Reverse Charge: Wenn der leistende Unternehmer im Ausland sitzt

Service: Hier können Sie das Vordruckmuster USt 1 TS „Bescheinigung über die Ansässigkeit im Inland“ abrufen – s. dazu auch unseren Praxistipp ganz am Ende dieses Artikels.

Ein Beispiel zum Anfang: Elisabeth Mann vermietet ein Ferienhaus in Lindau (Deutschland) am Bodensee. Sie beauftragt den Fliesenleger Franz Allrams aus Bregenz (Österreich), die Fliesen in den Badezimmern zu erneuern. Der Fliesenleger schreibt eine Rechnung über 1.500 €.

Die Leistung des Fliesenlegers ist in Deutschland steuerbar (Ortsbestimmung gem. § 3a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c) UStG) und mangels Befreiung steuerpflichtig.

Ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG liegt vor, weil es sich um eine sonstige Leistung handelt, die der Instandhaltung eines Bauwerks dient, und die Bagatellgrenze von 500 € überschritten wird. Da es sich jedoch zudem um eine sonstige Leistung eines im Ausland ansässigen Unternehmers handelt, liegt ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft gem. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 UStG vor. Elisabeth Mann ist somit verpflichtet, 285 € (1.500 x 19 %) an ihr Wohnsitzfinanzamt abzuführen.

EU-rechtliche Regelungen zum Reverse Charge Verfahren

Gemäß Art. 194–199, 202 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (Richtlinie 2006/12/EG, vormals Art. 21 Abs. 1 Buchst. b) und c) der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG) haben bzw. können die Mitgliedstaaten die Steuerschuldnerschaft umkehren.

§ 13b UStG setzt diese Vorgaben in nationales Recht um. Eine Ermächtigung für die Ausweitung des § 13b UStG durch Art. 14 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (HBeglG 2004) vom 29.12.2003 (BGBl I, 3076, BGBl I 2004, 69; BStBl I 2004, 120) erteilte der Rat mit seiner Entscheidung 2004/290/EG vom 30.03.2004 mit Wirkung vom 01.04.2004 bis zum 31.12.2008 (Amtsblatt der Europäischen Union v. 31.03.2004, Nr. L 94, 59). Der deutsche Gesetzgeber hat bisher nicht die Ermächtigung für die Übertragung der Steuerschuldnerschaft bei Erbringung von Gebäudereinigungsleistungen genutzt.

Wunsch des deutschen Gesetzgebers ist es aber, das deutsche Umsatzsteuersystem in weiten Teilen auf ein Reverse-Charge-Verfahren umzustellen, um so das Steueraufkommen zu sichern. Im Jahr 2006 hat die EU-Kommission allerdings eine Ausnahmegenehmigung nach Art. 27 der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG abgelehnt. Nunmehr bemüht sich das BMF um eine Änderung der EU-rechtlichen Vorschriften mit dem Ziel einer Öffnungsklausel für das Reverse-Charge-Verfahren.

Gestaltungshinweise zum Reverse Charge Verfahren

Mit der Einführung des § 13b UStG hat der Gesetzgeber zum 01.01.2002 die bisherige Regelung des Abzugsverfahrens (§ 18 Abs. 8 UStG i.V.m. §§ 51–58 UStDV) abgelöst (vgl. BMF-Schreiben v. 05.12.2001 – IV D 1 – S 7279 – 5/01, BStBl I, 1013; Abschn. 13b.1 UStAE). Zum 01.04.2004 wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz der Anwendungsbereich auf Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, und auf Bauleistungen erweitert. Die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft hat insbesondere Auswirkungen auf die Rechnungslegung.

Voraussetzungen bei Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers (§ 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG)

Der Leistungsempfänger schuldet die Umsatzsteuer gem. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Werklieferungen und sonstige Leistungen, die ein im Ausland ansässiger Unternehmer an ihn erbringt.

Eingangsumsatz i.S.d. § 13b Abs 2 Satz 1 Nr. 1 UStG

Eingangsumsätze i.S.d. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG sind:

- Werklieferungen

Gemäß § 3 Abs. 4 UStG liegt eine Werklieferung vor, wenn der Unternehmer die Be- oder Verarbeitung eines Gegenstands übernimmt und hierbei selbstbeschaffte Hauptstoffe verwendet.

Beispiel: Frau Dr. Bürger, Bremen, beauftragt die dänische Firma Knöse, das Dach ihres Ärztehauses in St. Peter-Ording neu zu decken.  Die Fa. Knöse erbringt an Frau Dr. Bürger eine Werklieferung nach § 3 Abs. 4 UStG. Der Ort der Werklieferung bestimmt sich nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG und liegt damit in Deutschland. Die Werklieferung ist steuerbar und mangels Befreiung steuerpflichtig. Da die Werklieferung von einem im Ausland ansässigen Unternehmer erbracht wird, schuldet Frau Dr. Bürger als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer gem. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 UStG.

- Sonstige Leistungen

Gemäß § 3 Abs. 9 UStG liegt eine sonstige Leistung vor, wenn es sich nicht um eine Lieferung handelt. Sonstige Leistungen können in einem Unterlassen oder im Dulden einer Handlung oder eines Zustands bestehen.

Beispiel: Die Mann-GmbH, Warendorf, beauftragt die niederländische Firma Sportcheck, ein Gutachten über ihr neues Trampolin-Modell „Hüpf' Dich glücklich“ zu erstellen und dabei insbesondere ein Konzept zur Erschließung asiatischer Märkte für Trampoline zu erarbeiten. Die Fa. Sportcheck hat an die Mann-GmbH eine sonstige Leistung gem. § 3 Abs. 9 UStG ausgeführt. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 3 UStG. Da Empfänger der Beratungsleistung ein anderer Unternehmer ist, wird die Leistung dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Die Leistung ist somit in Deutschland steuerbar und mangels Befreiung steuerpflichtig. Da die Leistung von einem im Ausland ansässigen Unternehmer erbracht wird, schuldet die Mann-GmbH als Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer gem. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 UStG.

Leistungsempfänger i.S.d. § 13b Abs 2 Satz 1 Nr. 1 UStG

Leistungsempfänger i.S.d. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG sind Unternehmer und juristische Personen des öffentlichen Rechts. Privatpersonen fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 13b UStG. Der Wechsel der Steuerschuldnerschaft tritt unabhängig davon ein, ob die Leistung für den unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Bereich bezogen wird.

- Unternehmer

Der Begriff des Unternehmers i.S.d. § 2 UStG umfasst neben den regelbesteuerten Unternehmen auch folgende Fallgruppen (vgl. Abschn. 13b.1 Abs. 1 UStAE):

  • im Inland ansässige Unternehmer,
  • im Ausland ansässige Unternehmer (vgl. auch BFH, Beschl. v. 06.04.2010 – XI B 1/09),
  • Kleinunternehmer,
  • pauschalversteuernde Land- und Forstwirte,
  • Unternehmer, die ausschließlich steuerfreie Umsätze tätigen.

- Juristische Personen des öffentlichen Rechts

Der Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts i.S.d. § 2 Abs. 3 UStG umfasst insbesondere:

  • Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände, Zweckverbände),
  • öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften,
  • Innungen,
  • Handwerkskammern,
  • Industrie- und Handelskammern,
  • sonstige Gebilde, die aufgrund öffentlichen Rechts eigene Rechtspersönlichkeit besitzen.

Leistender Unternehmer i.S.d. § 13b Abs 2 Satz 1 Nr. 1 UStG

Leistender Unternehmer i.S.d. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist ein im Ausland ansässiger Unternehmer i.S.d. § 2 UStG.

Gemäß § 13b Abs. 7 Satz 1 UStG handelt es sich hierbei um einen Unternehmer, der weder im Inland noch auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete einen Wohnsitz (§ 8 AO), seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO), seinen Sitz (§ 11 AO), seine Geschäftsleitung (§ 10 AO) noch eine Betriebsstätte hat.

Das FG München hat mit Urteil vom 13.09.2007 – 14 K 3679/05 klargestellt, dass der Begriff der „Ansässigkeit“ i.S.v. § 13b UStG am Gemeinschaftsrecht auszurichten ist und eine feste Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraussetzen, die eine Einrichtung von Umsätzen ermöglichen (UStB 7/08, 193–194).

Maßgebend für die Beurteilung der Ansässigkeit ist gem. § 13b Abs. 7 Satz 2 UStG der Zeitpunkt, in dem die Leistung ausgeführt wird. Für die Beurteilung, ob der leistende Unternehmer im Ausland ansässig ist, ist es unmaßgeblich, dass ein Unternehmen umsatzsteuerlich bei einem Finanzamt im Inland geführt wird.

Des Weiteren ist unmaßgeblich, ob dem leistenden Unternehmer eine deutsche Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt wurde (vgl. Abschn. 13b.1 Abs. 29 UStAE).

Hinsichtlich bestimmter Fallgruppen im Ausland ansässiger Unternehmer wird auf die Verfügung der OFD Frankfurt a.M. vom 25.04.2002 (S 7279 A – 2 – II A 4a, UR 2003, 42) zur Frage, ob eine inländische Kanzlei einer ausländischen Rechtsanwaltssozietät als inländischer Unternehmer angesehen werden kann, und auf die Verfügung der OFD Frankfurt a.M. vom 01.04.2003 (S 7279 A – 4 – St I 23, UVR 2003, 278) zur Frage inländischer Leistungen ausländischer Betriebsstätten verwiesen.

Praxistipp

Der Leistungsempfänger schuldet die Steuer nur dann nicht, wenn ihm der leistende Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamts nachweist, dass er kein ausländischer Unternehmer i.S.d. § 13b Abs. 7 i.V.m. § 13b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist.

Ein Muster dieser Bescheinigung – USt 1 TS – Bescheinigung über die Ansässigkeit im Inland (§ 13b Abs. 7 Satz 5 UStG) –, die grundsätzlich eine Gültigkeitsdauer von einem Jahr ausweist, ist in Abschn. 13b.1 Abs. 30 und 31 UStAE abgedruckt (vgl. auch BMF-Schreiben v.  10.12.2013 – IV D 3 – S 7279/10/10002).

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