Die derzeitige Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen ist Gegenstand mehrerer aktueller gerichtlicher Verfahren. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinssatzes von 6 % pro Jahr bestehen vor allem im Zusammenhang mit dem momentan allgemein niedrigen Zinsniveau. Auch in der Politik gibt es derweil Pläne, die Höhe der Steuerzinsen für die in der Abgabenordnung geregelten Fälle anzupassen.
Mit einer Pressemitteilung vom 06.12.2016 sprach sich Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer für eine Anpassung der steuerlichen Zinssätze an das aktuelle Zinsniveau aus. Bürger könnten am Finanzmarkt kaum noch Zinsen erzielen und der Staat erhebe dennoch 6 % p.a. Um diese Diskrepanz zu beseitigen, soll der Zinssatz für Erstattungen und Nachzahlungen i.H.v. 6 % an das aktuelle Kapitalmarktniveau angepasst werden.
Grundsatz: Wann müssen Zinsen gezahlt werden?
Grundsätzlich sind Steuern nur dann zu verzinsen, soweit dies gesetzlich angeordnet ist. Die Zinsberechnung richtet sich nach § 238 AO und beträgt für jeden vollen Monat 0,5 %, also 6 % p.a. Die Verzinsung kann durch unterschiedliche in der Abgabenordnung aufgeführte Ereignisse ausgelöst werden.
Nach § 233a AO sind Steuernachforderungen und Steuererstattungen grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, zu verzinsen. Beispielsweise werden zu zahlende oder zu erstattende Beträge der Einkommensteuer für das Jahr 2015 ab April 2017 verzinst.
Ferner fallen nach § 234 AO Stundungszinsen für die Dauer einer gewährten Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis an. Ebenso sind hinterzogene Steuern nach § 235 AO, Erstattungsbeträge aus Prozessen nach § 236 AO oder Beträge aufgrund einer Aussetzung der Vollziehung gem. § 237 AO zu verzinsen.
Mögliche Anpassungen in Richtung einer realitätsnahen Verzinsung
Hessens Finanzminister schlug im April 2016 in einem an den Bundesfinanzminister Dr. Schäuble und die Finanzminister der Länder gerichteten Brief vor, entweder den Zins für Forderungen und Erstattungen gleichermaßen zu senken oder aber zwei unterschiedliche Zinssätze für Nachzahlungen und Erstattungen zu erheben. Diese sollten sich dann im Fall von Erstattungen an Einlagezinsen und im Fall von Nachzahlungen an Kreditzinsen orientieren. In jedem Fall aber solle in Zukunft eine automatische Anpassung an die Zinssätze am Kapitalmarkt erfolgen.
Aktuell anhängige Verfahren zur Zinshöhe
Die Unzufriedenheit mit der Zinshöhe von 6 % drückt sich in mehreren Verfahren vor den Gerichten aus. Das beim Bundesfinanzhof anhängige Revisionsverfahren mit dem Az. I R 77/15 hat die Frage zum Gegenstand, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO von 0,5 % pro Monat verfassungswidrig ist und die daher zu hoch festgesetzten Nachzahlungszinsen nach § 233a AO aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind.
Ein vor dem Finanzgericht Münster anhängiges Verfahren (Az. 10 K 2472/16 E) wird vom Bund der Steuerzahler als Musterverfahren unterstützt und hat ebenfalls die aktuelle Zinshöhe in der Niedrigzinsphase zum Gegenstand.
Darüber hinaus liegt auch beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde vor (Az. 2 BvR 1711/15), die die Verfassungsmäßigkeit des in § 238 AO geregelten Zinssatzes zum Gegenstand hat.
Praxishinweis
Die Äußerungen des Hessischen Finanzministers sind ebenso zu begrüßen wie die im Zuge dessen kolportierten Änderungspläne einer Bundestagsfraktion. Wann jedoch das Zinsniveau angepasst wird, ist zurzeit nicht absehbar. Steuerpflichtige sollten sich daher in allen offenen Fällen auf die oben angeführten anhängigen Verfahren berufen und im Einspruchsverfahren gem. § 363 Abs. 2 AO ein Ruhen des Verfahrens beantragen. Möglicherweise deuten die Änderungsbestrebungen der Politik darauf hin, dass das steuerliche Zinsniveau als ungerecht empfunden wird. Dementsprechend könnten auch die Richter positiv für die Steuerpflichtigen entscheiden.
Hessisches Ministerium der Finanzen, Pressemitteilung v. 06.12.2016
Quelle: Dipl.-Volkswirt Volker Küpper