Wann liegt eine „nachträgliche Kenntnisnahme“ von Umständen im Sinne des § 173 AO vor, die zu einer Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids führt? Im Fall einer nachträglich bekannt gewordenen Betriebsaufspaltung hat der BFH die Voraussetzungen näher erläutert. Demnach reichen bloße Indizien in den Steuerakten regelmäßig nicht aus, um eine (vorhergehende) Kenntnis des Finanzamts zu begründen.
Ein Ehepaar vermietete als GbR eine Immobilie an eine GmbH, an der der Ehemann zu 60 % und die Ehefrau zu 40 % allein beteiligt waren. Die damit und mit der Überlassung von weiterem Grundbesitz erzielten Einkünfte wurden als solche aus Vermietung und Verpachtung erklärt. In den Einkommensteuerakten der Ehefrau für das Streitjahr bzw. die Folgejahre sind deren Lohnsteuerkarten enthalten, die von der GmbH, an die der Grundbesitz vermietet war, als Arbeitgeberin ausgestellt worden waren. Zudem lagen Steuerbescheinigungen dieser GmbH über Ausschüttungen an die Ehefrau vor.
Mit dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr forderte das zuständige Finanzamt u.a. den Mietvertrag zwischen den Eheleuten und der GmbH an. Ob die Eheleute dieser Aufforderung folgten, ist unklar, jedenfalls findet sich in den Einkommensteuerakten keine Kopie des angeforderten Mietvertrags. Das Ergebnis der Vermietungstätigkeit wurde auch in den Folgejahren als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärt und entsprechend veranlagt. Nach einigen Jahren trennten sich die Eheleute, und der Ehemann übernahm die gesamte Immobilie.
Erst als eine Betriebsprüfung stattfand und die Prüfer den fraglichen Mietvertrag einsahen, wurden die endgültigen Einkommensteuerbescheide geändert und für diese Vermietung gewerbliche Einkünfte festgestellt. Dagegen ging die Ehefrau vor.
Der BFH teilte jedoch die Ansicht des Finanzamts mit folgender Begründung: Unter allen Beteiligten lag unstreitig eine Betriebsaufspaltung vor, weil die überlassene Immobilie eine wesentliche Betriebsgrundlage für die GmbH war und die Eheleute die alleinigen Gesellschafter dieser GmbH waren. Streitig war lediglich, ob das zuständige Finanzamt nachträglich davon Kenntnis i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erlangt hatte.
Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer Erhöhung der Besteuerungsgrundlagen führen. Weil § 173 AO keine allgemeine Fehlerberichtigungsvorschrift ist, rechtfertigt nur das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln eine Änderung nach dieser Vorschrift, nicht hingegen ein nachträglich erkannter Rechtsfehler. Daher müssen Tatsachen oder Beweismittel, die nachträglich bekanntgeworden sind, für eine Korrektur nach dieser Vorschrift maßgeblich sein. Bloße rechtliche Erwägungen reichen hingegen nicht aus.
Ein Bescheid darf wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel aus diesem Grund lediglich aufgehoben oder geändert werden, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte.
Zeitpunkt der Kenntnis der maßgeblichen Tatsache
Dem Finanzamt ist der entscheidende Mietvertrag, der bereits im Streitjahr geschlossen worden ist, erstmals im Rahmen der Betriebsprüfung einige Jahre später bekanntgeworden. Erst aufgrund der Kenntnis dieses Mietvertrags, der eine Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellt, waren dem Finanzamt alle Voraussetzungen bekannt, die die Annahme einer Betriebsaufspaltung begründeten.
Der BFH ist nicht der Ansicht, dass dem Finanzamt auch ohne die Kenntnis des Mietvertrags die zur Annahme einer Betriebsaufspaltung erforderlichen Tatsachen früher bekannt gewesen seien. Denn die vorhandenen Indizien reichen dem BFH für diese Annahme nicht aus. Die Tatsachen, dass
- die Eheleute im Streitjahr ein Grundstück vermieteten und dafür Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärten,
- dieses Grundstück dieselbe Anschrift aufwies, wie sie die Arbeitgeberin der Ehefrau hatte, und
- die mietende GmbH Dividenden an die Ehefrau ausgeschüttet hatte,
lassen für den BFH nicht die Schlussfolgerung zu, dass eine Betriebsaufspaltung zwischen den Eheleuten als Vermieter und der GmbH als Mieterin bestanden hat. Diese Tatsache ist erst dem Mietvertrag der Eheleute mit der GmbH zu entnehmen. Nach den Feststellungen des FG Köln ist der Mietvertrag dem Finanzamt erst nach Erlass des geänderten Steuerbescheids bekanntgeworden.
Die Behauptung der Eheleute, der Mietvertrag sei schon früher vorgelegt worden, konnte nicht bewiesen werden, so dass die Eheleute die Feststellungslast für die Nichtbeweisbarkeit dieser Behauptung tragen und daher die frühere Kenntnis nicht angenommen werden konnte.
Zurückverweisung ans FG
Der BFH hob das Urteil auf, weil das FG einen anderen Rechtsstandpunkt eingenommen und den entscheidenden Sachverhalt nicht vollständig ermittelt hatte, und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung sowie Entscheidung an das FG zurück. In diesem Zusammenhang weist der BFH informatorisch darauf hin, dass bisher nicht beachtet worden ist, dass die Behandlung der Einkünfte aus der Vermietung des fraglichen Grundstücks als solche aus Gewerbebetrieb auch zur Umqualifizierung der übrigen Einkünfte der GbR der Eheleute gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG geführt hat (sog. Abfärbung). Insoweit wird das FG allerdings bei seiner erneuten Entscheidung das Verböserungsverbot zu beachten haben.
Praxishinweis
Vordergründig wurde in dem Verfahren nur um die Änderbarkeit eines Steuerbescheids gestritten. In diesem Zusammenhang hat der BFH die für die Praxis wichtige Entscheidung getroffen, dass bloße Indizien in der Steuerakte wohl nicht ausreichen, um die Kenntnis des Finanzamts im Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids – dem für eine Änderung nach § 173 AO maßgeblichen Zeitpunkt – zu begründen bzw. das nachträgliche Bekanntwerden zu verhindern. Allein diesen Umstand wird die Praxis künftig beachten müssen.
Allerdings hat der BFH allen Beteiligten – der Klägerin, dem beklagten Finanzamt und dem FG – eine schallende Ohrfeige verpasst, indem er festgestellt hat, dass bis zu seiner Entscheidung nicht erkannt worden ist, dass die aus den Eheleuten gebildete GbR allein wegen der Betriebsaufspaltung keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mehr erzielt, sondern gewerbliche Einkünfte. Die Klägerin bzw. deren Ex-Ehemann können nur hoffen, dass das Finanzamt nicht noch weitere Steuerbescheide ändert und von einer anderen Einkunftsart ausgeht. Im Ergebnis ist die Entscheidung des BFH gleichwohl zu begrüßen, weil er festgestellt hat, dass bloße Indizien eine nachträgliche Änderung nicht verhindern. Dies kann sich ggf. auch zum Vorteil des Steuerpflichtigen auswirken, weil auch eine Änderung zu seinen Gunsten bei nachträglichem Bekanntwerden möglich ist, sofern dabei kein grobes Verschulden vorliegt.
BFH, Urt. v. 16.04.2015 - IV R 2/12
Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz