Wann ist von einer finanziellen Eingliederung als Voraussetzung für die umsatzsteuerliche Organschaft auszugehen? Der BFH hat seine Rechtsprechung an Vorgaben des EuGH angepasst. Demnach können kapitalistisch strukturierte Personengesellschaften auch dann Organgesellschaften sein, wenn an ihnen neben dem Organträger weitere Gesellschafter beteiligt sind, die nicht finanziell eingegliedert sind.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 16.03.2023 (V R 14/21 (V R 45/19)) die Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Organschaft weiterentwickelt.
Sachverhalt im Besprechungsfall
An der A-GmbH & Co. KG (nachfolgend KG) waren die A-Verwaltungs-GmbH als Komplementärin ohne eigenen Kapitalanteil sowie die beiden Kommanditisten V mit einem Kapitalanteil von 80 % und S mit 20 % beteiligt.
Gesellschafter der Komplementär-GmbH waren ebenfalls V zu 80 % und S zu 20 %. Einziger Geschäftsführer war V, der der KG das Betriebsgrundstück und diverse Maschinen verpachtete, die wesentliche Betriebsgrundlagen der KG waren.
Die KG ging im Gegensatz zum Finanzamt davon aus, dass zwischen ihr und dem V eine umsatzsteuerliche Organschaft bestand. Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) war erfolgreich, auch der BFH folgte dem.
Grundsätze und Entscheidung im Besprechungsfall
Der BFH folgte den Ansichten des FG und erkannte an, dass die KG Organgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG des V sein kann. V war aufgrund der Verpachtung an die KG Unternehmer.
Auch die KG übte eine unternehmerische Tätigkeit aus und war in das Unternehmen des V finanziell eingegliedert, auch weil V über die Mehrheit der Stimmrechte bei der KG verfügte.
Die wirtschaftliche Eingliederung ergab sich aus der Verpachtung von für das Unternehmen der KG wesentlichen Betriebsgegenständen durch V.
Die organisatorische Eingliederung folgte daraus, dass V einziger Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH war, die allein für die KG geschäftsführungs- und vertretungsbefugt war.
V war damit in der Lage, seinen Willen bei der Organgesellschaft durchzusetzen, so dass es ihm auch möglich war, die Umsätze des im Organkreis zusammengefassten Unternehmens ordnungsgemäß zu versteuern und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen im Hinblick auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft nachzukommen.
Auch wenn es sich bei der KG um eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ handelt, kann sie gleichwohl eine Organgesellschaft sein, wobei es nicht darauf ankommt, ob Gesellschafter der KG außer dem V nur Personen sind, die in dessen Unternehmen finanziell eingegliedert sind. Insoweit folgt der BFH auch der Auffassung des EuGH.
Obwohl der BFH den Fall ebenso wie das FG beurteilt, hob der BFH das FG-Urteil dennoch auf.
Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter Rechtsprechung Organgesellschaft und damit nicht Steuerschuldnerin ist, so setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.
Da der BFH nicht feststellen konnte, ob dieser Antrag bereits gestellt worden war, verwies er die Sache zurück an das FG. Hierbei stellte der BFH klar, dass der Antrag immer noch nach § 174 Abs. 3 AO gestellt werden könnte.
Praxishinweis
Der BFH hat seine Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH angepasst: Eine Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen Struktur“ kann Organgesellschaft sein, wenn neben dem Organträger auch Personen Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft sind, die in das Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert sind.
Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft sei, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.
Organträger und Organgesellschaft können nicht beanspruchen, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (z.B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (z.B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden.
Diese Grundsätze könnten Auswirkungen auf zahlreiche andere GmbH & Co. KG haben, bei denen ein Mehrheitsgesellschafter Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlässt.
BFH, Urt. v. 16.03.2023 - V R 14/21 (V R 45/19)
Erstellt von Axel Scholz, RA und StB, FA für Steuerrecht