Hintergrund des Mehrwertsteuer-Digitalpakets: Integration des europäischen E-Commerce-Binnenmarktes
Hintergrund auf EU-Ebene
Obwohl man sich auf EU-Ebene bereits im Jahr 2017 auf das neue Digitalpaket bei der Umsatzsteuer geeinigt hatte, um die europäische Integration des Binnenmarktes im Bereich des E-Commerce voranzutreiben, hat der deutsche Gesetzgeber wichtige Teile der zweiten Stufe des MwSt.-Digitalpakets erst mit dem Jahressteuergesetz 2020 umgesetzt. Zentrale Elemente sind u.a.
- die Ablösung der bisherigen Versandhandelsregelung durch den Begriff des Fernverkaufs
- die Abführung ausländischer Mehrwertsteuer über die sog. einzige Anlaufstelle (sog. „One-Stop-Shop“ = Ausweitung MOSS-Verfahren) beim inländischen Bundeszentralamt für Steuern (BZSt).
- Der Übergang der Steuerschuld auf Betreiber elektronischer Marktplätze von durch diese vermittelten Umsätze ihrer dort aktiven Versandhändler
Praxistipp: Das BMF hat sich in einem Schreiben vom 1. April 2021 ausführlich hierzu geäußert.
Die Generaldirektion Steuern und Zollunion der EU-Kommission hat zudem im September 2020 - rechtlich jedoch nur unverbindliche - Erläuterungen veröffentlicht („Explanatory Notes on VAT e-commerce rules“). Im März 2021 veröffentlichte sie zudem den „Guide to the VAT One Stop Shop“.
Fragen, die sich für Mandanten aus dem E-Commerce / Versandhandel stellen
Für Unternehmen aus dem E-Commerce / Versandhandel stellen sich damit u.a. folgende Fragen. Der laufende steuerliche Berater sollte bereits vor Beginn der Neureglung zum 1. Juli 2021 ein entsprechendes Bewusstsein für ggf. notwendigen Anpassungsbedarf geschaffen haben:
- Welche neuen Regelungen im deutschen Umsatzsteuergesetz sind seit dem 1. Juli 2021 zwingend zu beachten und welche Verfahren stellen für den Steuerpflichtigen ein Wahlrecht dar?
- Weshalb bringt die Ausweitung des bisherigen Mini-One-Stop-Shops zum One-Stop-Shop für Online-Händler die Chance auf eine einfachere und günstigere europaweite Mehrwertsteuer-Compliance?
- Unter welchen Voraussetzungen kann der neue One-Stop-Shop genutzt werden und wie kann dieser zur Vereinfachung der Steuerdeklaration für EU-Länder beitragen?
- Was bedeutet die neue Lieferkettenfiktion für elektronische Marktplätze und welche Auswirkungen hat dies auf Online-Händler, die neben einem eigenen Online-Shop auch über solche Marktplätze verkaufen?
- Welche Schritte sollten bereits jetzt unternommen werden, um insbesondere die IT-Systeme der Mandanten auf das MwSt.-Digitalpaket vorzubereiten?
Regelungen für grenzüberschreitenden E-Commerce: Versandhandelsregelung und Lieferschwellen vor dem 1. Juli 2021
Verständnis der bisherigen Versandhandelsregelung
Bevor auf die Neuerungen durch das MwSt.-Digitalpaket eingegangen wird, ist ein Verständnis der bisherigen Regelungen entscheidend, um hierauf im Anschluss aufbauen zu können. Zahlreichen Online-Händlern ist das derzeitige Konzept der Versandhandelsregelung mit seinen je nach EU-Mitgliedstaat unterschiedlichen Lieferschwellen nicht ausreichend bekannt. Folge davon sind Compliance-Verstöße im Inland sowie EU-Ausland.
Klicken Sie hier und erfahren Sie mehr über die alten Regeln beim internationalen E-Commerce.
Neuregelung von Fernverkäufen durch den One-Stop-Shop sowie neues EU-weites Lieferschwellen-Konzept seit Juli 2021 („Lieferschwellen 2021“)
Das MwSt.-Digitalpaket der EU, welches Deutschland zum 1. Juli 2021 in nationales Recht übertragen hat, ersetzt nun die oben dargestellten einzelnen nationalen Lieferschwellen durch eine EU-weit einheitliche, sämtliche EU-Mitgliedsstaaten umfassende einzige Lieferschwelle iHv. EUR 10.000,00.
Klicken Sie hier und erfahren Sie mehr über die neuen Regeln nach Umsetzung des Umsatzsteuer-Digitalpakets zum 1.7.2021.
Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Fulfillment-Strukturen wie z.B. „Amazon FBA“
Grenzüberschreitende Fulfillment-Strukturen wie z.B. die von Amazon©, Amazon© FBA („Fulfillment by Amazon“, Amazon© Pan EU) kommen dem Bedürfnis nach, dem Kunden rasche Lieferzeiten und dem Online-Händler günstige Lagerkosten bieten zu können: Die Ware wird bei Bestellungseingang nicht aus Deutschland heraus versendet, sondern lagert bereits im Bestimmungsland, in dem der Kunde ansässig ist. Die Ware wird dann vom lokalen Lager aus an den Kunden versandt, welches zuvor regelmäßig aus Deutschland heraus mit Ware bestückt wird.
Klicken Sie hier und erfahren Sie mehr über die Neuerungen bei Fulfillment-Strukuren.
Weitere Fälle für den One-Stop-Shop (OSS)
Neben den oben beschriebenen Fernverkäufen als direkte Form der Belieferung von privaten Verbrauchern im EU-Ausland steht der One-Stop-Shop jedoch auch noch für weitere Fälle offen:
- Warenlieferungen per elektronischer Schnittstelle (siehe hierzu unten)
- Besonderer Import-One-Stop-Shop für Fernverkäufe von Waren in Sendungen mit einem Sachwert iHv. bis zu EUR 150,00 aus dem Drittlandsgebiet (Einfuhr von Waren aus dem Drittland im Namen des Empfängers der Ware)
- Weitere Produkte und Dienstleistungen: Personenbeförderung, Veranstaltungs- oder Restaurationsleistungen, Grundstücksleistungen, Vermittlungsleistungen, Kultur und Entertainment, Arbeiten an beweglichen Gegenständen sowie deren Begutachtung sowie die langfristige Vermietung von Beförderungsmitteln
Reihengeschäfts-Fiktion und Haftung bei Vertrieb über Online-Marktplätze
Früher oftmals Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu Drittstaaten: Ca. 70% des Online-Handels wird über elektronische Marktplätze abgewickelt. In der Vergangenheit sahen sich Online-Händler mit Sitz in Deutschland beim Vertrieb über Online-Marktplätze wie Amazon© oder eBay© teilweise einem unfairen Wettbewerb mit Anbietern aus vorwiegend asiatischen Drittländern ausgesetzt, da diese Anbieter mitunter keine deutsche Umsatzsteuer in Rechnung gestellt haben und somit deutschen Verbrauchern günstigere Preise anbieten konnten.
Klicken Sie hier und erfahren Sie mehr über die Reihengeschäftsfiktion.
Fazit und Ausblick zum Mehrwertsteuer-Digitalpaket
Sprechen Sie Ihre Mandanten aus den Branchen Online- und Versandhandel frühzeitig auf die Neuerungen an. Mögliche Maßnahmen, bei denen Sie ihre Mandanten beraten könnten, wären bspw.:
- Bei Überschreiten der bislang geltenden länderspezifischen Lieferschwellen (EUR 35.000,00 bis EUR 100.000,00): Beratung, ob erprobte Mehrwertsteuer-Compliance-Strukturen im Ausland freiwillig zu Gunsten des noch neuen One-Stop-Shop-Konzepts aufgegeben werden sollen. Abwägung gegen mögliche Kosteneinsparungen durch die im One-Stop-Shop-Verfahren nicht mehr notwendige laufende Deklaration in den Empfängerländern
- Unterstützung bei der Einhaltung von unternehmenseigenen Richtlinien von Marktplatzbetreibern, um Sperrung des Händlerkontos vorzubeugen
- Anpassung ERP-Systeme auf Fernverkäufe als eigene Transaktionsart (ggf. technische Umsetzung der gängigen Online-Shop-System-Anbieter beobachten und Mandanten proaktiv informieren)