§ 129 AO: Offenbare Unrichtigkeit oder nicht? Das ist hier die Frage

Auf den ersten Blick erscheint die Anwendung des § 129 AO einfach: Es geht um offenbare Unrichtigkeiten bei Verwaltungsakten, die berichtigt werden sollen. Doch in der Praxis tun sich Steuerberater schwer, die mechanischen Fehler von Fehlern in einer Schlussfolgerung oder von Rechtsanwendungsfehlern abzugrenzen. Mit den folgenden Ausführungen haben Sie die Anwendung des § 129 AO sicher im Griff – so dass Sie Fehler in den Verwaltungsakten mit der richigen Norm geltend machen.

Von Steuerberater Marian Schildhorn, LL.B.

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Tatbestandsvoraussetzungen § 129 AO

Zunächst sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm zu definieren:

  1. anwendbar auf alle Steuer- /Verwaltungsakte, somit auf Steuerbescheide und diesen gleichgestellten Bescheiden
  2. Schreib- und Rechenfehler sowie ähnliche offenbare Unrichtigkeiten
  3. Offenbarkeit
  4. Beim Erlass des Verwaltungsakts

Beispiele für offenbare Unrichtigkeit: Sie haben konkrete Fagen rund um § 129 AO? Schauen Sie sich hier unsere Beispielgutachten zu folgenden Themen an:

Haftungsvergütung versehentlich einschließlich Umsatzsteuer - offenbare Unrichtigkeit?

Vergessene AfA und Hausgeldzahlungen als offenbare Unrichtigkeiten?

Der klassische Übernahmefehler - Ein Beispielgutachten

§ 129 AO / Bilanzkorrektur - fehlerhate Überleitungsrechnung

Veräußerungsgewinn fehlerhaft in falscher Spalte - Mechanischer Fehler?

 

Voraussetzungen für § 129 AO im Einzelnen

I. Verwaltungsakt

Vorliegend werden beispielhafte einige Verwaltungsakte aufgezählt, auf die § 129 AO anwendbar ist.

  • Anrechnungs – und Abrechnungsverfügungen
  • Grundlagenbescheide
  • Einspruchsentscheidungen
  • Änderungsbescheide

II. Schreib- und Rechenfehler sowie ähnliche offenbare Unrichtigkeiten

Eine Unrichtigkeit nach § 129 AO liegt vor, wenn das von der Behörde Erklärte und das von ihr Gewollte auseinander fallen. Unrichtigkeiten sind rein mechanische Fehler, die sich auch nur rein mechanisch berichtigen lassen.

Mechanische Fehler sind:

  • falsches Ein-/Übertragen
  • Ver-/Übersehen
  • Vergreifen
  • Vertauschen
  • falsches Ablesen
  • Verwechseln

Keine Fehler liegen vor, wenn der Fehler in einer Schlussfolgerung oder in einer anderen Art des Überlegens, in Abgrenzung zum mechanischen Versehen, liegt. Rechtsanwendungsfehler sind daher keine mechanische Versehen bzw. offenbaren Unrichtigkeiten.

Was sind mechanische Versehen im konkreten Fall? Klicken Sie hier und sehen Sie Detail-Fragen und Beispiele zum Vorliegen von mechanischen Fehlern nach § 129 AO.

III. Offenbarkeit

Die Unrichtigkeit des Verwaltungsakts muss offenbar sein. Eine Unrichtigkeit ist nicht erst dann offenbar, wenn der Adressat den Fehler erkennen konnte. Die Unrichtigkeit ist dann offenbar, wenn sie sofort ins Auge springt. Der Fehler muss ohne intensive Prüfung entdeckbar sein.

Offenbarkeit Beispielgutachten 1 – Hier klicken.

Offenbarkeit Beispielgutachten 2 – Hier klicken.

IV. Beim Erlass eines Verwaltungsakts

Grundsätzlich muss das Finanzamt die Unrichtigkeit zu verantworten haben, d.h. der Fehler muss im Festsetzungsverfahren unterlaufen sein. Eine Berichtigung bei einem mechanischen Versehen des Steuerpflichtigen macht sich das Finanzamt aber zu eigen, wenn ein sog. Übernahmefehler vorliegt. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Unrichtigkeit für die Behörde aus der Steuererklärung oder den beigefügten Unterlagen erkennbar war (FG Münster vom 13.10.2010 – 7 K 4838/08). Mangels eines mechanischen Versehens des Steuerpflichtigen können unterlaufene Rechtsfehler des Steuerpflichtigen nicht als Übernahmefehler berichtigt werden (BFH – Urteil vom 24.07.1984 – VIII R 304/81).

Klicken Sie hier und sehen Sie Detail-Fragen und Beispiele zum Vorliegen eines mechanischen Versehens beim Erlass eines Verwaltungsaktes.

 

BFH Entscheidung zu § 129 AO: Urteil vom 08.12.2021 (I R 47/18)

Wann liegen die Voraussetzungen für die Berichtigung steuerlicher Bescheide vor? Der BFH hat geklärt, wann eine „offenbare Unrichtigkeit“ nach § 129 AO gegeben ist. Demnach muss der Fehler klar und deutlich erkennbar sein. Falls danach weitere Sachverhaltsermittlungen für die korrekten Angaben erforderlich sind, schadet das nicht unbedingt. Maßstab ist die Sicht eines unvoreingenommenen Dritten. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 08.12.2021 (I R 47/18) entschieden, dass zur Bestimmung der zutreffenden Höhe des steuerlichen Einlagekontos die mechanische Übernahme der im Jahresabschluss angegebenen Kapitalrücklage nicht ausreicht. Auf einer zweiten Stufe sind noch weitere Sachverhaltsermittlungen zur Einstufung der tatsächlichen Höhe des steuerlichen Einlagekontos erforderlich. Hier klicken und weiterlesen.

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