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Erben aufgepasst: Der BFH prüft die Erbschaftsteuerreform 2009!

Das Erbschaft- und Schenkungsteuerreformgesetz 2009 kommt möglicherweise bald erneut auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand. Denn der BFH äußert in zwei Bereichen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die neue Fassung des ErbStG und hat daher in diesem Zusammenhang nun das BMF zum Verfahrensbeitritt aufgefordert.

Im Wesentlichen geht es um zwei Bedenken.

  1. Verstoß gegen den Gleichheitssatz aufgrund des nur im Jahre 2009 geltenden gleichen Steuersatzes bei Anwendung der Steuerklassen II und III. 
  2. Übertriebene Steuerverschonung von Betriebsvermögen. Dies erscheint verfassungsrechtlich problematisch, da durch eine gezielte Gestaltung Sachverhalte begünstigt werden, deren Befreiung nicht sachgerecht ist.

Die Zweifel an der Erbschaftsteuerreform 2009 bestehen, da etwa Geschwister, Neffen und Nichten in der Steuerklasse II mit nicht verwandten fremden Dritten der Steuerklasse III gleich schlecht gestellt werden. Im Verfahren musste der Neffe auf den Nachlass seines Onkels nach Abzug des Freibetrags von 20.000 € zum ungünstigsten Steuersatz von 30 % 9.360 € Erbschaftsteuer auf sein erhaltenes Bankguthaben von 51.266 € zahlen. Nach Ansicht des BFH ist zu entscheiden, ob diese Belastung verfassungsgemäß ist und inwieweit der Tarif deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt. Das gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Nachkommen generell durch die bloße Wahl bestimmter betrieblicher Gestaltungen eine Steuerfreiheit des Erbteils von 85 % oder sogar 100 % - unabhängig von der Vermögenszusammensetzung - erreichen können, während nach dem vom BVerfG beanstandeten alten Recht für Betriebsvermögen nur eine Steuerbefreiung von 65 % möglich war.

In dem weiter laufenden BFH-Verfahren muss entschieden werden,

  • ob die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III verfassungsgemäß ist und
  • ob die Regeln für das Betriebsvermögen deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen, weil sie es ermöglichen, durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen - z.B. von Anteilen an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft oder von mehr als 25 % der Anteile an einer GmbH - die Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl zu erreichen.

Hierbei wird beispielsweise Kapitalvermögen als Festgeldguthaben in eine zu diesem Zweck gegründete Einmann-Gesellschaft als sog. „Spardosen-GmbH" eingelegt oder verkauft, möglicherweise sogar unter Stundung des Kaufpreises an eine weitere GmbH des Gesellschafters. Der BFH beanstandet, dass die Lohnsummen-Regelung ins Leere läuft, weil hier Vermögen ohne Mitarbeiter verwaltet wird.

Eine verfassungsrechtlich problematische Gestaltungsmöglichkeit ergibt sich daraus, dass die Erbschaftsteuerreform ab 2009 ausdrücklich auch den Erwerb eines Anteils an einer Gesellschaft in die Steuervergünstigungen einbezieht. Dabei ist unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Vollverschonung möglich - und dies für Privatvermögen mit ansonsten voller Besteuerung. Beim Besitzerwechsel fallen Erbschaft- oder Schenkungsteuer nicht an, wenn das Vermögen zuvor ins Betriebsvermögen eingelegt wurde und es sich dabei nicht um schädliches Verwaltungsvermögen handelt.

Hinweis: Das BVerfG hatte bereits im alten Recht die Möglichkeit von Gewerbetreibenden, Betriebsvermögen in weitem Umfang steuerfrei zu stellen und so durch bilanzpolitische Maßnahmen auf die Steuerbelastung einzuwirken, aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch gewürdigt. Dieser Kritikpunkt besteht im neuen Recht nicht nur weiterhin, sondern hat sich sogar noch verschärft, denn durch die Schaffung gewillkürten Betriebsvermögens und durch weitere Gestaltungen bleiben nunmehr nicht nur 65 % (nach Abzug des Freibetrags von 225.000 €), sondern entweder 85 % oder sogar 100 % des begünstigten Betriebsvermögens steuerfrei.

Praxishinweis

Der BFH bittet das BMF um Mitteilung, welche praktischen Erfahrungen es bisher zu den aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Sollte die Prüfung der angesprochenen Verfassungsfragen einen Verstoß gegen das Grundgesetz ergeben, müsste der BFH das Verfahren aussetzen und eine Entscheidung des BVerfG einholen. Dem Tenor nach dürfte wahrscheinlich sein, dass der BFH auch bei der Neuregelung von der Verfassungswidrigkeit ausgeht. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass das Verfahren bald in Karlsruhe anhängig sein wird, und zudem denkbar, dass das BVerfG das neue ErbStG wie bereits 2006 für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zu einer Änderung verpflichtet. Bis zu einem Urteil dürften allerdings Jahre vergehen.

In der Zwischenzeit sollten Betroffene alle Erbfälle und Schenkungen seit dem 01.01.2009 offenhalten und das Ruhen des Einspruchsverfahrens beantragen, sofern die Verwaltung nicht dazu übergeht, die Steuerbescheide mit entsprechenden Vorläufigkeitsvermerken zu versehen.

Insbesondere sollten nicht näher verwandte Geschwister, Neffen, Nichten und Eltern beim Erwerb zu Lebzeiten ihre Erbschaftsteuerfälle 2009 über einen ruhenden Einspruch offenhalten. Ihre Erfolgsaussichten sind nicht unrealistisch.

In Hinblick auf den weiteren Verfahrensverlauf sind zudem zwei Aspekte zu beachten:

  1. Aktuell anstehende Schenkungen sollten mit einer vertraglichen Rückabwicklungsklausel ausgestattet werden. So kann man später noch auf Änderungen der Rechtslage reagieren.
  2. Vermögensübertragungen als vorweggenommene Erbfolge sollten insbesondere im betrieblichen Bereich - wenn möglich - zeitlich vorgezogen werden, denn man darf davon ausgehen, dass die derzeitigen Regelungen im ErbStG günstiger sind als die möglicherweise anstehenden Änderungen.

BFH, Beschl. v. 05.10.2011 - II R 9/11
BVerfG, Beschl. v. 07.11.2006 - 1 BvL 10/02, BStBl 2007 II 192


Quelle: Dipl.-Finanzwirt Robert Kracht - vom 22.11.11