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Häusliches Arbeitszimmer: Handlungsempfehlungen

Der Zweite Senat des BVerfG hat mit Beschluss vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09 entschieden, dass die ab Veranlagungszeitraum (VZ) 2007 geltende Neuregelung zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG) mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, soweit das Abzugsverbot diese Aufwendungen auch dann umfasst, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den verfassungswidrigen Zustand rückwirkend zum 01.01.2007 zu beseitigen. Gerichte und Verwaltungsbehörden dürfen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nach der Entscheidung des BVerfG im Umfang der von ihm festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden; laufende Verfahren sind auszusetzen.

Nach dem Ergebnis der Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt spätestens ab dem 10.09.2010 der nachfolgende Erlass. Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung ist danach wie folgt zu verfahren:

Vorläufig ergangene Einkommensteuer- und Feststellungsbescheide

Soweit Einkommensteuer- und Feststellungsbescheide hinsichtlich der Anwendung der Neuregelung zur Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (und 4) AO vorläufig ergangen sind, ist zur Berücksichtigung dieser Aufwendungen bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung grundsätzlich nichts zu veranlassen.

Beantragt ein Steuerpflichtiger ausdrücklich, einen gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 (und 4) AO vorläufig ergangenen Steuer- oder Feststellungsbescheid im Vorgriff auf die Neuregelung zu ändern und dabei Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer zu berücksichtigen, weil ihm kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, bestehen keine Bedenken dagegen, einen nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufigen Steuer- oder Feststellungsbescheid zu erlassen, in dem die vorgenannten Aufwendungen bis zu 1.250 € als Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings auch, dass die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers und die Höhe der zu berücksichtigenden Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden.

Ruhende Einspruchsverfahren

Einspruchsverfahren gegen Einkommensteuer- oder Feststellungsbescheide für VZ ab 2007, in denen unter Berufung auf das beim BVerfG anhängig gewesene Verfahren beantragt wurde, Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer über die Regelungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007 hinaus steuermindernd zu berücksichtigen, ruhen bisher nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO. Diese Verfahren ruhen weiterhin bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung; einer Zustimmung des Einspruchsführers hierfür bedarf es nicht.

Eine im Einspruchsverfahren gewährte Aussetzung der Vollziehung (AdV) (vgl. BMF-Schreiben v. 06.10.2009 - IV A 3 - S 0623/09/10001, BStBl I 2009, 1148) gilt unverändert weiter. Beantragt der Steuerpflichtige im Einspruchsverfahren nun erstmals AdV, kann anstelle der AdV auch ein nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufiger Abhilfebescheid wie oben beschrieben erlassen werden.

Noch nicht veranlagte Steuerfälle

Im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09 - sind Steuer- und Feststellungsbescheide im Interesse des Steuerpflichtigen und aus verwaltungsökonomischen Gründen hinsichtlich der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO vorläufig zu erlassen.

Vor dem Hintergrund der zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der bis 2006 geltenden Fassung ergangenen Entscheidung des BVerfG vom 07.12.1999 - 2 BvR 301/98 (BStBl II 2000, 162), auf die das BVerfG in seinem Beschluss vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09 - ausdrücklich verweist, werden im Rahmen des vorläufigen Steuer- oder Feststellungsbescheids nachgewiesene oder glaubhaft gemachte Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bis zu 1.250 € als Betriebsausgaben oder Werbungskosten berücksichtigt, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.

Hinweis: Der Erlass eröffnet keine Möglichkeit für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide. Dies dürfte insbesondere nichtangefochtene Einkommensteuerveranlagungen aus dem Jahr 2007 betreffen, denen noch kein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt worden ist.

Änderung der Vorläufigkeitsliste

Die Anlage zum BMF-Schreiben vom 01.04.2009 - IV A 3 - S 0338/07/10010 (BStBl I 2009, 510), die zuletzt durch BMF-Schreiben vom 22.07.2010 - IV A 3 - S 0338/07/10010 (BStBl I 2010, 634) neu gefasst worden ist, wird wie folgt gefasst:

Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen:

  • a) Beschränkte Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten (§ 4f, § 9 Abs. 5 Satz 1, § 10 Abs. 1 Nrn. 5 und 8 EStG) für die VZ 2006 bis 2008

 

b) Beschränkte Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten (§ 9c, § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) für VZ ab 2009

 

  • Nichtabziehbarkeit von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben (Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG durch das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm v. 22.12.2005, BGBl I 2005, 3682)
  • Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3, 4, 4a EStG) für die VZ 2005 bis 2009
  • Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG für VZ ab 2005
  • Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG für VZ ab 2005
  • Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG
  • Höhe des Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG)
  • Höhe des Freibetrags zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindenden, auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes (§ 33a Abs. 2 EStG) für VZ ab 2002
  • Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
  • Verfassungsmäßiges Zustandekommen des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom 29.12.2003 (BGBl I 2003, 3076, BGBl I 2004, 69); dieser Vorläufigkeitsvermerk stützt sich nur auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO.

Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die VZ ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorzunehmen.

BMF-Schreiben v. 12.08.2010 - IV A 3 - S 0338/07/10010-03

Quelle: Redaktion Steuern - vom 08.09.10