Der BFH hat in mehreren Urteilen die „erste Tätigkeitsstätte“ für verschiedene Berufsgruppen nach dem seit 2014 gültigen Reisekostenrecht bestimmt. Für Postzusteller gilt demnach der Zustellpunkt als erste Tätigkeitsstätte - bei Rettungsassistenten ist es die Rettungswache. Für Lokomotivführer nahm der BFH mit dem firmeneigenen Schienennetz eine besonders großräumige erste Tätigkeitsstätte an.
In mehreren Urteilen vom 30.09.2020 (VI R 10/19; VI R 12/19; VI R 11/19) und 01.10.2020 (VI R 36/18) hat sich der BFH zu der ersten Tätigkeitsstätte für Postzusteller, Rettungsassistenten und Lokomotivführer geäußert. Eine erste Tätigkeitsstätte ist in dem Fall jeweils der Zustellpunkt oder die Rettungswache, welche der Arbeitnehmer tagtäglich zu Beginn oder zum Ende seines Diensts aufsucht.
Sachlage im Streitfall
Gegenstand der o.g. Verfahren waren die jeweiligen Berufsgruppen, die ihre Tätigkeit mehrheitlich nicht an einer festen Arbeitsstätte, sondern „unterwegs“ ausüben. Zum Beispiel beginnt ein Rettungsassistent seine Tätigkeit morgens an der Rettungsleitstelle, bekommt dort seine Einsatzdaten und kehrt auch abends wieder zu dieser zurück. Den Großteil der Arbeitszeit verbringt er jedoch im Rettungswagen.
Die Kläger machten jeweils Mehraufwendungen für Verpflegung aufgrund der Abwesenheitszeit von mehr als acht Stunden von der eigenen Wohnung als Werbungskosten zu den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend.
Bei Postzustellern oder Lokomotivführern hatte die Vorinstanz das Zustellgebiet und das Schienennetz als erste Tätigkeitsstätte nach dem neuen Reisekostenrecht gewürdigt. Bei einem Rettungsassistenten sah es die Rettungswache als erste Tätigkeitsstätte an, da dies der Ort ist, den der Rettungsassistent regelmäßig aufsucht.
Der BFH wies die gegen die Entscheidungen der Finanzgerichte erhobenen Revisionen als unbegründet zurück.
Erste Tätigkeitsstätte
Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG gilt als erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitsgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, welcher der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
Mehraufwendungen für Verpflegung können nur bei einer Auswärtstätigkeit von einer Dauer von mehr als acht Stunden von der eigenen Wohnung oder der regelmäßigen Arbeitsstätte gewährt werden.
Entgegen der bis zum Jahr 2013 geltenden Rechtslage kommt es nach den Urteilen des BFH nicht mehr auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit an.
Durch die Reform des Reisekostenrechts ist nun jedoch die Tätigkeitsstätte maßgeblich, welcher der Arbeitnehmer zugeordnet ist. Zusätzlich ist es für die Anerkennung als erste Tätigkeitsstätte erforderlich, dass der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten ausübt, welche er dem Arbeitgeber arbeitsrechtlich schuldet.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist gem. § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG auszugehen, wenn der Arbeitnehmer einer Tätigkeitsstätte unbefristet oder mindestens für die Dauer von 48 Monaten zugeordnet ist.
Diese Voraussetzungen sind nach der Auffassung des BFH für einen Postzusteller in seinem und dem dazugehörigen Zustellgebiet erfüllt.
Diesem Gebiet war der Postzusteller im Streitfall dauerhaft zugeordnet und ist dort seiner arbeitsrechtlich geschuldeten Tätigkeit, der Zustellung der Briefe der Deutschen Post, nachgegangen. Für einen Lokomotivführer gilt dies entsprechend für das Schienennetz, in dem er täglich die Züge bewegt.
Ein Rettungsassistent erfüllt diese Voraussetzungen an seiner Hauptwache, der er dauerhaft zugeordnet ist und in welcher er auch in einem noch ausreichenden Umfang die arbeitsrechtlich geschuldeten Tätigkeiten ausübt.
Praxishinweis
Die Reform des Reisekostenrechts bedeutet für Berufsgruppen, wie z.B. Postzusteller, Rettungsassistenten oder Lokomotivführer, eine Schlechterstellung gegenüber dem vorhergehenden Reisekostenrecht. Die nunmehr nur erforderliche Zuordnung seitens des Arbeitgebers und das Tätigwerden in einem begrenzten Umfang stellen geringere Anforderungen an eine erste Tätigkeitsstätte, als es bei dem alten Reisekostenrecht der Fall war.
Inhaltsgleiche Urteile sind dementsprechend auch bereits für andere Berufsgruppen, wie z.B. Polizeibeamte und Flugzeugführer, ergangen. Weiterhin sind noch Verfahren für Müllwerker, Mitarbeiter des Ordnungsdiensts oder Gerichtsvollzieher anhängig.
Hier wird es jeweils entscheidend sein, ob der Umfang der Tätigkeit in der Tätigkeitsstätte „vor Ort“ in einem hinreichenden Maße gegeben ist. Betroffene Berufsgruppen sollten die Verfahren bis zu einer Entscheidung offenhalten.
BFH, Urt. v. 30.09.2020 - VI R 10/19
BFH, Urt. v. 30.09.2020 - VI R 12/19
BFH, Urt. v. 30.09.2020 - VI R 11/19
BFH, Urt. v. 01.10.2020 - VI R 36/18
Quelle: Christian Kappelmann, Steuerberater, M.A. und Diplom-Finanzwirt (FH)