Ab welcher Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens kann eine Geldentschädigung verlangt werden? Zunächst ist dafür nach einem BFH-Urteil eine wirksame Verfahrensrüge erforderlich. Dabei muss der Anlass zur Besorgnis bestehen, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Das Finanzgericht muss auf diese Rüge aber nicht unbedingt unverzüglich mit der Bearbeitung beginnen.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, ab wann eine überlange Verfahrensdauer im Finanzrechtsstreit vorliegt und wann dies zu einem Entschädigungsanspruch führt. Dabei hatte er darüber zu entscheiden, ob vom beklagten Bundesland eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Finanzrechtsstreits, der rund 27 Monate vor dem Finanzgericht Köln (FG) anhängig war, zu leisten ist.
Bei diesem war die Höhe von Renteneinkünften streitig, die ein Rechtsvorgänger der Klägerin erzielt haben soll. Genauer war die Klägerin als Alleinerbin Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemanns, der wiederum Gesamtrechtsnachfolger seines Bruders war, dessen Renteneinkünfte streitig waren. Die Sachlage war wegen fehlender Angaben über Zahlungen der Deutschen Rentenversicherung unklar. Nachdem etliche Monate nach der Klageerhebung keine weiteren gerichtlichen Maßnahmen erfolgten, erhob die Alleinerbin eine Verzögerungsrüge nach § 198 GVG.
Gleichzeitig beantragte sie die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung. Daraufhin teilte das FG mit, wegen der Vielzahl anderer Klageverfahren, die zeitlich früher anhängig geworden seien und ebenfalls noch zur Entscheidung anstünden, könne es dem Antrag nicht nachkommen. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, Gründe vorzutragen, die eine vorgezogene Bearbeitung rechtfertigen. Auf diesen Hinweis reagierte die Alleinerbin nicht, aber gut einen Monat nach Abschluss des Verfahrens am FG erhob sie Entschädigungsklage.
Generelle Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs
Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist u.a. die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
Bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, ist die Dauer des Verfahrens regelmäßig angemessen, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und diese Maßnahmen nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen werden, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.
Waren diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt?
Nach formellen Kriterien war das Verfahren daher in vollen Monaten gerechnet für insgesamt zwei Monate als verzögert anzusehen. Denn das FG hätte gut zwei Jahre nach Eingang der Klage und damit im November 2014 mit der Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Tatsächlich erfolgte die nächste verfahrensfördernde Maßnahme des FG erst im Februar 2015.
Laut BFH war die Schwierigkeit des Verfahrens durchschnittlich, weil es angesichts des undurchsichtigen Sachverhalts tatsächliche Schwierigkeiten im Rechtsstreit gab. Daher stellte sich das Verfahren von Beginn an jedenfalls nicht als so offenkundig einfach dar, um ohne nennenswerten Aufwand erledigt zu werden. In diesem Zusammenhang weist der BFH darauf hin, dass die Beurteilung, ob ein Verfahren als schwierig einzuordnen ist, vom Entschädigungsgericht und nicht vom Ausgangsgericht vorzunehmen ist.
Die Bedeutung des Verfahrens war gemäß BFH ebenfalls durchschnittlich. Das betrifft sowohl die streitige Steuer der Höhe nach als auch die persönliche Betroffenheit der Alleinerbin. Letztere hat kein Verfahren um originär eigene Steuern geführt, sondern ist erst nach zweimaliger Gesamtrechtsnachfolge Verfahrensbeteiligte geworden. Das negative Gefühl, ungerechter Behandlung ausgesetzt zu sein, traf sie daher nur noch mittelbar. Schließlich beurteilte der BFH das Verhalten der Verfahrensbeteiligten als üblich.
Generelle Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Verzögerungsrüge
Allerdings konnte der BFH lediglich eine unangemessene Verfahrensdauer vom Umfang der zweimonatigen Verzögerung feststellen. Für eine Entschädigung hierfür in Geld fehlt es an einer wirksamen Verzögerungsrüge: Eine Entschädigung in Geld setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens wirksam gerügt hat.
Eine derartige Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Wird die Rüge zur Unzeit erhoben, läuft sie ins Leere und wird auch dann nicht wirksam, wenn später tatsächlich eine unangemessene Verfahrensdauer eintritt. Die Besorgnis der Verzögerung erfordert zwar noch nicht, dass eine Verzögerung bereits eingetreten ist, verlangt aber gleichwohl, dass der betroffene Verfahrensbeteiligte erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren als solches keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt.
War die Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren wirksam?
Solche Anhaltspunkte bestanden im Ausgangsverfahren objektiv noch nicht, als die Verzögerungsrüge erhoben wurde. Denn das Verfahren war zu diesem Zeitpunkt erst 14 Monate und damit deutlich weniger als zwei Jahre anhängig. Umstände, die seinerzeit dafür hätten sprechen können, dass das FG das Verfahren nicht zügig bearbeiten würde, gab es nicht. Dazu stellt der BFH klar, dass eine erhobene Verzögerungsrüge allein das FG noch nicht verpflichtet, unverzüglich mit der Bearbeitung zu beginnen.
Die nicht wirksame Verzögerungsrüge schließt nach Ansicht des BFH nicht nur die Entschädigung in Geld für Nichtvermögensnachteile aufgrund der Verzögerung aus, sondern jedwede Entschädigung in Geld – etwa für Reisekosten.
Praxishinweis
Der BFH hat mit dieser Entscheidung für den Finanzrechtsstreit näher festgelegt, wann eine Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer verlangt werden kann. Dazu ist jedenfalls eine wirksame Verzögerungsrüge erforderlich. Allerdings bleibt eine Verzögerungsrüge unwirksam, wenn die Rüge erhoben wird, obwohl noch kein Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden könnte. Ein solcher Anlass zur Besorgnis verlangt zudem konkrete Anhaltspunkte. Regelmäßig ist eine Verfahrensdauer von bis zu zwei Jahren angemessen. Schließlich ist eine wirksame Verzögerungsrüge die Voraussetzung für eine Entschädigung in Geld. Der BFH hat damit für Rechtssicherheit gesorgt.
BFH, Urt. v. 26.10.2016 - X K 2/15
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht