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BVerfG: Aktuelle Rechtsprechung zur Rückwirkung von Steuergesetzen

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich in einem aktuellen Beschluss zur Rückwirkung von Steuergesetzen geäußert. Das Gericht stellte klar, dass rückwirkende Änderungen des Steuerrechts für einen noch laufenden Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum als Fälle unechter Rückwirkung zwar nicht grundsätzlich unzulässig sind, aber besonderen Anforderungen unter den Gesichtspunkten von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit unterliegen.

Immer häufiger geht der Fiskus dazu über, geänderte Steuervorschriften in allen noch nicht bestandskräftigen Bescheiden anzuwenden, da es sich lediglich um eine "Klarstellung" der vorherigen Rechtslage gehandelt hat. Mit dieser Maßnahme können für Steuerzahler günstige Urteile des BFH im Nachhinein wieder ausgehebelt werden. Darüber hinaus hat die Tendenz zugenommen, Gesetzgebungsverfahren bis zur Weihnachtszeit hinauszuziehen, so dass Steuerzahler erst kurz vor Ablauf eines Jahres Klarheit über das geltende Recht bekommen. Auch beim JStG 2013 dürfte dies wieder der Fall sein.

Jetzt hat das BVerfG ein Machtwort gesprochen und für mehr Klarheit gesorgt: Der Erste Senat hat seine Rechtsprechung zur Rückwirkung von Steuergesetzen im Anschluss an mehrere Beschlüsse des Zweiten Senats vom Juli 2010 weiterentwickelt - etwa

  • zur rückwirkend von zwei auf zehn Jahre verlängerten Spekulationsfrist bei der Veräußerung von Grundstücken,
  • zur Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von GmbH-Anteilen und anderen Kapitalanteilen sowie 
  • zur Tarifermäßigung von Abfindungen und Entschädigungen.

Die Anwendung der neuen Regelungen auf vor der Gesetzesverkündung abgeschlossene Vorgänge hatte gegen den Vertrauensschutz verstoßen und war insoweit verfassungswidrig.

Rückwirkende Änderungen des Steuerrechts für einen noch laufenden Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum sind als Fälle unechter Rückwirkung nicht grundsätzlich unzulässig. Sie stehen den Fällen echter Rückwirkung nahe und unterliegen daher besonderen Anforderungen unter den Gesichtspunkten von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit. Das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage wird durch die Einbringung eines Gesetzentwurfs in Frage gestellt und jedenfalls durch den endgültigen Beschluss des Deutschen Bundestages über das rückwirkende Gesetz zerstört.

Im jetzt entschiedenen Fall zum früheren Gewerbesteuergesetz

  • wurde die Anwendung der geänderten Vorschrift mit verfassungsrechtlich unzulässiger Rückwirkung angeordnet,
  • ist das rückwirkende Inkraftsetzen verfassungsgemäß, soweit es den Zeitraum nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses betrifft.

Dies ist unvereinbar mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes im Grundgesetz, soweit vor dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses erfolgte Sachverhalte - wie im entschiedenen Fall beschlossene und zugeflossene Vorabausschüttungen - erfasst werden, und deshalb verfassungswidrig.

Begründung: Wurde eine Regelung erstmals im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat vorgeschlagen, wird das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage durch den Vorschlag des Vermittlungsausschusses beseitigt.

Grundsatz: Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG liegt eine echte Rückwirkung im Steuerrecht nur dann vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Die Änderung von Steuernormen mit Wirkung für einen noch laufenden Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum ist der Kategorie der sog. unechten Rückwirkung zuzuordnen und - im Gegensatz zur echten Rückwirkung - nicht grundsätzlich unzulässig.

Faustregel: Da rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungszeitraums der echten, unzulässigen Rückwirkung in vielerlei Hinsicht nahestehen, gelten für die Vereinbarkeit mit der Verfassung gesteigerte Anforderungen. Wenn der Gesetzgeber das Steuerrecht während des laufenden Erhebungszeitraums umgestaltet und die Änderungen auf den Beginn bezieht, müssen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens verhältnismäßig sein.

  • So beruhen beispielsweise Gewinnausschüttungen nicht zwingend auf einer besonderen Vertrauensdisposition eines Beteiligten, dennoch kann er sich - jedenfalls innerhalb eines Erhebungszeitraums - grundsätzlich auf sein Vertrauen in die geltende Rechtslage berufen. Dieses darf nicht durch den Vorschlag des Vermittlungsausschusses beseitigt werden.
  • Steuerpflichtige können jedoch ab der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag nicht mehr uneingeschränkt darauf vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht werde auch in Zukunft unverändert fortbestehen. Jedenfalls ab dem endgültigen Bundestagsbeschluss müssen die Betroffenen mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung rechnen.

Praxishinweis

Der vom BVerfG jetzt entschiedene Fall ist durch die Besonderheit geprägt, dass die rückwirkend in Kraft gesetzte Hinzurechnungsvorschrift erstmals in der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses enthalten war. Das kommt häufig dann vor, wenn die Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat wie derzeit ungleich verteilt sind.

In Hinsicht auf die vertrauensbeeinträchtigende Wirkung entspricht die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses nicht nur einem Gesetzentwurf, sondern geht darüber hinaus. Denn die Annahme eines solchen Vermittlungsvorschlags durch den Bundestag ist regelmäßig erheblich wahrscheinlicher als die eines Gesetzentwurfs. Der Vermittlungsvorschlag steht nämlich am Ende des parlamentarischen Entscheidungsfindungsprozesses einschließlich der erfolgten Kompromissbemühungen des Vermittlungsausschusses. Der gefundene Vorschlag markiert deren Ergebnis.

Vor diesem Hintergrund erklärten die Richter aus Karlsruhe die Übergangsregelung zum neuen GewStG bei Dividendenausschüttungen für anwendbar, soweit sie nach dem Vorschlag zugeflossen sind, auch wenn der Zufluss noch vor der Verkündung im Bundesgesetzblatt erfolgt ist.

Zwar hatte das BVerfG in einem seiner Beschlüsse aus 2010 Vertrauensschutz für den Fall gewährt, dass der Mittelzufluss vor Verkündung der Neuregelung erfolgt ist. Damals ging es jedoch um Abfindungsvereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit deren Abschluss der Angestellte über den Bestand seines Arbeitsvertrags und so über Teile seiner wirtschaftlichen Existenz disponiert. Die jetzt entschiedene Fallkonstellation ist damit nicht vergleichbar.

Betroffene Unternehmen, welche die Steuerbescheide für das Jahr 2001 offengehalten haben, können nach der Entscheidung mit hohen Steuerrückzahlungen rechnen, soweit sie im Jahr 2001 Dividenden erhalten haben, weil die steuerliche Hinzurechnung der Dividenden für die Gewerbesteuer für nahezu das gesamte Jahr 2001 unzulässig war.

Der aktuelle Beschluss hat nicht nur Auswirkungen auf das aktuell anstehende JStG 2013, sondern auch auf Gesetzgebungsverfahren in der Vergangenheit. Denn die unbeschränkte Rückwirkung von Steuergesetzen, die erst über den Vermittlungsausschuss eingebracht wurden, hat sich abgeschwächt; darüber hinaus müssen Finanzgerichte Regelungen zum Inkrafttreten neu bewerten.

BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 - 1 BvL 6/07
BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010 - 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl 2011 II 86
FG Münster, Beschl. v. 02.03.2007 - 9 K 5772/03 G
FG Münster, Beschl. v. 01.09.2011 - 9 K 5772/03 G
Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz - UntStFG) v. 20.12.2001, BGBl 2001 I 3858

Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 13.11.12