Der Bundestag hat das sog. „Kleine Jahressteuergesetz“ verabschiedet. Kurz zuvor wurde der ursprüngliche Entwurf für die Beschlussfassung noch an vielen wichtigen Punkten geändert. Neben der Reform des § 50i EStG ist v.a. eine Änderung im Umsatzsteuerrecht für die Praxis brisant: Die Rückkehr zu der vormaligen 10-%-Regelung beim Reverse-Charge-Verfahren (Umkehr der Steuerschuldnerschaft).
Am 03.07.2014 hat der Bundestag das „Kleine Jahressteuergesetz“ verabschiedet. Die Gesetzesvorlage mutierte inzwischen zu einem Gesamtpaket von über 400 Druckseiten: Referentenentwurf, Bundesratsdrucksache, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Beschlussempfehlung des Finanzausschusses. Fraglich ist also, ob man ein solches Projekt noch „klein“ nennen darf.
Gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums hat das Gesetz kurz vor der Verabschiedung noch in fast 20 Punkten Änderungen erfahren.
Reform des § 50i EStG steht auf tönernen Füßen
Neu aufgenommen wurde im Bereich der Einkommensteuer eine Modifizierung des § 50i EStG. Mit dieser Änderung reagiert der Gesetzgeber auf eine Entscheidung des BFH vom 28.04.2010 und sichert dem deutschen Fiskus auch weiterhin die Besteuerungshoheit über bestimmte stille Reserven im internationalen Bereich.
Der § 50i EStG wurde erstmals 2013 in das EStG aufgenommen, um Erträge aus Übertragungen oder Überführungen von Wirtschaftsgütern in diesem Bereich dem deutschen Staat zu erhalten (Treaty-Override). Der neue § 50i Abs. 2 EStG will nun auch die jüngst bekanntgewordenen Steuergestaltungsstrategien zu diesem außensteuerlichen Bereich wieder „zurückverlagern“ und die durch Buchwertfortführung eingetretene Steuerersparnis verhindern. Diese Steueroptimierungen konnten nämlich durch eine Umwandlung oder Einbringung nach dem Wegzug aus der Bundesrepublik erreicht werden.
Der Gesetzgeber erreicht eine Umgehungssperre dadurch, indem er den Wertansatz des Buchwerts durch den gemeinen Wert ersetzt. Ein weiterer Schachzug des Gesetzgebers ist die geschickte Umformulierung des Gesetzeswortlauts, die damit lediglich als redaktionelle Änderung in Erscheinung tritt. Der letztlich erweiterte Gesetzesumfang ist zwar eine Rückwirkung, die aber laut Gesetzesbegründung auf kein schutzwürdiges Vertrauen stößt, weil der § 50i EStG lediglich die einmalige Besteuerung der stillen Reserven auch in diesem Doppelbesteuerungsbereich sicherstellen soll. Ein Vertrauen auf die Nichtversteuerung aufgedeckter stiller Reserven könne erst gar nicht entstanden sein.
Praxishinweis
Vom Wortlaut her wird zwar die Umgehung des § 50i EStG verhindert, jedoch kann eine materielle Gesetzesänderung nicht als redaktionelle Klarstellung eingeführt werden. Eine legale Steueroptimierung durch Ausnutzung der vorhandenen Gesetzeslücken kann nicht durch rückwirkende Umformulierung des Gesetzes unterbunden werden. Diejenigen Steuerpflichtigen, die durch den neuen § 50i EStG eingeschränkt werden, sollten also diese neue Gesetzesformulierung durch Einspruch und Klage gerichtlich überprüfen lassen. Der § 50i EStG steht nämlich auf sehr tönernen Füßen.
Reverse-Charge-Verfahren: Rückkehr zur 10-%-Regel
Auch mit der Änderung des § 13b Abs. 5 UStG reagiert der Gesetzgeber auf eine BFH-Entscheidung vom 22.08. 2013. Hier hatte der BFH zum Reverse-Charge-Verfahren entgegen der Verwaltungsmeinung entschieden, dass es beim Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger gemäß § 13b Abs. 5 UStG gerade darauf ankommt, dass der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Leistung seinerseits zur Erbringung von (weiteren) Bauleistungen verwendet.
Der Gesetzgeber befürchtete, dass die Anwendungspraxis dieses BFH-Urteils zu erheblichen Problemen bei der Feststellung des Steuerschuldners führt, weil der Leistende feststellen müsste, ob der Leistungsempfänger die bezogene Bauleistung seinerseits zur Erbringung von Bauleistungen verwendet. Solche Kontrollen sind in der Praxis schwer durchzuführen. Deshalb wird nunmehr durch den neuen Gesetzeswortlaut für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens festgelegt, dass der Leistungsempfänger - unabhängig von der konkreten Bauleistung - ein Unternehmer sein muss, der nachhaltig derartige Bauleistungen erbringt.
Eine Nachhaltigkeit wird dann unterstellt, wenn der Leistungsempfänger eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamts vorlegt, aus der hervorgeht, dass er derartige Leistungen erbringt. Im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens prüft das zuständige Finanzamt dann anhand der bisherigen Umsätze, ob die Nachhaltigkeit gegeben ist. Die alte Verwaltungsauffassung, wonach dies dann der Fall ist, wenn derartige Bauleistungsumsätze mindestens 10 % des Weltumsatzes betragen, wird somit - zumindest in der Gesetzesbegründung - bestätigt.
Praxishinweis
Dieses Bescheinigungsverfahren des Finanzamts birgt Unsicherheiten, denn die 10-%-Grenze ist nicht gesetzlich festgelegt worden, sondern soll erst nach der Verkündung des neuen Gesetzes durch Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses eine gewisse Verbindlichkeit erhalten. Letztlich ist auch dieses Richtlinien-Verfahren ohne Festschreibung im Gesetz sehr angreifbar, denn diese 10-%-Grenze wurde an dieser Stelle erst mit BMF-Schreiben vom 05.02.2014 beseitigt. Auch hier bestehen gute Chancen, diese 10-%-Regelung mit Erfolg gerichtlich anzugreifen, denn eine derartig kurzfristige Änderungspraxis entspricht nicht mehr dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nach Art. 20 GG. Die Änderungen des § 13b Abs. 5 UStG sollen erstmals ab 01.10 2014 in Kraft treten.
„Mini-one-stop-shop“ - als weitere Zugabe
Die bereits geplante Änderung des § 16 Abs. 1b UStG legt für die ab 2015 geltende Besteuerungsform des Kleinunternehmers unter anderem den sog. „Mini-one-stop-shop“ (MOSS bzw. einzige Mini-Anlaufstelle) und den Besteuerungszeitraum fest.
Mit Hilfe dieser neuen umsatzsteuerlichen Konstruktion werden künftig bestimmte Umsätze für Dienstleistungen der Bereiche Telekommunikation, Rundfunk und Fernsehen sowie für elektronische Dienstleistungen an private Endabnehmer mit Wohnsitz im EU-Ausland nicht mehr im Inland, sondern im Land des privaten Endabnehmers besteuert. Deshalb müssten sich eigentlich die leistenden Unternehmer grundsätzlich in jedem einzelnen Abnehmerland registrieren zu lassen und die betreffenden Umsätze dort versteuern. Dieses Verfahren wird jedoch dadurch vereinfacht, dass sich der leistende Unternehmer nur in einem EU-Land registrieren lassen muss, das dann das Besteuerungsverfahren für die anderen Länder mitregelt und die Umsatzsteuer an diese weiterleitet.
Für das Steuerberatungsgesetz wird der Referentenentwurf dahingehend geändert, dass bei Einstellungen des Bußgeldverfahrens wegen unerlaubter Hilfeleistung in Steuersachen durch die Finanzbehörden dann keine Mitteilungen an die zuständige Steuerberaterkammer zu machen sind, wenn keine Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr vorliegen.
Praxishinweis
Diese eingeschränkte Mitteilungspflicht bedeutet zwar für die beteiligten Behörden eine Arbeitserleichterung, fraglich ist nur, ob sich der „Betroffene“ auch darauf verlassen kann. Weil dies jedoch für die Finanzverwaltung eine weitere Überprüfung notwendig macht, ist es auch denkbar, dass alle diesbezüglichen Verfahrenseinstellungen weitergemeldet werden. Denn auch bei einmaligen nicht geahndeten Gesetzesverstößen kann durchaus eine Wiederholungsgefahr gegeben sein. Gerade diese Abschätzung des künftigen Verhaltens ist oft zeitraubender als die schlichte Weiterleitung der Verfahrenseinstellung.
Weitere Informationen zum JStG 2014 finden Sie unter www.jahressteuergesetz.de:
- Bundesrat stimmt dem Jahressteuergesetz 2014 zu
- Die wichtigsten Gesetzestexte zum Jahressteuergesetz 2014
BFH, Urt. v. 22.08. 2013 - V R 37/10
BFH, Urt. v. 28.04.2010 - IR 81/09
BMF-Schreiben v. 05.02.2014 - IV D 3 - S-7279/11/10002, BStBl 2014 I, 233
Quelle: Rechtsanwalt und Dipl.-Finanzwirt Horst Schirrmann