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Verfahrensrecht -

Nachzahlungszinsen: Berechnung bei freiwilligen Vorauszahlungen

Wie sind die Nachzahlungszinsen bei freiwilligen Steuervorauszahlungen zu berechnen? Und wann werden Zinsen wegen „sachlicher Unbilligkeit“ erlassen? Der BFH hat entschieden, dass der Zinslauf bei freiwilligen Zahlungen auf erwartete, aber noch nicht festgesetzte Steuern mit dem Tag der Zahlung - und nicht mit dem Folgetag - beginnt. Dem widersprechende Regelungen im AEAO sind unwirksam.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, wie der Zinslauf zu berechnen ist, wenn der Steuerpflichtige freiwillig Steuern im Voraus zahlt.

Eine GmbH teilte ihrem Betriebsstättenfinanzamt (FA) schriftlich mit, dass aufgrund einer laufenden Betriebsprüfung Körperschaftsteuernachzahlungen zu erwarten seien, kündigte eine freiwillige Körperschaftsteuerzahlung in entsprechender Höhe an und überwies diesen Betrag. Nach Abschluss der Betriebsprüfung erließ das FA geänderte Körperschaftsteuerbescheide und setzte u.a. Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO fest.

Wenige Tage später beantragte die GmbH auf der Grundlage von Nr. 70.1.1 Satz 2 AEAO zu § 233a AO den Erlass der festgesetzten Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen und verwies auf die freiwillige Zahlung. Die GmbH ging davon aus, dass Zinsen für 43 volle Monate zu erlassen sind, und bezog bei ihrer Berechnung den Zahlungstag vollständig ein. Das FA gab diesem Antrag nur teilweise statt: Nach den Beispielen 14 und 15 in Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a AO beginne der „fiktive Zinslauf“ erst am Tag nach der Zahlung, so dass von 42 vollen Zinsmonaten auszugehen sei. Das Finanzgericht und der BFH hingegen folgten der GmbH.

Einhaltung des Ermessens nach Anwendungserlass

Dass die Zinsen teilweise zu erlassen sind, war im Verfahren vor dem BFH unstreitig, lediglich die Höhe der zu erlassenden Zinsen war unklar. Das FA hielt sich mit seiner ablehnenden Entscheidung an die Beispiele 14 und 15 zu Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a AO. Als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift war der AEAO für das FA bindend. Für den BFH sind die darin enthaltenen Regelungen zur Berechnung der „fiktiven Erstattungszinsen“ jedoch nicht ermessensgerecht, weil entgegen der Regelung bei Nachzahlungszinsen für den Beginn des „fiktiven Zinslaufs“ nicht auf den Tag der freiwilligen Zahlung, sondern erst auf den Folgetag abgestellt wird.

Beginnt der Zinslauf mit dem Tag der Zahlung oder dem Folgetag?

Aus Sicht des BFH ist es nicht sachgerecht und keine rechtmäßige Ermessensausübung, bei der Berechnung des Erlassbetrags den Zinslauf der „fiktiven Erstattungszinsen“ – also den „fiktiven Zinslauf“ – abweichend von den für Erstattungszinsen geltenden Regelungen zu bestimmen. Davon gehen die Richtlinien in den Beispielen 14 und 15 in Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233a AO aber aus, indem dort als Beginn des „fiktiven Zinslaufs“ nicht auf den Tag der freiwilligen Leistung, sondern auf den Folgetag abgestellt wird.

Im Ausgangspunkt lehnt sich die Berechnung der „fiktiven Erstattungszinsen“ im AEAO an die Zinsregelungen in § 233a AO an. Für den BFH ist das sachgerecht und führt dazu, dass der „fiktive Zinslauf“ wie der gesetzliche Zinslauf mit Ablauf des Tags endet, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Hinsichtlich des Beginns des Zinslaufs bestimmt § 238 Abs. 1 Satz 2 AO abweichend von den Regelungen des Zivilrechts, dass Zinsen von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, zu zahlen sind.

Die Formulierung „von dem Tag an“ ist laut BFH zweifelsfrei in dem Sinne zu verstehen, dass der erste Tag des Zinslaufs von Anfang an, also ab 00:00 Uhr, bei der Berechnung des Zinslaufs und der Ermittlung der vollen Monate mitzuzählen ist. Die Regelung in § 238 Abs. 1 Satz 2 AO gilt auch für die Bestimmung des Zinslaufs bei Erstattungszinsen. Die Verzinsung beginnt hier frühestens mit dem Tag der Zahlung, so § 233a Abs. 3 Satz 3 zweiter Halbsatz AO.

Für den BFH ist kein Grund ersichtlich, warum der Zinslauf bei der Berechnung „fiktiver Erstattungszinsen“ abweichend von der durch die AO vorgegebenen Regelungssystematik bestimmt werden sollte. So hält es der BFH für nicht ermessensgerecht, von Letzterer ohne triftigen Grund abzuweichen und zu unterstellen, dass das Kapital dem Steuerpflichtigen bei freiwilliger Leistung am Zahltag noch zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestanden hat, im Fall einer Leistung nach vorheriger Festsetzung (z.B. von Vorauszahlungen) aber nicht.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BFH ist konsequent und gut begründet. Der Zinslauf bei freiwilligen Zahlungen auf erwartete, aber noch nicht festgesetzte Steuern beginnt entsprechend der gesetzlichen Regelung in der AO mit dem Tag der Zahlung. Die bisher geltende Regelung im AEAO ist damit unwirksam. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung darauf reagiert. Jeder Unternehmer, der auf erwartete Steuerfestsetzungen freiwillige Zahlungen leistet, sollte diese Entscheidung kennen und die Zinsberechnung im Steuerbescheid entsprechend überprüfen.

BFH, Urt. v. 31.05.2017 - I R 92/15

Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht