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Erbschaftsteuer: Kippt Karlsruhe die Begünstigung von Betriebsvermögen?

Beendet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Begünstigung für Firmenerben im Erbschaftsteuerrecht? Nach der mündlichen Verhandlung am 08.07.2014 in Karlsruhe sind die Zweifel am Bestand der sog. „Verschonungsregelungen“ bei der erbschaftsteuerlichen Behandlung von Betriebsvermögen gewachsen. Schon jetzt sollten sich Unternehmer und Erben auf die möglichen Szenarien einstellen.


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Am 08.07.2014 fand die mündliche Verhandlung des BVerfG in Sachen erbschaftsteuerlicher Verschonung des Betriebsvermögens  statt. Vordergründig ging es um eine Vorlage des BFH vom 27.09.2012 wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch die verschiedenen ErbSt-Klassen. In seiner anstehenden Entscheidung könnte das BVerfG nun die gesamte Verschonungsregelung des ErbStG platzen lassen.

Ausgangslage: Laut BFH ist die Schonung verfassungswidrig

Dem Vorlagebeschluss des BFH vom 27.09.2012 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Miterben eines im Wesentlichen aus Bankguthaben und einem Steuererstattungsanspruch bestehenden Nachlasses wurden gem. § 19 Abs. 1 ErbStG aufgrund unterschiedlichen Verwandtschaftsverhältnissen zum Erblasser mit unterschiedlichen Steuersätzen besteuert. Ein Miterbe machte daher eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG geltend. Das FG sah in der Anwendung durch das FA keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Der BFH nutzte diesen Fall, um die gesamte Steuerverschonung verfassungsrechtlich prüfen zu lassen und legte den Rechtsstreit dem BVerfG zur weiteren Entscheidung vor.

BVerfG: Rechtfertigen Gemeinwohlgründe die Verschonung von Betriebsvermögen?

Das BVerfG überprüft nun die Systematik des Verschonungsinstrumentariums des ErbStG  unter der Prämisse des Steuerrechts und des Gleichheitsgrundsatzes. Demnach muss sich die Besteuerung an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen orientieren und Verschonungselemente wie Steuerklassen, Nachlasskategorien wie Betriebsvermögen oder Nicht-Betriebsvermögen müssen zielgerecht und normenklar ausgestaltet sein. In diesem Sinne hinterfragt das BVerfG, ob die Verschonung von Betriebsvermögen durch Sach- und Gemeinwohlgründe gerechtfertigt ist. Nach Expertenmeinung könnte das BVerfG die gesamten Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen nach den §§ 13a und 13b ErbStG in Frage stellen.

Handlungsbedarf für Eigentümer und Erben

Drei mögliche Szenarien sollten Betroffene daher im Blick behalten:

1. Der ErbSt-Bescheid ergeht auf Grundlage des zurzeit geltenden ErbStG

Ein solcher Bescheid genießt Bestandsschutz und ist einer Gesetzesänderung bzw. Erklärung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG nicht mehr zugängig. Nach einem koordinierten Ländererlass vom 14.11.2012 sind sämtliche Festsetzungen entstandener Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer nach dem 31.12.2008 vorläufig gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO durchzuführen. Ein Einspruch des Steuerpflichtigen, der die Verfassungsmäßigkeit des ErbStG betrifft, ist daher obsolet.

Sofern sich das ErbStG als verfassungswidrig herausstellt, kann das BVerfG die Verschonungsregelung für nichtig erklären. Dann können die Behörden die vorläufigen Festsetzungen nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO aufheben. Hiergegen wäre wiederum der Einspruch nach § 347 AO  zulässig. Das FA müsste sich aus Vertrauensschutzgründen an die Rechtslage halten, als der Erbschafts- bzw. Schenkungsteuerfall eingetreten ist, denn ein derart gravierender Eingriff in die Begünstigungsregeln war trotz Vorbehaltsvermerk nicht vorhersehbar.  Eine rückwirkende Neuregelung des ErbstG auf Kosten der Steuerpflichtigen wäre verfassungsrechtlich nicht zulässig.

2. Trotz Erbschafts- bzw. Schenkungsfall liegt noch kein Steuerbescheid des FA vor

Maßgeblich für die Entscheidung der Finanzbehörde muss der Gesetzeszustand sein, der zum Zeitpunkt der Schenkung oder des Erbfalls besteht. Auch diese Fälle sind unproblematisch, denn zumindest bis zum Tag der mündlichen Verhandlung stand die Verfassungswidrigkeit nicht in Frage - auch hier besteht Vertrauensschutz.

Nach der mündlichen Verhandlung kann der Steuerpflichtige allerdings nicht mehr von der Unumstößlichkeit der Verschonungsregelung ausgehen; von nun an könnte das Vertrauen in ihr aufgehoben sein, zumal die Leistungsfähigkeit der Nachfolger im Betriebsvermögen von Anfang an zweifelhaft war. Zudem könnte der Eindruck eines „Windhundverfahrens“ bei der Verschonung von Betriebsvermögen bestehen, bei dem derjenige die Vergünstigung erhält, „der (noch) in gutem Glauben handelt bzw. dem die Gunst des ErbStG 2009 zuteil wurde“.

3. Stichtag erst nach dem 08.07.2014

Es könnte aber auch sein, dass das BVerfG bzw. der ihm folgende Gesetzgeber im Fall einer Verfassungswidrigkeit der Verschonungsregelung einen späteren Stichtag als den 08.07.2014 wählt. Denkbar wär etwa eine künftige umfassende Veröffentlichung des BVerfG oder der Bundesregierung oder eine vorgreifende Gesetzinitiative. Denn schließlich wäre das Kippen dieser Verschonungsregelung ein gravierender Eingriff in die Erbschaftsteuerlandschaft, der nicht stillschweigend ohne die „Beteiligung von Interessengruppen“ vollzogen werden könnte.

Praxishinweis

Für Eigentümer und Erben ist es fünf vor zwölf: Bisher aufgeschobene Übertragungen von Betriebsvermögen sollten jetzt vorgenommen werden, um die Vergünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG noch auszunutzen. Die derzeitigen Steuerbefreiungen für Betriebsvermögen werden künftig keinesfalls erweitert werden. Deshalb sollten vorweggenommene  Erbregelungen unbedingt jetzt umgesetzt werden.

BVerfG - 1 BvL 21/12
BFH, Vorlagebeschluss v. 27.09.2012 – II R 9/11

Aktuell: Kostenloses On-Demand Webinar zum BVerfG-Urteil vom 17.12.2014

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Quelle: Rechtsanwalt und Dipl.-Finanzwirt Horst Schirrmann