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Finanzverwaltung lässt Einsprüche gegen Grundsteuerfestsetzungen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ruhen

Wohnungs- und Hauseigentümer können ihre Grundsteuerfälle ab sofort mit Verweis auf die umstrittene und möglicherweise veraltete Bemessungsgrundlage für die Kommunalabgabe offenhalten.

Die Finanzämter gehen nämlich jetzt wie folgt vor:

  • Einsprüche, die sich gegen die Einheitswertfeststellung oder den Grundsteuermessbescheid richten, können ruhen, sofern sie sich auf die beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde beziehen, die gegen ein Urteil des BFH vom 30. 6. 2010 eingelegt worden ist. Die Finanzverwaltung gewährt jedoch keine Aussetzung der Vollziehung, so dass die Grundsteuer zunächst einmal trotz ruhendem Einspruchsverfahren weiter in unveränderter Höhe bezahlt werden muss.
  • Anträge auf Aufhebung der Einheitswerte oder Grundsteuermessbeträge werden mit Zustimmung des Antragstellers ausgesetzt. Das hat den Vorteil, dass die Verjährung dieser Festsetzungen bis zur Entscheidung gehemmt wird. Besteht der Hausbesitzer jedoch auf einer sofortigen Entscheidung über seinen Antrag, wird dieser abgelehnt und ein anschließend gegen die Ablehnung gerichteter Einspruch ruht dann ebenfalls.

Für Immobilieneigentümer kann sich das Aufspringen auf Prozesse Dritter durch einen Einspruch mit Verweis auf das anhängige Verfahren lohnen, zumal bei Angabe des Aktenzeichens des Musterverfahrens vorm BVerfG keine eigene Begründung des Rechtsbehelfs erforderlich ist. Bei positivem Ausgang besteht die Aussicht auf eine Rückzahlung von zu viel bezahlter Grundsteuer. Ein Nachteil kann den Immobilieneigentümern nicht entstehen, da im Fall der sogenannten Verböserung eine Rücknahme des Einspruchs in Frage kommt. Das Ruhenlassen des Verfahrens birgt also kein Risiko.

Hintergrund für die Verfassungsbeschwerde ist, dass für die Festsetzung der Grundsteuer immer noch die Einheitswerte aus dem Jahr 1964 und in den neuen ostdeutschen Bundesländern sogar die Wertverhältnisse von 1935 herangezogen werden. Damit basiert die Bemessungsgrundlage auf mindestens über 40 Jahre alte Daten. Diese Regelung hat der BFH in zwei Urteilen für Festsetzungen nach dem 01.01.2007 als verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft eingestuft, weil die Berechnung nicht mehr mit dem allgemeinen Gleichheitssatz im Grundgesetz vereinbar ist. Insoweit ist eine allgemeine Neubewertung von Grundstücken erforderlich.

Das BVerfG hat bereits zuvor die nicht realitätsgerechten Preise beim Einheitswert bemängelt. Das führte dazu, dass die Einheitswerte für die Erbschaft- und Schenkungsteuer bereits 1996 abgeschafft wurden und inzwischen durch marktgerechtere Ermittlungsmethoden ersetzt worden sind. Keine Anpassung gab es hingegen bei der Grundsteuer. Hier werden die Einheitswerte von 1958 unverändert weiter als Bemessungsgrundlage herangezogen. Zwar sind für die Grundsteuer auch die von den Gemeinden festgesetzten Hebesätze maßgebend. Doch auch innerhalb eines Gemeindegebiets kann es zu deutlich unterschiedlichen Wertverhältnisse kommen, die nicht im Einheitswert berücksichtigt werden. Für neue Gebäude ist z.B. ein Vergleich mit den Herstellungskosten von vor mehr als 40 Jahren bestehenden, entsprechenden Gebäuden nicht möglich. Die durchgeführte Schätzung des damaligen Kaufpreises führt nur zu mehr oder minder richtigen Näherungswerten.

Die mehrere Jahrzehnte umfassende Dauer des Hauptfeststellungszeitraums führt zudem zu einer Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots einer folgerichtigen Gesetzgebung. Aufgrund der Entwicklung des Bauwesens gibt es eine immer größere Anzahl von Gebäuden, die sich nach Bauart, Bauweise, Konstruktion oder Objektgröße von den im Jahr 1958 vorhandenen Gebäuden so sehr unterscheiden, dass ihre Bewertung nach Ansicht des BFH nicht mehr mit einer verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Genauigkeit und Überprüfbarkeit möglich ist.

Praxishinweis

Der Streit um die veraltete Bemessungsgrundlage bei der Gemeindeabgabe hat voraussichtlich nur noch eine beschränkte Haltbarkeitsdauer. Denn derzeit beschäftigt sich eine eingesetzte Gemeindefinanzkommission mit möglichen und denkbaren Neuregelungen beim System der Grundsteuer. Anfang diesen Jahres wurden hierzu bereits erste Zwischenergebnisse und Lösungsvorschläge veröffentlicht. Dabei stehen drei verschiedene Lösungsalternativen für eine Neuregelung zur Diskussion:

  • Ermittlung des aktuellen Verkehrswerts eines Grundstücks, basierend auf Lage und Zustand des Gebäudes
  • Pauschalberechnung anhand der Fläche des Grundstücks und des darauf errichteten Gebäudes
  • Kompromiss zwischen exaktem Verkehrs- und Pauschalwert, indem die Grundsteuer anhand einer wertorientierten Boden- und einer wertunabhängigen Gebäudekomponente berechnet wird

Nach Ansicht der Finanzminister der Bundesländer hat sich derzeit aber noch keine einheitliche und eindeutige Positionierung für eines der Reformmodelle herauskristallisiert. Es sollen zunächst bis Ende 2011 die Bürokratie- und Verwaltungskosten ermittelt werden. Daher ist frühestens 2013 mit einer Neuordnung der Grundsteuer zu rechnen.

FinMin Baden-Württemberg, Erlass v. 18.04.2011 - 3 - G 100.0/3
BFH, Urt. v. 30.06.2010 - II R 60/08, BStBl II 2010, S. 897
BFH, Urt. v. 30.06.2010 - II R 12/09, BStBl II 2011, S. 48, beim BVerfG unter 2 BvR 287/11 anhängig
BVerfG, Beschl. v. 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BStBl II 1995, S. 671

Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 27.04.11