederung im Grundsatz, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht, eine finanzielle Eingliederung liegt aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar lediglich über 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält sowie den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.
Auf diese Weise wird die schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen.
Weicht die kapitalmäßige Beteiligung von den Stimmrechten ab, ist auf das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Stimmrechte abzustellen. Erforderlich ist lediglich eine Stimmrechtsmehrheit, die auch ohne Mehrheitsbeteiligung bestehen kann, aber im Regelfall nur bei einer Anteilsmehrheit bestehen wird.
Bezogen auf die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Willensdurchsetzung folgt daraus, dass eine Mehrheitsbeteiligung trotz Stimmrechten von nur 50 % als lediglich schwächer ausgeprägte finanzielle Eingliederung anzusehen ist, wenn sie durch eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen von Mehrheitsgesellschafter und GmbH und damit durch eine besonders stark ausgeprägte organisatorische Eingliederung ausgeglichen wird.
Dann kann der Organträger seinen Willen bei der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und mit Hilfe seiner Stimmrechte i.H.v. 50 % eine abweichende Weisung durch die Gesellschafterversammlung verhindern, so dass es ihm auch möglich ist, die Umsätze der Organgesellschaft ordnungsgemäß zu versteuern und den sich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit der Organgesellschaft ergebenden sonstigen umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.
In diesem Zusammenhang weist der BFH klarstellend darauf hin, dass sich dadurch nichts am Erfordernis der „eigenen Mehrheitsbeteiligung“ ändert, so dass eine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften (ohne Einbeziehung des gemeinsamen Gesellschafters) auch weiterhin nicht in Betracht kommt. Im Zuge der nunmehr geänderten Rechtsprechung hat der BFH der Klage stattgegeben.
Praxishinweis
Der BFH hat seine Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Organschaft folgendermaßen geändert:
Zwar erfordert die finanzielle Eingliederung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG im Grundsatz, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht, eine finanzielle Eingliederung liegt aber auch dann vor, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar lediglich über 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.
BFH, Urt. v. 18.01.2023 - XI R 29/22 (XI R 16/18)
Erstellt von Axel Scholz, RA und StB, FA für Steuerrecht