Jetzt gratis downloaden: Leitfaden zur Beratung bei Selbstanzeige |
§ 171 Abs. 5 AO sieht vor, dass bei einer Steuerfahndungsprüfung die Festsetzungsfrist nicht abläuft, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Diese Norm steht im Spannungsverhältnis zu § 171 Abs. 9 AO, nach dem u.a. bei einer Selbstanzeige die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige abläuft. Es stellt sich die Frage, ob die beiden Ablaufhemmungen sich grundsätzlich ausschließen. Der BFH hat dieses Spannungsverhältnis in einem aktuellen Verfahren geklärt.
Ausgangslage bei BFH vom 03.07.2018- VIII R 9/16
Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger des Ausgangsverfahrens waren im Rahmen eines Stiftungsmodells in Liechtenstein aktiv. Sie unterhielten in den Streitjahren 1996 und 1997 eine Stiftung liechtensteinischen Rechts. Die Stiftung war mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet (sog. Foundation). Die Stiftung hatte ein Stiftungsunterkonto mit einem gemeinschaftlichen Depot.
Die Ehegatten hatten über die Vermögenswerte in der Foundation die volle wirtschaftliche Berechtigung. Sie konnten demnach bis zum Tod des länger Lebenden frei über das Vermögen verfügen und Weisungen an den Stiftungsrat erteilen. In dem Depot befanden sich im Wesentlichen festverzinsliche Unternehmensanleihen sowie Wertpapiere.
Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 gaben die Kläger am 19.01.1998 beim Finanzamt ab. Für das Streitjahr 1997 gaben sie ihre Einkommensteuererklärung am 30.11.1998 ab. Für das Jahr 1996 erklärten sie keine Einkünfte aus Kapitalvermögen. Für das Streitjahr 1997 erklärten sie lediglich inländische Kapitaleinkünfte.
Die Kapitalerträge aus dem Depot der liechtensteinischen Stiftung sowie weitere ausländische Kapitalerträge gaben sie jedoch in der Steuererklärung für das Jahr 1997 nicht an. Die Kapitalerträge aus der liechtensteinischen Foundation wurden daher bei der Einkommensteuer nicht erfasst.
Steuer-CD sorgt für Vorermittlungsergebnis
Im Wege der Amtshilfe erhielt das zuständige Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung im Jahr 2007 eine sog. Steuer-CD. Aus dieser ergaben sich die Existenz und die wirtschaftliche Berechtigung der Kläger an dem bei der Stiftung geführten gemeinschaftlichen Depot.
Die zuständige Prüferin hielt in einem Verdachtsprüfungsvermerk vom 30.09.2007 die aus der Steuer-CD und die durch die Auswertung der Steuerakten gewonnenen Erkenntnisse als Vorermittlungsergebnis fest.
Der Vermerk umfasste u.a. die Anschriften der Kläger, deren Steuernummer beim Finanzamt, die Höhe sonstiger erklärter Einkünfte, die erklärten Kapitalerträge, eine Schätzung zur Höhe der voraussichtlich nachzuzahlenden Steuer, den Eintritt der steuerlichen Festsetzungsverjährung und der strafrechtlichen Verjährung sowie Überlegungen zur Mittelherkunft und zum weiteren Vorgehen, insbesondere zur Durchführung einer Durchsuchung bei den Klägern.
Am 02.10.2007 wurde zur Vorbereitung einer Durchsuchung das Anwesen der Kläger erkundet.
Selbstanzeige der Eheleute
Die Kläger beantragten am 21.02.2008 die Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2006.
Darin machten sie Angaben zu dem Depot bei der Foundation in Liechtenstein. Einzahlungen auf das Depot seien 1995 von einem bereits bestehenden Konto in Liechtenstein erfolgt. Die im Depot gehaltenen Kapitalanlagen bestanden im Wesentlichen aus sog. "schwarzen" Fonds i.S.d. § 18 Abs. 3 AuslInvG bzw. ab 2004 i.S.d. § 6 InvStG. Die Kläger schätzten die nichterklärten Kapitalerträge auf Grundlage der Rücknahmepreise der Fondsanteile zum jeweiligen Jahresende. Mit der Nacherklärung legten sie auch Kopien des Statuts und der Beistatuten der Foundation vor.
Einleitung des Strafverfahrens
Die Steuerfahndung leitete am 04.01.2008 ein Strafverfahren ein, das die Jahre 2002 bis 2006 betraf. Am 02.04.2008 erging ein Prüfungsauftrag der Steuerfahndung gem. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 404 AO an die Prüferin, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Kläger durchzuführen und die Besteuerungsgrundlagen für den Zeitraum 1996 bis 2006 zu ermitteln.
Die Prüferin wurde am 07.04.2008 vom steuerlichen Vertreter der Kläger angerufen. Sie gab ihm die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen Einkommensteuerhinterziehung 2002 bis 2006 gegen die Kläger bekannt. Die Möglichkeiten einer sofortigen Nachzahlung der Steuern dieser Veranlagungszeiträume und die Wirksamkeit der Selbstanzeige vom Februar 2008 sowie die Ermittlung der nacherklärten Besteuerungsgrundlagen für den Zeitraum 2002 bis 2006 wurden im Telefonat ebenfalls erörtert.
Mit Schreiben vom 13.05.2008 erklärten die Kläger nunmehr auch die Erträge aus dem Depot der Foundation nach. In einer Anlage zu diesem Schreiben waren die einzelnen Kapitalanlagen des Depots aufgeschlüsselt.
Die Steuerfahndung ermittelte für die Streitjahre nichterklärte Einnahmen der Kläger aus der Foundation. Sie beliefen sich, wie in der Nacherklärung der Kläger vom 13.05.2008 angegeben, auf 58.466,53 DM (1996) und auf 86.853,08 DM (1997). Nach Abschluss der Fahndungsprüfung änderte das Finanzamt jeweils mit Bescheid vom 11.06.2010 die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre 1996 und 1997 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Entscheidung des BFH
Nach Ansicht des BFH ist der Ablauf der Festsetzungsverjährung gem. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht gehemmt gewesen. Da die Sache allerdings aus anderen Gründen nicht spruchreif ist, hat er das Verfahren an das FG zurückverwiesen.
Beginn der Festsetzungsfrist
Der BFH geht zunächst davon aus, dass die Festsetzungsfrist für beide Streitjahre aufgrund der jeweils im Jahr 1998 eingereichten Steuererklärungen gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1998 begann. Da hier die Kapitalerträge aus der liechtensteinischen Stiftung in den beiden Einkommensteuererklärungen nicht erklärt worden waren, gilt hier nach § 169 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO die zehnjährige Festsetzungsfrist. Die reguläre Festsetzungsfrist beider Streitjahre endete damit mit Ablauf des 31.12.2008.
Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO
Allerdings greift hier nicht die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO zum Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide vom 11.06.2010. Beginnt die Steuerfahndung vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 171 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz AO).
Voraussetzung für diese Hemmung ist allerdings, dass für den Steuerpflichtigen Ermittlungen in seinen Steuerangelegenheiten erkennbar sind. Außerdem muss erkennbar sein, welcher Sachverhaltskomplex den Gegenstand der Ermittlungen bildet. Dafür reicht es nicht aus, wenn erst später Kenntnis von internen Maßnahmen genommen werden kann.
Die durch den Beginn der Ermittlungen grundsätzlich ausgelöste Ablaufhemmung für die Streitjahre ist hier aufgrund einer Unterbrechung der Prüfung unmittelbar nach Beginn rückwirkend entfallen.
Der BFH nimmt im Streitfall eine Unterbrechung der Fahndungsprüfung an, weil der Prüfer nach Beginn der Prüfung über Vorbereitungshandlungen wie das Einholen allgemeiner Informationen über die betrieblichen Verhältnisse, das Rechnungswesen und die Buchführung und/oder die Sichtung der Unterlagen des zu prüfenden Steuerfalls bzw. ein allgemeines Aktenstudium nicht hinausgekommen ist. Nach den Feststellungen des FG gingen die Maßnahmen der Steuerfahndung nicht über reine Vorbereitungshandlungen hinaus. Die Aktenauswertung und die Vorermittlung bildeten nur die Entscheidungsgrundlage für den Umfang des zu erteilenden eigentlichen Prüfungsauftrags.
Spannungsverhältnis zwischen § 171 Abs. 9 und Abs. 5 AO
Grundsätzlich schließt § 171 Abs. 9 AO die Ablaufhemmung nach Absatz 5 nicht aus. Allerdings darf das Finanzamt nach Abgabe einer Nacherklärung nicht abwarten, ob der Steuerpflichtige zu den hinterzogenen Einkünften bis zum Ablauf der einjährigen Hemmungsfrist des § 171 Abs. 9 AO ausreichende Angaben macht. Vielmehr hat das Finanzamt die Möglichkeit, vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist eigene Ermittlungen durch die Steuerfahndung anzustellen, um die Hemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO herbeizuführen.
Voraussetzung für die Ablaufhemmung
Voraussetzung für die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ist, dass die spätere Steuerfestsetzung auf den rechtzeitig aufgenommenen Ermittlungen der Steuerfahndung beruht. Dies setzt voraus, dass die vor Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist vorgenommenen Ermittlungshandlungen konkret der Überprüfung der nacherklärten Besteuerungsgrundlagen dienen.
Der BFH konnte nicht abschließend beurteilen, ob die spätere Festsetzung für die Streitjahre auf den steuerstrafrechtlichen Ermittlungen beruht. Dabei kommt es auf den Umfang der angeforderten Unterlagen an, der sich dem vom FG festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen lässt.
Sofern Unterlagen, die im Steuerfahndungsverfahren angefordert wurden, auch die Streitjahre 1996 und 1997 betrafen, kommt es zu einer Verlängerung der Festsetzungsverjährung. Daher muss im zweiten Rechtgang geklärt werden, ob vor dem 31.12.2008 Unterlagen zur Prüfung der nacherklärten Besteuerungsgrundlagen der Streitjahre angefordert wurden. Weiterhin ist erforderlich, dass die späteren Steuerfestsetzungen der Streitjahre auf dieser Unterlagenanforderung beruhen.
Fazit: Der BFH löst hier das Spannungsverhältnis zwischen zwei Ablaufhemmungen sehr wohlwollend für die betreffenden Steuerpflichtigen auf. Sinn und Zweck des § 171 Abs. 9 AO ist sicherlich, dass die zuständigen Finanzbehörden nach einer Berichtigung einer Steuererklärung oder einer Selbstanzeige zügig ermitteln.
§ 171 Abs. 5 AO dient dazu, dass die Finanzbehörden im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung ausreichend Zeit für die Ermittlungen haben. Dem BFH ist hier zuzustimmen, dass es ermittlungstaktisch besser gewesen wäre, das Verfahren für die Streitjahre 1996 und 1997 zügig in Bescheide münden zu lassen. Allerdings wird dabei die Komplexität vieler strafrechtlich relevanter Sachverhalte übersehen. Die Ermittler neigen dazu, den Gesamtkomplex aufklären zu wollen. Insofern müsste m.E. hier § 171 Abs. 5 AO den Absatz 9 verdrängen.
Prof. Dr. Peter Mann
Quelle: BFH vom 03.07.2018- VIII R 9/16