Der BFH hat eine Entscheidung zum Komplex privater Veräußerungsgeschäfte und zur Berechnung der Spekulationsfristen in § 23 EStG gefällt. Für die Berechnung der Fristen ist demnach der wirksame Abschluss der schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfte entscheidend. Ist bei einem Formmangel der eindeutige Parteiwille zur Vertragsbindung feststellbar, kann der Vertrag dennoch wirksam sein.
Der BFH stellt in ständiger Rechtsprechung bei der Berechnung der Veräußerungsfristen gem. § 23 EStG auf den Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungs- und nicht auf das Erfüllungsgeschäft ab. Dabei ist grundsätzlich ausschlaggebend, ob das Verpflichtungsgeschäft zivilrechtlich wirksam ist.
Im Streitfall entschied der BFH, in welchem Veranlagungszeitraum das schuldrechtliche Geschäft abgeschlossen wurde. Kurz vor Jahreswechsel übersandte der Veräußerer von Aktien dem Erwerber einen von ihm allerdings nicht unterschriebenen Kaufvertrag. Dieser unternahm gleichwohl alles, um den Vertrag zu vollziehen und erhielt bereits Zahlungen auf den Kaufpreis.
Ein von beiden Vertragsparteien unterzeichneter Vertrag wurde auf einen ca. drei Monate späteren Zeitpunkt datiert. Der Veräußerer berief sich u.a. darauf, dass mangels Unterschrift der Kaufvertrag von Ende des Jahres gem. § 154 Abs. 2 BGB unwirksam sei.
Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB
Nach § 154 Abs. 2 BGB führt die Nichtbeachtung der für den Vertragsschluss vereinbarten Form im Zweifel dazu, dass der Vertrag nicht zustande gekommen ist. In diesem Zusammenhang ist von einer konkludenten Formabrede bspw. beim Austausch schriftlicher Vertragsentwürfe oder der Übersendung einer schriftlichen Vertragsurkunde auszugehen. Nach der gesetzlichen Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB ist ein schriftlicher Vertragsentwurf, der nur von einer Seite unterschrieben worden ist, im Zweifel noch nicht geschlossen.
Vorrang des tatsächlichen Verhaltens
Gleichwohl geht der BFH im vorliegenden Fall von einem Vertragsschluss aus, weil er die vom FG festgestellten Tatsachen gegenteilig würdigt. In diesem Zusammenhang stellt er die verfahrensrechtlichen Regelungen noch einmal klar.
Zwar ist der BFH grundsätzlich daran gehindert, die festgestellten Tatsachen selbst zu würdigen, es sei denn, dass das FG alle für die Tatsachenwürdigung erforderlichen Tatsachen festgestellt hat und diese Feststellungen nach den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen für eine bestimmte Schlussfolgerung sprechen, die es aber nicht gezogen hat.
Diese Ausnahme sieht der BFH vorliegend als gegeben an. Der BFH würdigt das Verhalten der Vertragsparteien so, dass diese sich bereits Ende des Veranlagungszeitraumes endgültig binden wollten, weil der Vertrag bereits vollzogen war. Deshalb gilt nach Ansicht des BFH die gesetzliche Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB nicht, weil diese nur im Zweifel zur Anwendung kommt, aber das Verhalten der Vertragsparteien dem entgegensteht.
Maßgebend ist künftig das tatsächliche Verhalten der Steuerpflichtigen
Die Entscheidung des BFH ist aus mehreren Gründen für die Praxis von Bedeutung: Zum einen hat der BFH erneut bestätigt, dass es für die Einhaltung der Spekulationsfrist auf den Abschluss der schuldrechtlichen Geschäfte ankommt. Zum anderen gelten auch im Steuerrecht grundsätzlich die zivilrechtlichen Bestimmungen über den Vertragsschluss. Und schließlich hat der BFH seine eigene Kompetenz zur Würdigung von Tatsachen neu definiert: Zieht das FG aus allen festgestellten Tatsachen die falschen Schlüsse, kann der BFH diese eigenständig würdigen.
Die Steuerpflichtigen und deren Berater sollten künftig verstärkt darauf achten, dass alle Tatsachen, die für entscheidungserheblich gehalten werden, im Tatbestand des Urteils enthalten sind, zudem die zivilrechtlichen Regelungen des Vertragsschlusses erfüllt sind und zugleich das tatsächliche Verhalten der Vertragsparteien nicht den behaupteten zivilrechtlichen Regelungen widerspricht.
BFH, Urt. v. 08.04.2014 - IX R 18/13
BFH, Urt. v. 08.04.2003 - IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171 m.w.N.
Quelle: StB und Fachanwalt für Steuerrecht Axel Scholz