Sergey Galushko © fotolia.de

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Betriebsprüfung: BFH stellt Zeitreihenvergleich auf den Prüfstand

Besonders bei Betriebsprüfungen entsteht häufig Streit darüber, inwieweit Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden dürfen, wenn Selbständige ihren Buchführungspflichten nicht oder nur unzureichend nachkommen. Nach der Abgabenordnung (AO) muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann.

Werden die Kasseneinnahmen täglich nur in einer Summe in ein Kassenbuch eingetragen, wird dies in der Regel nicht beanstandet. Nach einem Urteil des FG Münster muss das Zustandekommen dieser Summe jedoch nachgewiesen werden, und zwar

  • entweder durch die Aufbewahrung der angefallenen Kassenstreifen, -zettel oder -bons oder
  • durch einen Kassenbericht, aus dem sich die Einnahmen und Ausgaben ergeben,

Wenn solche Nachweise fehlen oder unvollständig sind, sind die Betriebsprüfer berechtigt, Umsätze und Gewinne des Unternehmens hinzuzuschätzen. Um bei dieser Schätzung zu einem sachgerechten Ergebnis zu kommen, greifen die Betriebsprüfer unter anderem auf den sogenannten Zeitreihenvergleich zurück. Die Frage, ob dieser Zeitreihenvergleich als Verprobungs- und Schätzungsmethode geeignet ist, wird bald der BFH klären müssen.

Tagesendsummenbons waren nicht vollständig

Der vor dem FG Münster verhandelte Rechtsstreit geht auf eine Auseinandersetzung zwischen der Betriebsprüfung und einem Gastwirt zurück, der eine Registrierkasse benutzte, mit der er die Einnahmen seiner Speisegaststätte erfasste. Daneben führte er eine weitere Barkasse an der Theke, deren Einnahmen nicht über die Registrierkasse abgerechnet wurden. Die täglichen Bareinnahmen der beiden Kassen stellte er den Barausgaben und Entnahmen gegenüber und ermittelte so die Kassenbestände. Der Betriebsprüfer monierte, dass die Kasse nicht ordnungsgemäß geführt worden sei, weil die Tagesendsummenbons der elektronischen Registrierkasse nicht vollständig vorgelegt wurden und kein Datum enthielten. Der Prüfer nahm für die bemängelten beiden Jahre Zuschätzungen auf Grundlage eines Zeitreihenvergleichs vor. Die Grundlage dafür bildete der wöchentliche Nettowareneinkauf, der um den Eigenverbrauch und die Personalbeköstigung gemindert wurde. Dem Wareneinkauf stellte der Prüfer die wöchentlichen Bruttoeinnahmen gegenüber und ermittelte auf diese Weise wöchentliche Rohgewinnaufschlagssätze. Hiervon bildete der Prüfer für je zehn aufeinanderfolgende Wochen Mittelwerte, auf deren Basis er dann Mehrgewinne bzw. -umsätze errechnete.

Außerdem war im Streitfall die Herkunft von Bareinlagen in Höhe von rund 5.000 € ungeklärt, und es wurden keine freien Entnahmen getätigt. Wegen ungeklärter Vermögenszuwächse nahm der Betriebsprüfer eine Gewinnzuschätzung vor, so dass sich die Umsatzsteuer entsprechend erhöhte.

Betriebsprüfung darf bei mangelhafter Buchführung über Zeitreihenvergleich schätzen

Das FG Münster bestätigte, dass eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach besteht, wenn die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist. Nach der AO sind Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie nicht ermittel- oder berechenbar sind. Geschätzt werden darf insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen nicht vorlegen kann, die er nach den Steuergesetzen führen muss, oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden können. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Buchführung den Vorschriften der AO nicht entspricht oder es im Einzelfall Anlass gibt, ihre sachliche Richtigkeit anzuzweifeln.

Wenn die Kasse nicht stimmt…

Wegen des hohen Anteils des Bargeschäfts beim Betrieb einer Gastwirtschaft hat die Kassenführung eine erhebliche Bedeutung. Laut FG Münster geben im Streitfall bereits die erheblichen festgestellten Mängel in der Kassenführung Anlass, deren sachliche Richtigkeit anzuzweifeln. Da das Kassenbuch rein rechnerisch geführt wurde, war keine Möglichkeit eines Kassensturzes gegeben. Die Eintragungen im Kassenbuch boten auch keine Gewähr für Vollständigkeit, weil die Bons nicht vollständig aufbewahrt wurden und auch keine weiteren Unterlagen (Kassenstreifen etc.) vorlagen.
Ist der Zeitreihenvergleich sachgerecht?

Das FG Münster hält den Zeitreihenvergleich für eine sachgerechte Schätzungsgrundlage und begründet dies wie folgt: Ziel der Schätzung ist es, diejenigen Besteuerungsgrundlagen anzusetzen, die mit größter Wahrscheinlichkeit richtig sind. Die Schätzung muss

  • in sich schlüssig sowie
  • wirtschaftlich vernünftig und möglich

sein. Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde, so das FG Münster. Bei der Wahl der geeigneten Methode muss sie

  • die Art der zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen,
  • die vorliegenden und verwertbaren Unterlagen und
  • die Mitwirkungsbereitschaft des Steuerpflichtigen

berücksichtigen. Schätzungsunschärfen gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen. Das FG hält den Zeitreihenvergleich als inneren Betriebsvergleich für besser geeignet, ein wahrscheinliches Ergebnis zu liefern, als einen äußeren Betriebsvergleich (z.B. eine Schätzung nach Richtsätzen). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich innerhalb des Prüfungszeitraums keine wesentlichen Änderungen in der Betriebsführung und der -struktur ergeben haben. Anders als beispielsweise bei einer Eisdiele sind in einer Speisegaststätte nach Ansicht des FG auch keine saisonalen Schwankungen anzunehmen. Jahreszeitenbedingte Schwankungen der Einkaufspreise von Lebensmitteln werden bereits dadurch widerlegt, dass sich aus den Zeitreihenvergleichen keine nach Jahreszeiten schwankenden Rohgewinnaufschlagssätze ergeben. Schätzungsunschärfen werden dadurch vermieden, dass die ermittelten Ergebnisse abgerundet und Abschläge zugunsten der Unternehmer in einer Größenordnung von 10-15 % vorgenommen werden. Liegen die Zuschätzungen auch im Rahmen der amtlichen Richtsätze für Speisegaststätten, hätte die Schätzung auch bei Anwendung eines äußeren Betriebsvergleichs Bestand.

Das Verfahren ist beim BFH anhängig (Az. X R 20/13).

Praxishinweis

Nach den formalen Vorgaben der AO muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Lage des Unternehmens vermitteln kann.
Faustregeln:

  • Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen.
  • Kasseneinnahmen und -ausgaben müssen täglich festgehalten werden.
  • Bücher, Aufzeichnungen, Buchungsbelege und sonstige Unterlagen, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, müssen geordnet aufbewahrt werden.
  • Nach der Rechtsprechung des BFH können zwar Kasseneinnahmen täglich nur in einer Summe in ein Kassenbuch eingetragen werden; in diesem Fall muss aber das Zustandekommen dieser Summe durch Aufbewahrung der angefallenen Kassenstreifen, Kassenzettel und Bons nachgewiesen werden. Keine Aufbewahrungspflicht besteht lediglich dann, wenn die Einnahmen und Ausgaben anhand eines Kassenberichts nachgewiesen werden, in dem sie mit dem Anfangs- und Endbestand der Kasse abgestimmt sind.
  • Zu den aufzubewahrenden Unterlagen gehören auch die Organisationsunterlagen einer verwendeten Registrierkasse, um Manipulationen aufdecken zu können.
  • Aufbewahrungspflichtig ist auch die Speisekarte einer Gaststätte.

FG Münster, Urt. v. 26.07.2012 - 4 K 2071/09 E,U (anhängig BFH: X R 20/13)
BFH, Beschl. v. 14.05.2013 - X B 183/12
FG München, Urt. v. 29.10.2009 - 15 K 219/07

 

Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 01.10.13