Die Fragen, die sich Steuerberater genauso wie Unternehmer derzeit stellen, sind: Wann geht es mit der Erbschaftsteuerreform endlich weiter und wie wird der Gesetzgeber die Regelungen genau ausgestalten?
Erste Anhaltspunkte bieten bisher lediglich die Eckpunkte zur Erbschaftsteuerreform des BMF vom 27.02.2015. Ein Kabinettsentwurf zur Erbschaftsteuerreform war ursprünglich schon für den 25.03.2015 geplant. Für gewöhnlich wäre vor diesem auch bereits ein Referentenentwurf veröffentlicht worden. Bisher ist nichts dergleichen geschehen.
Nach Medienberichten ist die Veröffentlichung eines ersten Entwurfs nun vor der parlamentarischen Sommerpause geplant, die am 04.07.2015 beginnt.
Bis dahin möchten wir die Zeit nutzen und in einem Überblick darstellen, wie die Eckpunkte zur Erbschaftsteuerreform in der Literatur aufgenommen worden sind und wo im Detail weitergehende Problemstellungen liegen.
Dies soll Ihnen als Hilfestellung dienen, den kommenden Entwurf und die weiteren Entwicklungen bis hin zum Reformgesetz im Hinblick auf die Praxis zu bewerten.
Freigrenze und Bedürfnisprüfung
Geplante Regelung in den Eckpunkten vom 27.02.2015
Die bisherigen Verschonungsregelungen begünstigen alle Steuerpflichtigen, unabhängig vom erbschaftsteuerlichen Wert des betrieblichen Vermögens. Zur Erinnerung: Dies sah das Bundesverfassungsgericht kritisch und forderte den Gesetzgeber dazu auf, dem eigentlichen Zweck der Verschonungsregelungen, nämlich der Förderung des deutschen Mittelstandes, mehr Geltung zu verschaffen.
Für größere Betriebsvermögen wurde vom BVerfG „besondere Vorkehrungen“ im Rahmen einer Bedürfnisprüfung gefordert. Nach dem Eckpunktepapier soll nun eine Wertfreigrenze von 20 Millionen Euro gelten, bis zu deren Überschreitung die Verschonungsregelungen angewendet werden können.
Wird die Freigrenze überschritten, so soll eine Bedürfnisprüfung stattfinden. Hier hat der Erwerber nachzuweisen, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die Steuerschuld sofort zu begleichen.
Für Steuerzahlungen sollen dann bis zu 50% des Privatvermögens eines Erwerbers (inklusive des bei Schenkung oder Erbfall übergegangenen Privatvermögens) herangezogen werden, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von Stundungsregelungen.
Abgrenzungsproblem zwischen klein- und mittelständischen und Großunternehmen
Mit Blick auf die erbschaftsteuerliche Bewertungspraxis würde ein Unternehmen mit einem Durchschnittsertrag von circa 1,1 Mio Euro im Jahr unter Anwendung des Vervielfältigers nach § 203 Abs. 3 BewG für 2015 bereits die 20 Millionen-Wertgrenze erreichen.
Vergleicht man diese Zahlen beispielsweise mit der Dividendenzahlung von 815 Millionen Euro, die ein Familienverbund aus der wesentlichen Beteiligung an einem bayrischen Automobilkonzern im Jahr 2015 erhalten hat, so wird klar, dass zwischen kleinen und mittelständischen Unternehmen und wirklichen Großunternehmen sicher noch ein weiter Interpretationsspielraum liegt.
Nicht zu vergessen ist hierbei auch die hohe Eigenkapitalausstattung des deutschen Mittelstands: Wieviel des 1,1 Mio. Euro hohen Durchschnittsertrags würde bei einem entsprechenden Beispielunternehmen wohl am Ende des Tages beim Eigner verbleiben, nach Abzug aller Investitionen zur Sicherung der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit? Tatsächlich werden Erträge oft nicht abgeschöpft, sondern zur Sicherstellung von zukunftssicherndem Wachstum im Unternehmen belassen.
Förderungshöchstgrenze und Abschmelzungsmodell
In der Literatur wird diskutiert, ob im Fall der Einführung einer Freigrenze – entgegen der derzeitigen Vorschläge aus dem BMF – bei Überschreitung der Grenze den Verschonungsabschlag von 85% bzw. 100% nicht direkt komplett zu versagen sondern stufenweise, je nach Betrag der Überschreitung abzusenken (vgl. Steger/Königer, BB 2015, S. 157 (163)).
Hierdurch könnte eine zielgenauere Förderung erreicht werden und der „Alles oder Nichts“-Effekt, welcher zwangsweise aus der derzeit geplanten, vergleichsweise niedrigen Freigrenze resultiert, würde auch abgemildert.
Geht die Bedürfnisprüfung der Eckpunkte an den Vorgaben des BVerfG vorbei?
Laut BVerfG sind die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Verschonungsregelungen mit der Förderung und Bestandssicherung kleiner und mittelständischer Unternehmen zu rechtfertigen, welche das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden.
Demnach müssen dann beim Erwerb von größeren Unternehmensvermögen, die über die Größenklasse eines mittelständischen Unternehmens hinausgehen, schon besondere Gründe für eine Verschonung vorliegen. Die undifferenzierte Anwendung der Verschonungsregelungen auch auf diese Unternehmen führt jedenfalls zu einer gleichheitswidrigen, überproportionalen Begünstigung.
Die derzeitigen Pläne zur Einbeziehung von Privatvermögen des Erwerbers in die Bedürfnisprüfung stoßen auf eine breite Kritik. Schon das BVerfG hat sich im Urteil vom 17.12.2014 zur Einbeziehung von Privatvermögen des Erwerbers eher zurückhaltend geäußert.
So wird dem Gesetzgeber zwar die Möglichkeit einer solchen Regelung grundsätzlich eingeräumt (Rn. 175), zumindest für miterworbenes Privatvermögen innerhalb desselben Vorgangs. Laut BVerfG soll „unter Umständen“ auch bereits schon vorhandenes Vermögen des Erwerbers miteinbezogen werden.
Diese differenzierte Äußerung unterscheidet sich doch stark von den Plänen in den Eckpunkten, welche dem Grunde nach unterschiedslos jegliches Privatvermögen einbeziehen möchten. Erst im zweiten Schritt soll die Quantität des einbezogenen Vermögens dann auf 50% begrenzt werden. Das BVerfG weist in Rn. 153 des Urteils darauf hin, dass eine Ausdehnung der Bedürfnisprüfung in einem erheblichen Widerspruch zu der Systematik des Erbschaftsteuersystems stünde, welches grundsätzlich allein auf die Bereicherung des Erwerbers abstellt und Befreiungen grundsätzlich unabhängig von dessen Vermögenssituation gewährt.
Gut möglich, dass das BVerfG mit seiner vorsichtigen Äußerung bezüglich des Einbezugs bereits vorhandenen Vermögens eher Konstellationen im Blick hatte, in welchen bereits, etwa in schrittweisen Nachfolgeregelungen, Teile des unternehmerischen Vermögens übertragen wurden.
Verfassungs- und europarechtliche Bedenken
Bäuml/Vogel (BB 2015, S. 736 (738) weisen außerdem auf verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Vermengung von Betriebs- und Privatvermögen bei den derzeitigen Planungen zur Bedürfnisprüfung hin. Zudem würde das Modell Fehlanreize setzen, da es zu der Gestaltung verleiten könnte, Betriebsvermögen auf vermögenslose Abkömmlinge zu übertragen. Darüber hinaus sehen die Autoren im Rahmen der Bedürfnisprüfung eventuell auch ein Thema von europarechtlicher Seite.
Hiernach könnte eine schädliche selektive Maßnahme im Sinne des Beihilferechts vorliegen. Der Gesetzgeber müsste dann vorab in Abstimmung mit der EU-Kommission Klarheit schaffen, damit nicht ein weiteres Einfallstor zum Angriff auf die Neuregelung, diesmal von europarechtlicher Seite, entsteht.
Alternativen zur erwerberbezogenen Bedürfnisprüfung
Hechtner (NWB 2015, S. 732 (733) weist daraufhin, dass eine Bedürfnisprüfung nicht unbedingt auf Ebene des Erwerbers durchgeführt werden muss. Vielmehr ist es auch denkbar, die Verhältnisse des übertragenen Unternehmensvermögens in den Fokus zu stellen. So könnte zum Beispiel auch auf betriebswirtschaftliche Größen wie Umsätze, Neuschaffung von Arbeitsplätzen oder Investitionssummen abgestellt werden. Bei dieser Idee würde also die Leistungsfähigkeit des Erwerbsobjekts Basis der Verschonung sein.
Allerdings dürfte es schwierig werden, belastbare Abgrenzungskriterien zu entwickeln, die in der Praxis auch handhabbar sind. Abgesehen davon stehen die betriebswirtschaftlichen Größen nicht unveränderlich im Raum. Demnach müsste eine Orientierung an genannten Kriterien zumindest auf Durchschnittswerte im Rahmen eines längeren Beobachtungszeitraums abstellen.
Bedürfnisprüfung als Gefahr für mittelständische Wirtschaftsstrukturen?
Loritz beleuchtet die Frage der Bedürfnisprüfung in der BDI/vbw/Deloitte-Schriftenreihe zur Erbschaftsteuerreform, Ausgabe II, 20. April 2015 auch im Hinblick auf die politische Dimension.
Hiernach könnten Anteilseigner von kapitalmarktorientierten Unternehmen durch den Wegfall der Verschonung bzw. die geplanten Regelungen zur Bedürfnisprüfung dazu gezwungen sein, ihre Anteile zu veräußern.
In diesem Fall würden dann ggf. ausländische Staatsfonds bzw. Hedgefonds bereitstehen um die entsprechenden Anteile zu erwerben. Somit würden dann ggf. nicht mehr in Deutschland ansässige Unternehmerfamilien über die Geschicke deutscher Großkonzerne (mit)bestimmen, sondern ausländische Institutionen mit eventuell anderen Interessenslagen.
Diese Sorge ist sicherlich nicht völlig unbegründet. Neben den börsennotierten Unternehmen kann die angesprochene Thematik jedoch auch auf größere Mittelständler zutreffen. Gerade diese „Hidden Champions“ im Bereich der Hochtechnologie wurden schon in der Vergangenheit oftmals Ziel insbesondere US-amerikanischer Beteiligungsgesellschaften.
Wenn man die (übermäßige) Beteiligung ausländischer Investoren an den „Filetstücken“ der deutschen Wirtschaft grundsätzlich als Problem sieht, so wäre die Erosion traditioneller mittelständischer Strukturen vielleicht noch ein größeres Thema als die Beteiligung ausländischer institutioneller Anleger an den wirklich großen deutschen Aktiengesellschaften. Hier stellt sich dann tatsächlich die Frage, ob man diesen zweifelsohne schon vorhandenen Trend der „Einkaufstouren“ ausländischer Beteiligungsgesellschaften im deutschen Mittelstand durch erbschaftsteuerlichen Veräußerungsdruck weiter befeuern sollte.
Systemwechsel beim Verwaltungsvermögen
Geplante Regelung in den Eckpunkten vom 27.02.2015
Nach den Eckpunkten soll der bisher bekannte Begriff des Verwaltungsvermögens komplett reformiert werden. An seine Stelle soll das „betriebsnotwendige Vermögen“ treten.
Im Rahmen einer funktionalen Betrachtung sollen dann lediglich Wirtschaftsgüter begünstigt werden, die zu mehr als 50 % betrieblichen Zwecken dienen. Lediglich 10 % des Verwaltungsvermögens sollen nicht besteuert werden. Betriebliche Schulden sollen im Rahmen einer sog. konsolidierten Nettobetrachtung anteilig den begünstigten und nicht begünstigten Vermögenteilen zugeordnet werden.
Zuordnung des betriebsnotwendigen Vermögens
Anstatt wie bisher fest definierte Wirtschaftsgüter per se von einer der Begünstigungen auszuschließen, soll nun also mittels einer Positivdefinition versucht werden, das für die Unternehmensfortführung wesentliche Vermögen zu erfassen.
Unklar ist hier allerdings, wie der Nachweis der mindestens 50 prozentigen Nutzung geführt werden soll. Hier könnte es für die Praxis zu einer immensen Verkomplizierung kommen. Gerade die Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen, Wirtschaftsgüter im Rahmen von Betriebsaufspaltungen sowie von Finanzmitteln dürfte dann regelmäßig zu Konflikten mit der Finanzverwaltung führen.
Der Rückgriff auf einkommensteuerrechtliche Zuordnungskriterien dürfte auch wenig weiterhelfen. Um ein solches System überhaupt für die Praxis durchführbar zu machen, müssten weitere, spezifisch erbschaftsteuerliche Zuordnungskriterien entwickelt werden. Diese könnten zum Beispiel im Rahmen detaillierter Hinweise in den Erbschaftsteuerrichtlinien platziert werden. Wahrscheinlich wird man hier wiederrum mit Typisierungen arbeiten müssen.
Neue Begünstigungschancen für Forderungen?
Eventuell ergeben sich jedoch bei einzelnen Wirtschaftsgütern auch neue Chancen für eine Zuordnung zum begünstigten Betriebsvermögen. So waren insbesondere Forderungen bisher nach § 13 Abs. 2 Nr. 4a ErbStG als Verwaltungsvermögen zu qualifizieren, wenn ihr Wert 20 % des anzusetzenden Werts des Betriebsvermögens übersteigt. Bei einer konsequenten Anwendung einer betriebswirtschaftlichen Sichtweise macht dieses Kriterium keinen Sinn mehr. Vielmehr müssten Forderungen dann grundsätzlich immer dem notwendigen Betriebsvermögen zuzuordnen sein, da durch ihre Begleichung Potenzial für betriebliche Investitionen geschaffen wird (vgl. hierzu auch Loritz, s. oben, S. 6-7).
Änderungen bei der Lohnsummenregelung
Geplante Regelung in den Eckpunkten vom 27.02.2015
Bisher waren Betriebe mit weniger als 20 Arbeitnehmern von der Lohnsummenregelung befreit. Nachdem das BVerfG diese Regelung als unverhältnismäßig angesehen hat, soll nach dem Eckpunktepapier nun bei Unternehmen mit einem Unternehmenswert bis 1 Mio. Euro auf die Anwendung der Lohnsummenregelung verzichtet werden. Die Behaltensfristen von 5 bzw. 7 Jahren sollen jedoch auch auf diese Unternehmen anwendbar sein.
Weitgehend unklar ist, wie der maßgebliche Unternehmenswert von 1 Mio. Euro ermittelt werden soll. Auch gibt es bei der Lohnsummenregelung generell das Problem, dass Unternehmen, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind, gegenüber florierenden Unternehmen benachteiligt werden.
Nach Loritz (s. oben, S. 5) ist die gesamte derzeit geführte Diskussion zu eng gefasst. Für bestimmte Fälle einer Überschreitung der Lohnsumme sollte demnach eine Notfallklausel eingeführt werden, die auch betriebswirtschaftliche sinnvolle Möglichkeiten zum Personalabbau ermöglicht. Generell positiv ist allerdings anzumerken, dass die geplante 1 Mio.-Euro-Grenze eine flexiblere Lösung darstellt als eine pauschale Absenkung der derzeitigen Grenze auf z.B. fünf Arbeitnehmer. Auch dürfte der vom BVerfG monierten Gestaltungsanfälligkeit der Lohnsummenregelung entgegengewirkt sein.
Fazit
Die Eckpunkte des BMF sind als ein erstes Signal zu verstehen, wohin die Reise geht – mehr aber auch nicht. Es muss anerkannt werden, dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen schweren Brocken hingeworfen hat, der erst einmal verdaut werden will.
Es dürfte davon auszugehen sein, dass derzeit hinter verschlossenen Türen einige Punkte noch heiß diskutiert werden. Insbesondere bei den Thematiken Freigrenze und Bedürfnisprüfung besteht derzeit noch Bedarf einer Überarbeitung.
Nach den momentanen Ausblicken ist durchaus zu befürchten, dass die (hoffentlich) verfassungskonformen Neuregelungen zu erheblichen Verkomplizierungen für die Praxis führen werden. Bei der Neudefinition des verschonungswürdigen Vermögens gäbe es sogar eine komplette Systemumstellung. Ebenso dürften sich durch die Änderungen an verschiedenen Stellschrauben Mehrbelastungen ergeben. Ein recht klares politisches Ziel scheint derzeit zu sein, die Begünstigungen bei der Übertragung von Großunternehmen zumindest einzuschränken.