Der BFH hat einen Werbungskostenabzug für 2008 bei Kapitaleinkünften, die erst im darauffolgenden Veranlagungszeitraum zugeflossen sind, in voller Höhe zugelassen. Werbungskosten, die bis Ende 2008 angefallen sind, unterliegen demnach unabhängig vom Zeitpunkt des Kapitalzuflusses nicht den Regeln der Abgeltungsteuer. Das Urteil hat auch Bedeutung für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs.
Ab dem VZ 2009 sind Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nur noch sehr beschränkt abzugsfähig. Dies hängt mit der Einführung der Abgeltungsteuer zusammen, so dass seitdem von den Einkünften aus Kapitalvermögen lediglich ein Werbungskostenpauschbetrag von 801 € für Ledige/1.602 € für Verheiratete abgezogen werden kann.
In einer aktuellen Entscheidung hat der BFH über die Frage entschieden, ob im VZ 2008 entstandene Werbungskosten bei Einkünften aus Kapitalvermögen, die erst im VZ 2009 zufließen, unbeschränkt abzugsfähig sind. Das FA lehnte unter Hinweis auf § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG den Werbungskostenabzug ab. Der BFH ließ den Abzug jedoch zu und begründete dies sehr überzeugend.
Auslegung des BFH
Der BFH schließt die Anwendung des § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG für den VZ 2008 aufgrund der Regelung des § 52a Abs. 2 EStG aus. Nach dieser Vorschrift kommt § 2 Abs. 2 EStG erstmals ab dem VZ 2009 zur Anwendung: Er regelt für die Einkünfte aus Kapitalvermögen, dass, falls nicht § 32d Abs. 2 EStG anzuwenden ist, § 20 Abs. 9 EStG anstelle der §§ 9 und 9a EStG gilt.
Nach Ansicht des BFH führt dies dazu, dass für die VZ bis einschließlich 2008 § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG a.F. anwendbar bleibt und für diese Zeiträume die Einkünfte aus Kapitalvermögen als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt werden.
An diesem Ergebnis ändert nach Ansicht des BFH auch § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG nichts; denn das Gericht legt auch diese Vorschrift so aus, dass § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG erst ab dem VZ 2009 anzuwenden ist. Dieses Auslegungsergebnis folgt für den BFH bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift: § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG sieht die erstmalige Anwendung von § 20 Abs. 3 bis 9 EStG grundsätzlich für Kapitalerträge vor, die nach dem 31.12.2008 zufließen.
Diese Schlussfolgerung sieht der BFH auch dadurch bestätigt, dass eine Anwendung von § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG vor dem 01.01.2009 der Anwendungsregelung des § 52a Abs. 2 EStG widersprechen würde, nach der § 20 Abs. 9 EStG erst ab dem VZ 2009 die §§ 9 und 9a EStG ersetzt.
Mit dieser Auslegung des Gesetzeswortlauts ist aber nicht vereinbar, dass § 20 Abs. 9 EStG erstmals und zudem veranlagungszeitraumübergreifend auf Werbungskosten anzuwenden ist, die mit Kapitalerträgen, die nach dem 31.12.2008 zufließen, zusammenhängen, aber schon vorher entstanden sind.
Kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten
Der BFH sieht auch keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO. Das FA hatte in dem begehrten Abzug von (vorweggenommenen) Werbungskosten i.V.m. einer daraus resultierenden Steuerminderung eine unangemessene Gestaltung gesehen. Der Grund für die entstandenen vorweggenommenen Werbungskosten waren unstreitig wirtschaftliche und damit außersteuerliche Gründe.
Denn bei den insgesamt rückläufigen Kapitalmarktzinsen konnte eine höhere Verzinsung durch Wiederanlage erzielt werden, die durch fremdfinanzierte Aufstockung der eigenen Finanzmittel erreicht wurde. Es sprachen daher wirtschaftlich nachvollziehbare Gründe für das Verhalten des Steuerpflichtigen. Ein Missbrauch war daher in der gewählten Gestaltung nicht zu erkennen.
Praxishinweis
Der BFH hat entgegen der Auffassung des BMF klargestellt, dass Werbungskosten, die bis einschließlich VZ 2008 angefallen sind, noch nicht den Regelungen der Abgeltungsteuer unterliegen. Das gilt auch, wenn die Werbungskosten im Zusammenhang mit Einnahmen stehen, die erst im VZ 2009 oder später erzielt werden.
Die Begründung des BFH überzeugt insbesondere, weil er diese vor allem aus dem Gesetzeswortlaut ableitet. Hätte der Gesetzgeber eine andere Regelung gewollt, hätte er die Anwendungsregelungen anders formulieren müssen. Für die Vergangenheit ist diese Frage damit geklärt. In Zukunft dürfte sich diese Problematik wohl seltener stellen, da inzwischen nur noch wenige Veranlagungen des VZ 2008 nicht abgeschlossen sein dürften.
Der BFH hat aber gleichzeitig auch klargestellt, dass wirtschaftliche Überlegungen grundsätzlich einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO ausschließen. Wegen dieser Aussage ist die Entscheidung auch für die Zukunft von erheblicher Bedeutung. Denn die Einführung gesetzlicher Neuregelungen wird künftig immer wieder im Zusammenhang mit Gestaltungen von Steuerpflichtigen stehen, die primär aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen und nicht aus Gründen der Neuregelung getroffen werden. In solchen Situationen hilft die vorliegende Entscheidung weiter, einen möglichen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten zu beurteilen.
BFH, Urt. v. 27.08.2014 - VIII R 60/13
Quelle: Rechtsanwalt und Steuerberater Axel Scholz