Wann sind bei Kapitalgesellschaften inkongruente Gewinnausschüttungen steuerlich anzuerkennen? Ein aktuelles BMF-Schreiben ändert die Verwaltungsvorgaben, wenn die Gewinnverteilung vom Verhältnis der Geschäftsanteile abweicht. Das BMF reagiert damit auf das BFH-Urteil vom 28.09.2022 (VIII R 20/20, BStBl II 2024), wonach auch einmalig von der Satzung abweichende Beschlüsse anerkannt werden können.
Das BMF hat mit Schreiben vom 04.09.2024 (IV C 2 - S 2742/19/10004 :003) zu der Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen Stellung genommen und seine bisher vertretene Rechtsauffassung geändert.
Damit reagiert es auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.09.2022 (VIII R 20/20), der eine inkongruente Gewinnausschüttung bei einem einstimmig gefassten Beschluss der Gesellschafterversammlung einer GmbH anerkannt hat.
In seinem Schreiben führt das BMF nun die Voraussetzungen auf, wann eine inkongruente Gewinnausschüttung - auch in anderen Konstellationen - zulässig ist.
Inhalt der BFH-Entscheidung vom 28.09.2022
Im Urteil vom 28.09.2022 entschied der BFH, dass ein einstimmig gefasster Beschluss einer GmbH-Gesellschafterversammlung über eine inkongruente Vorabausschüttung steuerlich anerkannt werden muss, wenn dieser zivilrechtlich wirksam ist.
Dies widersprach dem bisherigen BMF-Schreiben aus dem Jahr 2013, das strengere Voraussetzungen an die steuerliche Anerkennung solcher Ausschüttungen stellte.
Der BFH betont, dass auch Beschlüsse, die einmalig von der Satzung abweichen, als wirksam zu betrachten sind, wenn alle Gesellschafter zustimmen und keine Anfechtung erfolgt.
Steuerliche Anerkennung inkongruenter Gewinnausschüttungen
Eine inkongruente Gewinnausschüttung liegt vor, wenn die Gewinnverteilung einer GmbH nicht nach dem Verhältnis der Gesellschaftsanteile erfolgt, sondern von der Verteilung anhand der Beteiligungsverhältnisse abweicht.
Solche abweichenden Ausschüttungen können steuerlich anerkannt werden, sofern sie zivilrechtlich gültig sind. Das BMF-Schreiben erläutert im Detail, unter welchen Bedingungen dies der Fall ist:
- Abweichende Regelung der Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Der Gesellschaftsvertrag kann eine Regelung enthalten, die eine Verteilung der Gewinne abweichend vom Verhältnis der Geschäftsanteile ermöglicht. Diese Regelung muss ausdrücklich im Vertrag festgehalten sein, beispielsweise gem. § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG.
Falls eine solche Bestimmung nachträglich in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen oder geändert wird, ist die Zustimmung der Gesellschafter erforderlich, die durch die Abweichung benachteiligt werden. Diese Gesellschafter müssen der Änderung zustimmen, damit die neue Regelung gültig wird.
- Öffnungsklausel für abweichende Gewinnverteilung im Gesellschaftsvertrag
Der Gesellschaftsvertrag kann eine sogenannte „Öffnungsklausel“ enthalten. Diese Klausel erlaubt es der Gesellschafterversammlung, jedes Jahr aufs Neue von der satzungsmäßigen Verteilung abzuweichen, sofern alle betroffenen Gesellschafter dem zustimmen.
Der Beschluss muss mit den erforderlichen Zustimmungen gefasst werden, wie im Vertrag oder Gesetz vorgesehen. Das bedeutet, dass alle betroffenen Gesellschafter der Änderung zustimmen müssen, damit die abweichende Verteilung als wirksam anerkannt wird.
- Punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss
Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss bedeutet, dass die Satzung nur für einen bestimmten Einzelfall durch einen einstimmigen Beschluss übergangen wird. Wichtig ist, dass dieser Beschluss einstimmig von allen Gesellschaftern gefasst wird und nicht im Wege des Einspruchs angefochten wird.
In einem solchen Fall ist die Satzung zwar verletzt, jedoch nicht dauerhaft geändert. Das bedeutet, dass die Abweichung nur für diesen einen Beschluss gilt und keine generelle Änderung der Satzung zur Folge hat. Dieses Vorgehen wurde durch die o.g. Entscheidung des BFH vom 28.09.2022 steuerlich anerkannt, da der Beschluss zivilrechtlich wirksam ist, wenn alle Gesellschafter einstimmig zustimmen und keine Anfechtung erfolgt.
- Gespaltene Gewinnverwendung und zeitlich inkongruente Gewinnausschüttungen
Es kann auch der Fall eintreten, dass ein Gesellschafterbeschluss vorsieht, dass der Gewinnanteil eines Mehrheitsgesellschafters nicht sofort ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Rücklage eingestellt wird. Diese Rücklage bleibt dem Gesellschafter zugewiesen, wird aber nicht als sofortiger Zufluss gewertet.
Auch wenn die Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter in diesem Fall ausgezahlt werden, wird der Anteil des Mehrheitsgesellschafters steuerlich nicht als ausgeschütteter Gewinn behandelt, sondern als Teil der Rücklage.
Das bedeutet, dass der Mehrheitsgesellschafter keine Kapitalerträge gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zu versteuern hat, solange der Gewinnanteil in der Rücklage verbleibt. Solche gespaltenen Gewinnverwendungen sind steuerlich anzuerkennen, sofern der Beschluss zivilrechtlich gültig gefasst wurde.
- Aktiengesellschaften
Bei einer Aktiengesellschaft sind inkongruente Gewinnausschüttungen nur dann steuerlich anerkennungsfähig, wenn sie in der Satzung ausdrücklich vorgesehen sind. Dies muss gem. § 60 Abs. 3 AktG geregelt sein, wobei die Verteilung abweichend vom Kapitalanteil der Aktionäre festgelegt wird.
Öffnungsklauseln oder satzungsdurchbrechende Beschlüsse, wie sie bei der GmbH zulässig sind, reichen bei einer Aktiengesellschaft nicht aus. Ohne eine entsprechende Regelung in der Satzung ist eine abweichende Gewinnverteilung nicht steuerlich anerkennungsfähig.
In den vorgenannten Fallkonstellationen sollte nunmehr auch nicht von Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO ausgegangen werden können. Das BMF-Schreiben ist in allen offenen Fällen anwendbar.
Praxishinweis
Die Anerkennung von inkongruenten Gewinnausschüttungen bietet nunmehr Möglichkeiten, gezielt bisher entstandene Verluste bei lediglich einem Gesellschafter auszugleichen, wenn die Ausschüttungen beispielsweise durch einen Antrag nach § 32d Abs. 3 EStG bei dem jeweiligen Gesellschafter mit anderen Einkünften verrechnet werden können.
Zu beachten bleibt jedoch, dass auch, wenn eine inkongruente Gewinnausschüttung unter den vorgenannten Voraussetzungen steuerlich anerkannt wird, durchaus noch eine Schenkung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ErbStG angenommen werden kann, wenn ein Gesellschafter bewusst bevorteilt wird.