Wann greift die Umsatzsteuerpflicht in Fällen, in denen unklar ist, wer der eigentliche Leistungserbringer ist? Nach der „Ladenrechtsprechung“ des BFH ist eine Person als leistender Unternehmer anzusehen, die ein diesbezügliches Gewerbe angemeldet hat oder Inhaber der entsprechenden Konzession ist. Unklarheiten gehen zu Lasten des Erklärenden - etwa wenn eine Vermittlerrolle nicht deutlich wird.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Beschluss vom 03.02.2021 (XI B 45/20) seine Grundsätze zu der Frage bestätigt, wer das Risiko der Unklarheit in der Auslegung einer Willenserklärung tragen muss, wenn die Willenserklärung sowohl im eigenen als auch im fremden Namen abgegeben werden kann.
Sachverhalt im Besprechungsfall
Der BFH hatte im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde einer GmbH, welche verschiedene Mobilfunkleistungen erbrachte, zu entscheiden. Die GmbH hatte mit einer in Irland ansässigen Schwestergesellschaft X einen Vertriebsvertrag geschlossen, wonach die GmbH SIM-Karten und Telefongutscheine im Namen und für Rechnung der X gegen Vermittlungsprovision verkaufte.
Die ausgegebenen Gutscheine enthielten folgenden Text: „Dieser Multifunktionsgutschein wird durch ... X vertrieben. Der Gutschein kann für Telekommunikation, Guthabenübertragung oder ... Nachrichtendienste verwendet werden. Für weitere Infos besuchen Sie: www. ... .de.“ In den bei Vertragsschluss auf der deutschen Internetadresse hinterlegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) waren nur die GmbH sowie andere Schwestergesellschaften der X-Gruppe, aber nicht X selbst erwähnt.
Die GmbH ging davon aus, dass die GmbH (im Inland nicht steuerbare) Vermittlungsleistungen an X und keine eigenen Telekommunikationsdienstleistungen an die Endkunden erbrachte, während das Finanzamt (FA) von umsatzsteuerpflichtigen Leistungen ausging. Einspruch und Klage blieben erfolglos, der BFH sah dies ebenso.
Dienstanbieter ergibt sich aus dem objektiven Empfängerhorizont
Nach Ansicht des BFH hatte das Finanzgericht (FG) eine vertretbare Auslegung vorgenommen. Die GmbH sei gegenüber den Kunden nicht als Erbringerin der Telekommunikationsdienstleistung aufgetreten. Dies ergibt sich nicht nur aus der fehlenden Anschrift der GmbH, sondern auch aus der Verwendung des Verbs „vertreiben“.
Zudem ergibt sich der leistende Unternehmer (aufgrund des Verweises des Gutscheins auf die deutsche Internetseite) aus den AGB. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass im Fall einer objektiv mehrdeutigen Erklärung, welche sowohl als Handeln im eigenen als auch als Handeln im fremden Namen verstanden werden kann, Unklarheiten zu Lasten des Erklärenden gehen und der angebliche Vermittler zur Leistung verpflichtet wird.
Auf den Gutscheinen ist ein Hinweis auf die deutsche Internetseite angebracht, auf der die AGB hinterlegt sind. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass die GmbH gegenüber dem Kunden eine Willenserklärung im fremden Namen abgeben wollte.
Vielmehr müssen aus Kundensicht derjenige, welcher die Willenserklärung abgegeben hat, und derjenige, welcher durch den Vertrag verpflichtet ist, identisch sein. Dies entspricht den Angaben in den AGB und aufgrund der festgestellten Unklarheiten den Wertungen gem. § 164 Abs. 2 BGB. Folglich wurde der Vertrag nach Ansicht sowohl des FG als auch des BFH zwischen der GmbH und den Kunden geschlossen, weil der Wille der GmbH, im fremden Namen zu handeln, durch den Hinweis „Dieser Multifunktionsgutschein wird durch ... X vertrieben“ nicht ausreichend deutlich wird.
Kein anderes Ergebnis durch Anwendung der Ladenrechtsprechung
Nach Ansicht des BFH folgt aus der sogenannten Ladenrechtsprechung keine andere Beurteilung. Gemäß dieser Rechtsprechung ist in Fällen, in denen eine Person ein Gewerbe angemeldet hat oder Inhaber einer Konzession ist, diese Person grundsätzlich als leistender Unternehmer anzusehen, weil zu den maßgeblichen Indizien u.a. das Auftreten nach außen – auch gegenüber dem FA und anderen Behörden – gehört.
Denn die GmbH (und nicht X) war bei der Bundesnetzagentur als Erbringerin inländischer Netzdienstleistungen aus der Unternehmensgruppe der X registriert und trat damit nach außen als Leistungserbringerin auf.
Praxishinweis: Der BFH hat mit dieser Entscheidung seine bisherigen Grundsätze zur Auslegung von Willenserklärungen gegenüber Vertragspartnern bestätigt: Im Fall einer objektiv mehrdeutigen Erklärung, die sowohl als Handeln im eigenen als auch als Handeln im fremden Namen verstanden werden kann, gehen Unklarheiten zu Lasten des Erklärenden. Auf dieser Grundlage wird der angebliche Vermittler zur Leistungserbringung verpflichtet, wenn er seine Stellung als Vermittler nicht hinreichend deutlich macht. Rechtsfolge der sogenannten Ladenrechtsprechung des BFH ist, dass eine Person, die ein Gewerbe angemeldet hat oder Inhaber einer Konzession ist, in Bezug auf die Leistungen, die davon umfasst sind, grundsätzlich als leistender Unternehmer anzusehen ist.
BFH, Beschl. v. 03.02.2021 - XI B 45/20
RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht