bilderbox © fotolia.de

bilderbox © fotolia.de

Beraterpraxis, Steuerberatung, Steuerfachangestellte -

BFH zweifelt an Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftsteuerreform 2009

Nach Ansicht des BFH ist die (fast) vollständige steuerliche Freistellung von vererbtem oder verschenktem betrieblichem Vermögen verfassungswidrig. Dies geht aus einem am 10.10.2012 veröffentlichten Beschluss hervor. Dem Verfahren liegt die Besteuerung eines Erbanfalls im Jahre 2009 zugrunde.

Wer einen vererbten Betrieb mindestens fünf bzw. sieben Jahre fortführt, muss darauf wenig oder (bei der längeren Alternative) keine Erbschaftssteuer zahlen, sofern das Lohnniveau im Unternehmen in dieser Zeit in etwa gleichbleibt. Dass der Fiskus Unternehmenserben verschont, stellt laut BFH eine ungerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar. Es kann nicht unterstellt werden, dass die Zahlung von Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährdet, so der BFH klarstellend.

Das BVerfG hatte zwar 2006 die Gemeinwohlverpflichtung von Betriebsvermögen betont und dem Gesetzgeber damit die Möglichkeit offengelassen, dieses zu verschonen. Das darf aber nicht dazu führen, dass durch Umgehungstatbestände (etwa die Cash-GmbH) Kapitalvermögen über eine neu gegründete GmbH steuerfrei an die Kinder verschenkt oder vererbt wird.

Die sehr umfangreiche Begründung der 65 Seiten umfassenden Vorlage thematisiert folgende Kernbotschaften:

  • Die vorgesehenen Steuervergünstigungen gehen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinaus.
  • Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften stellt eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar. Die steuerliche Verschonung geht weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, da Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert freigestellt werden, selbst wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden sind.
  • Die Bedingung des Arbeitsplatzerhalts ist nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe höchstens 20 Beschäftigte haben und schon deshalb nicht unter die sog. Arbeitsplatzklausel fallen. Zudem lässt das Gesetz Gestaltungen zu, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichen, dass es für die Verschonung auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten im Ergebnis nicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen nach dem Erwerb ankommt. Der BFH nennt hierzu in seinem Beschluss Beispiele.
  • Die §§ 13a und 13b ErbStG weisen einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang auf. Sie ermöglichen, dass Steuerpflichtige durch rechtliche Gestaltungen nicht betriebsnotwendiges Vermögen in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung erwerben. Es steht nämlich weitgehend in der individuellen Dispositionsfreiheit des Erblassers oder Schenkers, private Vermögensgegenstände zu steuerbegünstigtem Betriebsvermögen zu machen. 
  • Auch die Bestimmungen hinsichtlich des sog. Verwaltungsvermögens sind nicht geeignet, risikobehaftetes (und damit zu begünstigendes) Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem (und daher nicht zu begünstigendem) abzugrenzen. So kann bei entsprechender Gestaltung deutlich über 90 % des gesamten Betriebsvermögens steuerfrei bleiben. Dies gilt sogar für Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten. Hierbei wird indirekt ein Anteil an einer GmbH oder GmbH & Co. KG übertragen, ohne dass Erbschaftsteuer anfällt.

Tenor: Die anwendbaren Steuervergünstigungen führen dazu, dass die Steuerbefreiung die Regel ist und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme bleibt. Das führt im Ergebnis zu einer verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, denn diejenigen Steuerpflichtigen, die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, werden in ihrem Recht auf eine gleichmäßige Besteuerung verletzt.

Praxishinweis

Die Vorlage an das BVerfG kommt wenig überraschend, denn der BFH hat hierzu bereits das BMF zum Verfahrensbeitritt aufgefordert und aus BFH-Sicht unvertretbare Überprivilegierungen sowie Ungereimtheiten ausführlich dargelegt. Das BMF, das dem Verfahren beigetreten ist, vertritt die Auffassung, dass die Steuervergünstigungen bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten durch die Erhaltung von Arbeitsplätzen beim Betriebsübergang auf Erben oder durch Schenkung gerechtfertigt sind. Dass Unternehmen mit weniger Beschäftigten die Steuervergünstigungen ohne Rücksicht auf die Erhaltung der Arbeitsplätze beanspruchen können, dient der Verringerung von Bürokratieaufwand. Zu den vom BFH gestellten Fragen nach den praktischen Erfahrungen mit den aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten machte das BMF lediglich statistische Angaben und teilte nicht mit, wie die Finanzverwaltung diese beurteilt und behandelt.

Die (im Urteilsfall vom Kläger beanstandete) Gleichstellung von Geschwistern, Nichten und Neffen mit familienfremden Dritten bei der Erbschaftbesteuerung im Jahre 2009 erklärt der BFH dagegen für rechtens. Der BFH teilt nicht die Ansicht der entfernt Verwandten, dass die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II (u.a. Geschwister, Neffen und Nichten) mit Personen der Steuerklasse III (fremde Dritte) verfassungswidrig sei. Nach Auffassung des BFH ist der Gesetzgeber von der Verfassung her nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besserzustellen als die der Steuerklasse III. Art. 6 GG bezieht sich nur auf die Familie - als Gemeinschaft von Eltern und Kindern -, nicht aber auf Familienmitglieder im weiteren Sinn wie etwa Geschwister oder Abkömmlinge von Geschwistern. Im engen Kreis gilt die günstigste Steuerklasse I.

Die Beanstandungen des BFH zur Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsbesteuerung haben auch Auswirkungen auf die Vermögensteuer. Denn bei einer Wiedereinführung dieser in 2006 abgeschafften Steuerart ist geplant, Betriebsvermögen zu begünstigen. Wie bei der Erbschaft- ist auch bei der Vermögensteuer die Besteuerung von Betriebsvermögen ein schwerwiegendes Problem, weil durch die Besteuerung von Betriebsvermögen die Substanz der Wirtschaft vernichtet wird und Arbeitsplatzvernichtung droht. Verzichtet der Fiskus aber darauf, verstößt er gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der Gesetzgeber muss also zwischen zwei Problemfeldern abwägen.

BFH, Beschl. v. 27.09.2012 - II R 9/11
Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz - ErbStRG) v. 24.12.2008, BGBl 2008 I 3018

Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 16.10.12