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Wann besteht ein Kindergeldanspruch, wenn bereits ein Elternteil im EU-Ausland Kindergeld bezieht? Und wann sind die Leistungen gleichwertig? Der BFH hat den Kindergeldanspruch für eine Mutter abgelehnt, die im Inland Arbeitslosengeld II bezog, während der Vater in Frankreich erwerbstätig war und dort Kindergeld erhielt. Zudem können Entscheidungen ausländischer Behörden Bindungswirkung haben.
Ausgangslage des vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 26.07.2017 entschiedenen Streitfalls war, dass eine Mutter mit ihrer minderjährigen Tochter zunächst gemeinsam mit dem Kindsvater in Frankreich lebte. Später zog sie mit ihrer Tochter nach Deutschland und erhält seitdem Leistungen nach dem SGB II.
Der Kindsvater ist in Frankreich erwerbstätig und erhielt in Frankreich im Streitzeitraum Leistungen für die Tochter, die dem deutschen Kindergeld entsprechen. Deswegen lehnte die zuständige Familienkasse in Deutschland den Antrag der Mutter auf deutsches Kindergeld ab. Der Einspruch blieb erfolglos, die anschließende Klage hatte hingegen Erfolg. Der BFH schlussendlich folgte der in Revision klagenden Familienkasse.
Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der EU, die Familienleistungen wie das Kindergeld nach dem EStG erhalten, fallen in den Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 (VO). Nach Art. 68 VO bestimmt sich, welches Recht der beiden beteiligten Staaten vorrangig anzuwenden ist.
Vorliegend treffen die Ansprüche der Mutter auf Familienleistungen nach deutschem Recht und die Ansprüche des Kindsvaters auf Familienleistungen nach französischem Recht für dasselbe Kind und denselben Zeitraum aufeinander. Die Prüfung eines materiell-rechtlichen Anspruchs nach ausländischem Recht hat dann zu unterbleiben, wenn hierüber bereits eine ausländische Behörde für den Streitzeitraum entschieden hat und dieser Entscheidung Bindungswirkung für die deutschen Behörden und Gerichte zukommt.
Bescheinigungen einer Behörde im EU-Ausland über das Bestehen von Ansprüchen auf ausländische Familienleistungen sind für inländische Behörden und Gerichte, soweit die Auslegung von Unionsrecht nicht betroffen ist, bindend. Dazu wird in allen Mitgliedstaaten der EU der Vordruck E 411 verwendet. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union verpflichtet den ausstellenden Träger, den Sachverhalt, der für den Inhalt seiner Erklärung nach seinen eigenen Rechtsvorschriften maßgebend ist, ordnungsgemäß zu beurteilen und damit die Richtigkeit der in der Bescheinigung aufgeführten Angaben zu gewährleisten.
Solange eine Bescheinigung E 411 nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird (vgl. Art. 5 Abs. 2 bis 4 VO Nr. 987/2009), hat der zuständige Träger des Mitgliedstaats, der nach Art. 68 VO überprüft, ob neben dem inländischen Kindergeldanspruch ein vergleichbarer ausländischer Anspruch auf Familienleistungen besteht, den Inhalt der Bescheinigung zu beachten. Die in der Bescheinigung festgehaltene Entscheidung der ausländischen Behörden ist somit für die deutschen Behörden und Gerichte bindend.
Zur Vermeidung grenzüberschreitender Doppelleistungen ist für konkurrierende Kindergeldansprüche nach Art. 68 VO folgende Reihenfolge vorgesehen: Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer EU-Mitgliedstaaten zu gewähren, stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche an erster Stelle. An zweiter Stelle folgen die durch den Bezug einer Rente und schließlich an dritter Stelle die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.
Im Streitfall ist der Kindsvater erwerbstätig, während die Mutter Arbeitslosengeld II erhält. Dieses wird aber im Gegensatz zum Arbeitslosengeld I nach dem SGB III nicht aufgrund oder infolge einer vorherigen Beschäftigung gewährt. Damit sind die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats Frankreich vorrangig anzuwenden, die Familienkasse hat den Kindergeldanspruch nach Ansicht des BFH daher zu Recht abgelehnt.
Der BFH hat mit dieser Endscheidung für Rechtssicherheit gesorgt, indem er klargestellt hat, dass beim Vorliegen eines Vordrucks E 411 die darin bescheinigten Tatsachen für die deutschen Behörden und Gerichte grundsätzlich bindend sind. Wenn er Elternteile als Mandanten betreut und der andere Elternteil in einem anderen EU-Staat lebt, sollte also jeder Steuerberater klären, ob ein solcher Vordruck im anderen Land ausgestellt worden ist. Denn dann kann anhand der einschlägigen EU-Vorschriften geklärt werden, welche der beteiligten Rechtsordnungen vorrangig anzuwenden ist.
BFH, Urt. v. 26.07.2017 - III R 18/16
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
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