Auch für überlange finanzgerichtliche Verfahren kann ggf. eine Entschädigung beansprucht werden. Eine Voraussetzung ist, dass Betroffene die Verzögerung wirksam rügen. Der BFH hat zuletzt hierzu entschieden, dass eine Verzögerungsrüge länger als nur sechs Monate zurückwirken kann, wenn der Kläger auf Ankündigungen des Gerichts zum voraussichtlichen Abschluss des Verfahrens vertraut.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 29.11.2017 entschieden, dass kein Zeichen eines unzulässigen „Duldens und Liquidierens“ vorliegt, wenn der Kläger auf die Ankündigung des Gerichts vertraut, das Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich abzuschließen, und ihm damit die Möglichkeit gibt, das Verfahren den eigenen Planungen entsprechend zu betreiben. Eine Verzögerungsrüge kann dann länger als nur den Regelzeitraum von sechs Monaten zurückwirken.
Sachlage im Streitfall
Im aktuellen Fall begehrte eine Klägerin eine Entschädigung nach § 198 GVG für ein ab dem Jahr 2012 anhängiges und durch wechselseitige Erledigungserklärungen der Beteiligten im Jahr 2016 beendetes Verfahren vor dem Finanzgericht Köln (FG). Die Klägerin begründet ihr Begehren damit, dass das FG gut zwei Jahre nach der Klageerhebung im August 2014 mit der eigentlichen Bearbeitung des Verfahrens hätte beginnen müssen – und nicht wie geschehen erst im Dezember 2015. Aufgrund des daher im Umfang von 16 Monaten überlangen Gerichtsverfahrens macht sie eine Entschädigung i.H.v. 100 € je Monat, also 1.600 € geltend.
Das beklagte FG hat der Klage nur teilweise stattgegeben und eine Entschädigung für zehn Monate zugesprochen: Die im Juli 2015 erhobene Verzögerungsrüge wirke nur bis Januar 2015 zurück, da eine solche Rüge grundsätzlich nur gut sechs Monate zurückwirke und dies angemessen und zumutbar sei. Der BFH hingegen gab der Klägerin Recht und verurteilte das beklagte FG zur Zahlung der restlichen Entschädigung.
Angemessenheit der Verfahrensdauer
Grundsätzlich richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls. Sie hängt insbesondere von der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter ab. Die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Ausgangsverfahrens darf nicht zu eng gezogen werden, da dem Gericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seiner Verfahren einzuräumen ist. Ein finanzgerichtliches Klageverfahren ohne wesentliche Besonderheiten und von angemessener Dauer sollte nicht länger als gut zwei Jahre dauern.
Kriterien für eine erfolgreiche Entschädigungsklage
Der BFH gibt an, dass für eine erfolgreiche Entschädigungsklage folgende Punkte beachtet werden sollten:
- Um eine Entschädigungsklage erfolgreich erheben zu können, bedarf es keiner erfolglosen vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung.
- Entscheidet sich ein Entschädigungskläger hingegen unmittelbar zur Klageerhebung, so trägt er das Risiko, die Kosten des Entschädigungsverfahrens gem. § 93 ZPO tragen zu müssen, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.
- Es ist kein Zeichen eines unzulässigen „Duldens und Liquidierens“, wenn der Kläger auf die Ankündigung des Gerichts vertraut, das Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich abzuschließen, und ihm damit die Möglichkeit gibt, das Verfahren den eigenen Planungen entsprechend zu betreiben.
- Eine Verzögerungsrüge kann länger als nur den Regelzeitraum von sechs Monaten zurückwirken.
Aus Sicht des BFH war anhand dieser Punkte der Klägerin im aktuellen Streitfall auch für weitere sechs Monate überlanger Verfahrensdauer eine Entschädigung von insgesamt 600 € zu gewähren.
Praxishinweis
Der BFH hat mit dem neuen Urteil zur Rückwirkung einer Verzögerungsrüge bei einer Entschädigungsklage Stellung genommen und dazu ausgeführt, dass diese auch mehr als sechs Monate betragen kann. Steuerpflichtige sollten sich auch im Klageverfahren ihrer Rechtsmittel bewusst sein. Zögert ein Finanzgericht die Bearbeitung einer Klage hinaus, so kann nach den Ausführungen des BFH grundsätzlich nach einer Bearbeitungsdauer von mehr als zwei Jahren von einer unangemessenen Verfahrensdauer ausgegangen werden. Steuerpflichtige sollten im Klageverfahren sowohl eine Verzögerungsrüge als auch später eine Entschädigungsklage in Betracht ziehen.
BFH, Urt. v. 29.11.2017 - X K 1/16
Quelle: Steuerberater und Dipl.-Volkswirt Volker Küpper