fotolia.de © Walter Luger

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Der BFH gesteht Ausbildungsaufwendungen ein größeres Steuerabzugspotenzial zu

Aufwendungen für eine direkt nach dem Abschluss der Schulausbildung begonnene Berufsausbildung oder ein Studium ließen sich bislang nicht als Werbungskosten absetzen. Sie durften seit 2004 höchstens im Rahmen des Sonderausgabenabzugs mit jährlich bis zu 4.000 € geltend gemacht werden. Hatte der Auszubildende in dem entsprechenden Zeitraum kein ausreichend hohes Einkommen, wirkten sich die Ausbildungskosten gar nicht aus, weil Sonderausgaben nicht in anderen Jahren verrechnet werden können.

Dies ändert sich nun durch die beiden in der vergangenen Woche vom BFH veröffentlichten Urteile. Nunmehr liegen Werbungskosten auch bei der erstmaligen Berufsausbildung oder dem Erststudium vor, wenn diese unmittelbar im Anschluss an das Abitur oder eine andere Schulausbildung aufgenommen werden.

Will ein Medizinstudent - wie in einem der jetzt entschiedenen Fälle - freiberuflicher Arzt werden, kann er seine Aufwendungen entsprechend als vorweggenommene Betriebsausgaben geltend machen. Sofern aufgrund mangelnder Einnahmen durch die Werbungskosten oder Betriebsausgaben negative Einkünfte entstehen, werden sie so lange in die Zukunft vorgetragen, bis entsprechend hohe Einnahmen zur Verrechnung vorliegen. Damit tritt der Entlastungseffekt später ein, indem etwa keine Lohnsteuer auf die erste Gehaltszahlung anfällt.

In der zweiten Entscheidung ging es um die Ausbildung zum Berufspiloten bei einer Fluglinie, für die hohe Aufwendungen entstanden waren. Diese stellen - entgegen der Ansicht des Finanzamts - vorweggenommene Werbungskosten für die angestrebte Tätigkeit als Pilot im Rahmen der nichtselbstständigen Einkünfte dar.

Sofern in beiden Urteilsfällen keine steuerpflichtigen Einnahmen angefallen sind, lässt sich über die Einkommensteuererklärung eine Verlustfeststellung beantragen. Das Finanzamt konserviert die negativen Einkünfte dann per Bescheid zeitlich unbegrenzt für die Zukunft.

Wichtig: Die entstandenen Berufsausbildungskosten müssen im Jahr der Bezahlung in die Anlagen N, G oder S eingetragen werden, nicht erst dann, wenn verrechenbare Einnahmen vorliegen.

Der BFH begründet seine gegenüber der Verwaltungsauffassung abweichenden Ansicht damit, dass sich aus dem Einkommensteuergesetz kein generelles Abzugsverbot von Kosten für erstmalige Berufsbildungsmaßnahmen ergibt. Danach kommt ein Sonderausgabenabzug nur in Betracht, wenn die - grundsätzlich vorrangige - Berücksichtigung als Werbungskosten oder Betriebsausgaben nicht zur Anwendung kommt, z.B. weil kein Bezug zu einem Beruf besteht. Sind die Kosten der Ausbildung aber so hinreichend konkret durch die spätere Berufstätigkeit veranlasst, stellen sie vorweggenommene Werbungskosten dar und der Sonderausgabenabzug kommt nicht zum Tragen.

Praxishinweis

Die aktuellen Grundsatzurteile kommen nicht überraschend. Bereits im Jahr 2009 hatte der BFH entschieden, dass Aufwendungen für ein Erststudium oder eine erstmalige Berufsausbildung nach einer bereits abgeschlossenen Ausbildung oder einem Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend gemacht werden können. Diese Rechtsprechung wird durch einen entsprechenden BMF-Anwendungserlass mit umfangreichen Erläuterungen bereits allgemein angewendet. Während vor zwei Jahren jedoch eine weitere Berufsausbildung vorliegen musste, ist nunmehr jede Bildungsmaßnahme ausreichend, die einen hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit den späteren im Inland steuerpflichtigen Einnahmen aus der angestrebten beruflichen Tätigkeit hat.

Tipp: Liegt dieser erwerbsbezogene Veranlassungszusammenhang während der Ausbildung oder des Studiums vor, ist es steuerlich unschädlich, wenn später ein anderer Beruf ausgeübt wird.

Ob die Finanzverwaltung jetzt ebenfalls mit einem entsprechenden, die BFH-Rechtsprechung anwendenden BMF-Anwendungserlass reagieren wird, ist noch nicht entschieden. Als offizielle Reaktion heißt es lediglich, dass das BMF nunmehr die gesetzgeberischen und verwaltungstechnischen Gestaltungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Eckpunkte prüft, die der BFH in seinem Urteil vorgegeben hat.

Denkbar wäre auch eine „klarstellende“ Gesetzesänderung, die die bisherige Verwaltungsauffassung wiederherstellt. Denn es war der Wille des Gesetzgebers, erstmalige Ausbildungskosten den Sonderausgaben zuzuordnen.

Bis dahin müssen Auszubildende und Studenten abwarten, ob sie ihre Kurs-, Lehrgangs- und Tagungskosten, Studien- und Prüfungsgebühren, Fahrtkosten zur Ausbildungsstätte sowie Fachbücher und andere Lernmaterialien geltend machen können. Sofern ein Arbeitsmittel mehr als 410 € brutto kostet, gelingt das nur durch Abschreibung über die Nutzungsdauer; bei Computer und Laptop sind das drei Jahre.

Diese Aufwendungen können in allen noch offenen Fällen nachgemeldet werden. Wurde bislang noch keine Steuererklärung abgegeben, kann dies bei Arbeitnehmern rückwirkend für mindestens vier Jahre erfolgen. Bis Silvester 2011 kann daher noch die Einkommensteuererklärung für 2007 nachgereicht werden.

BFH, Urt. v. 28.07.2011 - VI R 38/10
BFH, Urt. v. 28.07.2011 - VI R 7/10
BFH, Urt. v. 18.06.2009 - VI R 14/07, BStBl II 2010, 816
BFH, Urt. v. 18.06.2009 - VI R 31/07
BFH, Urt. v. 18.06.2009 - VI R 79/06
BFH, Urt. v. 18.06.2009 - VI R 6/07
BFH, Urt. v. 18.06.2009 - VI R 49/07
BFH, Urt. v. 18.04.1996 - VI R 89/93, BStBl II, 449
BFH, Urt. v. 19.04.1996 - VI R 24/95, BStBl II, 452
BMF-Schreiben v. 22.09.2010 - IV C 4 - S 2227/07/10002 :002, BStBl I, 721
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung v. 16.06.2004, BT-Drucks. 15/3339

Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 24.08.11