Aktienbesteuerung: Beschränkte Verlustverrechnung verfassungswidrig?

Der BFH hält die Beschränkung bei der Verlustverrechnung von Aktiengeschäften für verfassungswidrig. Nach der geltenden Regelung dürfen Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus anderen Aktienverkäufen verrechnet werden - aber nicht mit sonstigen Kapitaleinkünften.

Der BFH sieht darin eine unzulässige Ungleichbehandlung und hat die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit dem Beschluss vom 17.11.2020 (VIII R 11/18) zur Klärung der Frage angerufen, ob es verfassungsgemäß ist, dass Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die klagenden Eheleute erzielten u.a. Kapitalerträge sowie Verluste aus der Veräußerung von Aktien. Die depotführende Bank stellte dem Kläger eine Verlustbescheinigung aus. Unter den Kapitalerträgen befanden sich keine Aktienveräußerungsgewinne.

Sämtliche Kapitalerträge hatten dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen. Das Finanzamt behandelte die Verluste aus der Veräußerung von Aktien als nicht ausgleichsfähig und stellte den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer für die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Veräußerung von Aktien) fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Der BFH sieht dies teilweise anders.

Ungleichbehandlung durch § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG

Nach Überzeugung des BFH verstößt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG insoweit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, als im Rahmen einer Steuerfestsetzung Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit anderen positiven Kapitaleinkünften verrechnet werden dürfen.

Denn Steuerpflichtige, die Verluste aus der Veräußerung von Aktien erzielt haben, werden gegenüber Steuerpflichtigen mit Verlusten aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG ungleich behandelt.

Denn die Aktienveräußerungsverluste können nur mit Aktienveräußerungsgewinnen und nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede in deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bestehen.

Dies gilt insbesondere, soweit Steuerpflichtige, welche Verluste aus der Veräußerung von Aktien erzielt haben, gegenüber Steuerpflichtigen mit Verlusten aus der Veräußerung aktienbasierter Kapitalanlagen, welche keine Aktien sind, schlechter gestellt werden.

Die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste bewirkt bei vorhandenen positiven Kapitalerträgen, welche keine Aktienveräußerungsgewinne sind, dass sich die Steuerlast für den Veranlagungszeitraum der Veräußerung (Verlustentstehungszeitraum) im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs und der Veranlagung erhöht und ein Liquiditäts- und Zinsnachteil verursacht wird.

Denn der Gesetzgeber lässt anders als bei der Mindestbesteuerung gem. § 10d EStG nicht einen Höchstbetrag zum Abzug im jeweiligen Veranlagungszeitraum zu, sondern verschiebt diesen auf einen ungewissen zukünftigen Zeitpunkt, zu dem Aktienveräußerungsgewinne in der zum Verlustausgleich erforderlichen Höhe vorliegen.

Anders als bei einer einkünfteübergreifenden Verlustverrechnung kann nicht im Wege typisierender Betrachtung davon ausgegangen werden, dass Aktienveräußerungsverluste in der Totalperiode vollständig ausgeglichen werden können, so dass dem Steuerpflichtigen über einen Liquiditäts- und Zinsnachteil hinaus die ganze oder teilweise Nichtberücksichtigung des Verlusts und damit seiner Anschaffungskosten droht.

Bereits zu Lebzeiten besteht die typische Gefahr einer weitgehenden Nichtverrechenbarkeit, wenn nach der Realisation eines Aktienveräußerungsverlusts keine gleichartigen Gewinne nachfolgen. Zudem besteht die Gefahr eines endgültigen Verlustuntergangs bei Versterben des Steuerpflichtigen.

Fehlende Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung

Für diese Ungleichbehandlung fehlt es nach Ansicht des BFH an einem rechtfertigenden Grund. Der Gesetzgeber hat die Gestaltungsfreiheit, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte anderen Regelungen zu unterwerfen als bei den anderen Einkunftsarten, um hierdurch den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung tragen zu können.

Diese Gestaltungsfreiheit entbindet den Gesetzgeber nach Auffassung des BFH jedoch nicht von der Verpflichtung, die Besteuerung innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte folgerichtig auszugestalten. Dieser Verpflichtung hat der Gesetzgeber bei der Schaffung der speziellen Verlustausgleichsbeschränkung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG nicht hinreichend entsprochen.

Er ist von seiner eigenen Grundentscheidung, innerhalb der Schedule der Kapitaleinkünfte eine Verrechnung von Verlusten mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen zuzulassen (gem. § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG), abgewichen, indem er vorhergehende Veräußerungsgewinne aus Aktien uneingeschränkt besteuert und Veräußerungsverluste aus Aktien abweichend von der allgemeinen Regelung einer zusätzlichen Verlustverrechnungsbeschränkung unterwirft.

Der Gesetzgeber überschreitet die Grenzen zulässiger Typisierung, wenn er davon ausgeht, dass die aufgrund eines Börsencrashs zu erwartenden Verluste aus der Veräußerung von Aktien ohne die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG in vollem Umfang steuermindernd geltend gemacht werden und gravierende Auswirkungen auf das Steueraufkommen haben können.

Diese Annahme hält der BFH nicht für realitätsgerecht. Zudem ist die Regelung im Hinblick auf den Lenkungszweck der Verhinderung von Spekulationen auf Kosten der Allgemeinheit ebenfalls zu eng gefasst.

Nicht in die Verlustverrechnungsbeschränkung einbezogen sind nämlich solche Kapitalanlagen, die deutlich höhere Gewinnchancen und Verlustrisiken als Aktien beinhalten und sich deshalb besser für Spekulationszwecke eignen. Möglichkeiten einer verfassungskonformen, also einschränkenden Auslegung sieht der BFH aufgrund des klaren Wortlauts ebenfalls nicht.

Weiterer Verfahrensgang

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit ist entscheidungserheblich für den Besprechungsfall. Nur das BVerfG kann jedoch über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm entscheiden. Daher hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.

Praxishinweis: Derzeit ist unklar, wie die Finanzverwaltung auf den Vorlagebeschluss reagieren wird. Daher sollte gegen Steuerbescheide, in denen sich die beschränkte Verlustverrechnung auswirkt, Einspruch eingelegt und das Ruhen des Verfahrens beantragt werden, um später ggf. noch eine Änderung des Steuerbescheids ermöglichen zu können. Im Ergebnis ist die Begründung des BFH konsequent; es ist jedoch erstaunlich, dass der Gesetzgeber trotz der großen Kritik in der Literatur an der Regelung festgehalten hat.

BFH, Beschl. v. 17.11.2020 - VIII R 11/18

RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

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