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Verfahrensrecht -

Steuererstattung: Wann greift die Festsetzungsverjährung?

Welche Folgen hat ein Erstattungsanspruch für die Festsetzungsverjährung? Wann greift die Ablaufhemmung? Nach dem BFH gilt: Die Anwendung von § 171 Absatz 14 AO ist nicht auf die Fälle unwirksamer Steuerfestsetzungen beschränkt. Grundsätzlich kann jeder relevante Erstattungsanspruch eine Ablaufhemmung auslösen. Der Erstattungsanspruch muss insoweit allerdings vor Ablauf der Frist entstanden sein.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 04.08.2020 (VIII R 39/18) dazu Stellung genommen, wann die Festsetzungsfrist im Zusammenhang mit einem Erstattungsanspruch eintritt.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die klagenden Eheleute A und B gaben „Berichtigungserklärungen“ für die Streitjahre ab und teilten mit, noch nicht erklärte Einkünfte, die aus Vermögen in der Schweiz erzielt wurden, nacherklären zu wollen, und leisteten dazu eine Akontozahlung im Juli 2013.

Das zuständige Finanzamt (FA) teilte mit, dass das Schreiben von A und B als Selbstanzeige gewertet werde und für einige Jahre ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Für die Vorjahre ist zwar eine Strafverfolgungsverjährung eingetreten, jedoch ist noch Einkommensteuer nachzufordern.

Die von A und B ermittelten und sich aus den von ihnen übersandten Tabellen ergebenden Beträge wurden im Wesentlichen übernommen; auf dieser Grundlage wurden die Steuerbescheide 2002 bis 2011 geändert. Anschließend entstand Streit, ob teilweise Festsetzungsverjährung eingetreten war. Einspruch und Klage blieben erfolglos, der BFH folgte dem.

Dauer der Festsetzungsfrist

Aufgrund einer Steuerhinterziehung verlängerte sich die Festsetzungsfrist auf zehn Jahre und war – vorbehaltlich einer Ablaufhemmung – beim Erlass der Änderungsbescheide bereits abgelaufen. Die einjährige Ablaufhemmung, die mit dem Eingang der Selbstanzeige von A und B zu laufen begann, war im Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteueränderungsbescheide für die Streitjahre ebenfalls abgelaufen.

Darüber hinaus konnte die Einleitung des Steuerstrafverfahrens den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen, weil das gegen A gerichtete Verfahren nicht die Streitjahre betraf. Allerdings war der Ablauf der Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 14 AO gehemmt.

A und B stand infolge ihrer Akontozahlung ein Erstattungsanspruch gegen das FA zu, der mit dem Steueranspruch zusammenhängt und bereits mit der Zahlung entstanden war. Dieser Erstattungsanspruch war bis zum Erlass der streitigen Änderungsbescheide nicht zahlungsverjährt und hat den Ablauf der Festsetzungsfrist für die Streitjahre gehemmt.

Gemäß § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch noch nicht verjährt ist.

Mit dieser Vorschrift soll vermieden werden, dass der Steuerpflichtige mit der Begründung, der Steuerbescheid sei unwirksam bekanntgegeben worden, innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist eine Erstattung zu viel gezahlter Steuern verlangen kann, ohne dass das FA die Steuerfestsetzung innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist durch wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheids nachholen könnte.

Da die gesetzgeberische Absicht, eine Ablaufhemmung nur in den Fällen der unwirksamen Steuerfestsetzung zu bewirken, im Wortlaut des § 171 Abs. 14 AO keinen unmittelbaren Ausdruck gefunden hat, ist der Anwendungsbereich der Regelung nach Ansicht des BFH nicht auf die Fälle unwirksamer Steuerfestsetzungen beschränkt. Vielmehr ist grundsätzlich jeder mit dem Steueranspruch zusammenhängende Erstattungsanspruch geeignet, die Ablaufhemmung auszulösen.

Da der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen die Ablaufhemmung auslöst, muss dieser Anspruch allerdings vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein.

Da nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber den Ablauf der Festsetzungsfrist bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung des Erstattungsanspruchs auch in jenen Fällen hinausschieben wollte, in denen der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen erst durch den Ablauf der Festsetzungsfrist entsteht, ist ein solcher Anspruch nicht geeignet, die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 14 AO auszulösen.

Entscheidung im Besprechungsfall

Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen gem. § 171 Abs. 14 AO erfüllt. A und B stand infolge ihrer Akontozahlung ein Erstattungsanspruch gegen das FA zu, der bereits mit der Zahlung im Juli 2013 – und damit vor dem Ablauf der gem. § 171 Abs. 9 AO gehemmten Festsetzungsfrist– entstanden und für den bei Erlass der angefochtenen Bescheide der Streitjahre noch keine Zahlungsverjährung eingetreten war.

Maßgeblich ist, dass es für die Zahlung des Steuerpflichtigen an einem formalen Rechtsgrund in Gestalt eines wirksamen Steuerbescheids fehlt. Für die Akontozahlung von A und B fehlte es an einem formalen Rechtsgrund. Dies hatte zur Folge, dass A und B ein – bereits mit der Zahlung entstandener – Erstattungsanspruch gegen das FA zustand.

Steueränderungsbescheide für die Streitjahre lagen im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht vor. A und B haben die Zahlung im Zusammenhang mit ihrer Selbstanzeige im Vorgriff auf die erwarteten geänderten Steuerfestsetzungen für die Streitjahre – wohl auch vor dem Hintergrund eines etwaigen Erlasses von Nachzahlungszinsen – erbracht.

Ein sonstiger formaler Rechtsgrund für die Zahlung von A und B bestand ebenfalls nicht. A und B sowie das FA haben insbesondere keinen vertraglichen Rechtsgrund für die Zahlung geschaffen. Der danach mit der Zahlung im Juli 2013 entstandene Erstattungsanspruch gegen das FA hängt auch – wie von § 171 Abs. 14 AO vorausgesetzt – mit dem Steueranspruch für die Streitjahre zusammen.

A und B haben die Akontozahlung an das FA ausdrücklich mit Bezug auf die erwartete Steuernachforderung auch für die Streitjahre erbracht. Dass das FA die Zahlung (zunächst) lediglich auf einem Verwahrkonto verbucht hat, ändert hieran nichts.

Auch die fünfjährige Zahlungsverjährung gem. § 228 AO, die mit Ablauf des Jahres 2013 begonnen hat, war im Zeitpunkt des Erlasses und der Bekanntgabe der Änderungsbescheide für die Streitjahre noch nicht abgelaufen.

Praxishinweis

Der BFH hat mit dieser Entscheidung klargestellt, wann bei einem bestehenden Erstattungsanspruch Festsetzungsverjährung gem. § 171 Abs. 14 AO eintritt: Die Anwendung dieser Vorschrift ist nicht auf die Fälle unwirksamer Steuerfestsetzungen beschränkt. Vielmehr ist grundsätzlich jeder mit dem Steueranspruch zusammenhängende Erstattungsanspruch geeignet, eine Ablaufhemmung auszulösen.

Allerdings muss der Erstattungsanspruch, soll er den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmen, vor Ablauf dieser Frist entstanden sein. Eine im Vorgriff auf eine erwartete geänderte Steuerfestsetzung für die Streitjahre erbrachte Zahlung begründet einen Erstattungsanspruch, der die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO auslöst, wenn es an einem formalen Rechtsgrund für die Zahlung fehlt.

BFH, Urt. v. 04.08.2020 - VIII R 39/18

Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht