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Innergemeinschaftliche Lieferung: Eine systematische Übersicht
- Rechtsstand: 2020
Inhaltsübersicht:
- Einleitung
- Das Problem bei der innergemeinschaftlichen Lieferung
- EU-rechtliche Regelungen zur ig. Lieferung
- Gestaltungshinweise zur innergemeinschaftlichen Lieferung
- Rechnungserteilung
- Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung
- Wichtig: Gelangensbestätigung
- Vertrauensschutzregelung bei der ig. Lieferung (Abschn. 6a.8 UStAE)
- Das „ungelöste“ Praxisproblem
- Prüfungsschema Innergemeinschaftliche Lieferung
- Weitere Artikel zur innergemeinschaftlichen Lieferung auf Deubner-Steuern.de
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Einleitung
Bei innergemeinschaftlichen Warenbewegungen erfolgt grundsätzlich eine Besteuerung im Bestimmungsland der Ware. Innergemeinschaftliche Lieferungen sind daher von der Umsatzsteuer befreit. Diese Regelung ersetzt seit dem 01.01.1993 im Warenverkehr mit anderen Mitgliedstaaten die bisherige Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen. Probleme und Streitigkeiten mit der Finanzverwaltung ergeben sich immer wieder hinsichtlich der Form und des Umfangs der Nachweisführung für die Steuerbefreiung durch den Unternehmer.
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Das Problem bei der innergemeinschaftlichen Lieferung
Die innergemeinschaftliche Lieferung gem. § 6a UStG steht im Zusammenhang mit dem seit dem 01.01.1993 (Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz v. 25.08.1992) geltenden Umsatztatbestand, dem innergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG. Bei innergemeinschaftlichen Warenbewegungen erfolgt demnach eine Besteuerung beim Erwerber, also im Bestimmungsland der Ware. Um eine Doppelbelastung mit Umsatzsteuer zu vermeiden, ist daher die innergemeinschaftliche Lieferung gem. § 4 Nr. 1b UStG im Ursprungsland von der Umsatzsteuer befreit. Die Regelung des § 6a UStG i.V.m. § 4 Nr.1b UStG ersetzt im Warenverkehr mit den anderen EU-Mitgliedstaaten die bisher geltende Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen.
EU-rechtliche Regelungen zur ig. Lieferung
Der § 6a UStG ist mit Wirkung ab dem 01.01.1993 in das deutsche Umsatzsteuergesetz eingefügt worden. Er setzt Art. 28c Teil A Buchst. a) der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) in das nationale Recht um und ist im engen Zusammenhang mit den Regelungen zum innergemeinschaftlichen Erwerb zu sehen.
Beachte: Das Gemeinschaftsrecht enthält keine dem § 6a Abs. 4 UStG vergleichbare Gutglaubensregelung (siehe unten). Deswegen ist davon auszugehen, dass die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen nach Gemeinschaftsrecht nicht gewährt zu werden braucht, wenn der Unternehmer nicht alle Voraussetzungen erfüllt hat.
Gestaltungshinweise zur innergemeinschaftlichen Lieferung
Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung i.S.d. § 6a Abs. 1 UStG sind:
1. Steuerbare Lieferung
Die zugrundeliegende Lieferung muss steuerbar sein. Die Abgrenzung zwischen einer Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) und einer sonstigen Leistung erfolgt hierbei nach innerstaatlichem Recht (vgl. Abschn. 3.1 UStAE). Der Lieferer muss zudem Unternehmer i.S.d. § 2 UStG sein.
Beachte: Für Kleinunternehmer (§ 19 Abs. 1 Satz 4 UStG) und pauschalierende Land- und Forstwirte (§ 24 Abs. 1 Satz 2 UStG) gilt § 6a UStG nicht.
Lieferungen von Kleinunternehmern in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelten im Inland als steuerpflichtig, auch wenn die Umsatzsteuer gem. § 19 UStG nicht erhoben wird. Der Erwerber im übrigen Gemeinschaftsgebiet tätigt folglich auch keinen innergemeinschaftlichen Erwerb.
Bei Land- und Forstwirten, die ihre Umsätze nach Durchschnittssätzen ermitteln, sind Lieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet ebenfalls steuerpflichtig. Der Landwirt stellt daher unabhängig von der Person des Abnehmers 10,7 % in Rechnung.
Eine Lieferung ist nur dann steuerbar, wenn sich der Ort der Lieferung im Inland (§ 1a Abs. 2 UStG) befindet. Der Ort wird grundsätzlich danach bestimmt, wo die Versendung oder Beförderung beginnt (§ 3 Abs. 6 UStG). Besonderheiten ergeben sich bei sogenannten Reihengeschäften i.S.d. § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG. Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und erfüllen diese dadurch, dass der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer unmittelbar die Verfügungsmacht verschafft, liegt ein sogenanntes Reihengeschäft vor.
Anm. der Redaktion: Bitte beachten Sie die neue Rechtsprechung des BFH zu bewegten Lieferungen bei einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft.
Bei Reihengeschäften werden mehrere Lieferungen ausgeführt, aber nur eine Beförderungs- oder Versendungslieferung (bewegte Lieferung). Eine etwaige, für die innergemeinschaftliche Lieferung notwendige Warenbewegung in das übrige Gemeinschaftsgebiet kann daher nur dieser Lieferung zugeordnet werden. Die Ortsbestimmung für die übrigen (ruhenden) Lieferungen erfolgt gem. § 3 Abs. 7 UStG.
In der Praxis bereitet die Zuordnung der Warenbewegung, insbesondere beim Transport durch den „mittleren“ Abnehmer (Ersterwerber), regelmäßig Probleme. Zur Maßgeblichkeit des Nachweises des Zeitpunkts der Verschaffung der Verfügungsmacht hat der BFH in seinem Urteil XI R 15/14 vom 25.02.2015 Stellung genommen. Bei einem Befördern und Versenden durch den „letzten“ Abnehmer wurde bislang durch die Rechtsprechung die geltende Verwaltungsauffassung (Abschn. 3.14 Abs. 8 Satz 2 UStAE), wonach in diesen Fällen die Warenbewegung der Lieferung des letzten Lieferers (B an C) in der Reihe zuzuordnen ist, nicht infrage gestellt. Eine etwaige Ausnahme beschreibt der BFH in seinem Urteil XI R 30/13 vom 25.02.2015.
Eine besondere Form des Reihengeschäfts ist das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft (§ 25b UStG).
Beachte: Werklieferungen (§ 3 Abs. 4 UStG) werden grundsätzlich an dem Ort ausgeführt, an dem das fertige Werk übergeben wird. Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist daher bei Werklieferungen nur im Ausnahmefall gegeben, z.B. wenn das fertige Werk vom Inland in einen anderen EU-Mitgliedstaat bewegt wird.
2. Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet
Der Lieferer oder Abnehmer muss den Gegenstand der Lieferung aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördern oder versenden (Abschn. 6a.1 Abs. 6 UStAE). Das übrige Gemeinschaftsgebiet gem. § 1 Abs. 2a UStG sind die Gebiete der übrigen Staaten der EU (d.h. ohne das umsatzsteuerliche Inland). Zu beachten sind die umsatzsteuerlichen Auswirkungen aufgrund der EU-Erweiterung (EU-Erweiterung zum 01.05.2004, BMF-Schreiben v. 28.04.2004; EU-Erweiterung zum 01.01.2007, BMF-Schreiben v. 26.01.2007).
An der Beförderung oder Versendung des Liefergegenstands können entweder nur der Lieferer oder nur der Abnehmer bzw. in deren jeweiligen Auftrag ein Dritter beteiligt sein. Möglich ist aber auch, dass sowohl der Lieferer als auch der Abnehmer in den Transport des Liefergegenstands eingebunden sind, weil sie z.B. übereingekommen sind, sich – unabhängig von der Frage, wer Kosten und Gefahr trägt – den Transport des Liefergegenstands an den Bestimmungsort zu teilen (sog. gebrochene Beförderung oder Versendung). Zur umsatzsteuerlichen Beurteilung vgl. BMF-Schreiben vom 07.12.2015 (III C 2 – S 7134/13/10001).
3. Lieferung an einen Unternehmer für sein Unternehmen oder an eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt (Abschn. 6a.1 Abs. 9 UStAE)
Lieferungen an Endabnehmer oder an Unternehmer für den privaten Gebrauch sind nicht begünstigt und unterliegen grundsätzlich der Besteuerung im Ursprungsland. Eine Ausnahme bildet gem. § 6a Abs. 1 Nr. 2c UStG nur die Lieferung neuer Fahrzeuge (§ 1b Abs. 3 UStG).
Beispiel:
Der Unternehmer K aus Köln liefert Büromöbel an den niederländischen Unternehmer N. Gleichzeitig bestellt N bei K noch ein Jugendzimmer für seinen Sohn.
Lösung: K bewirkt mit der Lieferung der Büromöbel eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an N in den Niederlanden. N hat im Gegenzug in den Niederlanden einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu besteuern.
Die Lieferung des Jugendzimmers ist, da sie nicht für das Unternehmen des N erfolgt, in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig (soweit nicht § 3c UStG zur Anwendung kommt).
Der Lieferer muss daher bei jeder Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet die Abnehmereigenschaften überprüfen. Verwendet der Erwerber gegenüber dem Lieferer seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, so bringt er zum Ausdruck, dass er den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt oder dass es sich bei dem Erwerber um eine juristische Person handelt, die ihre Erwerbe im Bestimmungsland versteuert.
Praxistipp: Bei neuen Geschäftsbeziehungen sollte sich der leistende Unternehmer die USt-IdNr. des Leistungsempfängers auf jeden Fall „qualifiziert bestätigen“ lassen (siehe unten).
4. Erwerb unterliegt im Bestimmungsland der Erwerbsbesteuerung
Der Erwerber muss im anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsland) den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs erfüllen (Abschn. 6a.1 Abs. 16 UStAE). Hintergrund hierfür ist, dass durch die Steuerfreiheit im Ursprungsland zwar eine Doppelbelastung mit Umsatzsteuer vermieden werden soll, aber anderseits auch ein unbelasteter Endverbrauch grundsätzlich nicht gewollt ist. Der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Ursprungsland steht daher grundsätzlich – spiegelbildlich – ein steuerbarer innergemeinschaftlicher Erwerb im Bestimmungsland gegenüber.
Es ist jedoch für die Steuerbefreiung nicht zwingend erforderlich, dass der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert wird. Es genügt vielmehr die bloße Steuerbarkeit in dem anderen Mitgliedstaat (BFH, Urt. v. 21.01.2015 – XI R 5/13).
Von der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland kann der Lieferer grundsätzlich ausgehen, soweit der Erwerber den Gegenstand unter Angabe einer ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erwirbt.
Hinweis:
Nach einem Beschluss des BFH (Beschl. v. 29.07.2009 – XI B 24/09) war es ernstlich zweifelhaft, ob einer Steuerfreiheit entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt. Der EuGH hat mit Urteil vom 07.12.2010 – Rs. C-285/09 entschieden, dass die Steuerbefreiung versagt werden kann, wenn der deutsche Unternehmer vorsätzlich an einer Hinterziehung der Umsatzbesteuerung im Bestimmungsland mitwirkt.
Beachte: Die Lieferung eines neuen Fahrzeugs unterliegt stets der Besteuerung im Bestimmungsland. Ab dem 01.07.2010 gilt eine zusätzliche Meldepflicht für Unternehmer. Zu melden sind innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 6a UStG von Neufahrzeugen an Privatpersonen, nichtunternehmerisch tätige Personenvereinigungen und an Unternehmer, die das Fahrzeug für ihren nichtunternehmerischen Bereich beziehen. Die Meldung erfolgt elektronisch an das BZSt.
5. Be- oder Verarbeitung, § 6a Abs. 1 Satz 2 UStG
Der Gegenstand der Lieferung kann gem. § 6a Abs. 1 Satz 2 UStG durch Beauftragte vor der Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet bearbeitet oder verarbeitet worden sein (Abschn. 6a.1 Abs. 19 UStAE). Die Beauftragung muss jedoch durch den Abnehmer oder einen folgenden Abnehmer erfolgen. In den Fällen, in denen der Lieferer den Be- bzw. Verarbeitungsauftrag erteilt, handelt es sich um einen der innergemeinschaftlichen Lieferung vorgeschalteten Umsatz. Gegenstand der innergemeinschaftlichen Lieferung ist in diesen Fällen der be- bzw. verarbeitete Gegenstand.
Von der Regelung des § 6a Abs. 1 Satz 2 UStG sind insbesondere die Fälle betroffen, in denen ein Unternehmer im Inland Rohmaterial einkauft, es im Inland verarbeiten lässt und anschließend in das übrige Gemeinschaftsgebiet verbringt. Der Lieferant des Rohmaterials erbringt in diesen Fällen – soweit auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind – eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Der mit der Be- bzw. Verarbeitung beauftragte Unternehmer erbringt eine grundsätzlich steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistung an seinen Auftraggeber.
Die Be- oder Verarbeitung kann auch durch mehrere Beauftragte des Abnehmers vor der Beförderung oder Versendung des Gegenstands in das übrige Gemeinschaftsgebiet ausgeführt werden.
6. Innergemeinschaftliches Verbringen
Das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung, gilt gem. § 3 Abs. 1a UStG als Lieferung gegen Entgelt. Diese fiktive Lieferung gilt gem. § 6a Abs. 2 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung (Abschn. 6a.1 Abs. 20 UStAE).
Die Lieferfiktion steht im Zusammenhang mit der Erwerbsfiktion des § 1a Abs. 2 UStG, der das Verbringen eines Gegenstands des Unternehmens aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen Unternehmer zu seiner dauerhaften Verwendung als innergemeinschaftlichen Erwerb fingiert. Durch die Fiktion einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Ursprungsland und den innergemeinschaftlichen Erwerb im Erwerbsland wird eine Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt.
Beispiel
M betreibt ein Modegeschäft in München. Waren, die sich in München nicht verkaufen lassen, bringt er in seine Betriebsstätte nach Mailand, um sie dort zu veräußern.
Innergemeinschaftliches Verbringen (vgl. Abschn. 1a.2 UStAE) liegt vor, wenn:
- der Gegenstand aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet
- durch einen Unternehmer
- zu seiner Verfügung
- und nicht nur zur vorübergehenden Verwendung gelangt.
Lösung: Das Verbringen der Ware durch M gilt gem. § 3 Abs. 1a UStG als innergemeinschaftliches Verbringen und ist gem. § 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a Abs. 2 UStG als fiktive innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei. M muss zusätzlich in Italien die Erwerbsbesteuerung durchführen (analog zu § 1a Abs. 2 UStG).
Der Unternehmer hat das Verbringen sowohl in der USt-Voranmeldung als auch in seiner Zusammenfassenden Meldung gem. § 18a UStG zu erfassen. Ab dem 01.07.2010 ist die zusammenfasssende Meldung monatlich bis zum 25. des Folgenmonats abzugeben, wenn die Umsätze aus innergemeinschaftlichen Lieferungen und Lieferungen i.S.v. § 25b Abs. 2 UStG im Rahmen innergemeinschaftlicher Dreiecksgeschäfte im Quartal 100.000 € übersteigen (vgl. BMF-Schreiben v. 15.06.2010 – IV D 3 – S 7427/08/10003-03). Eingeschränkte Vereinfachungsregelungen ergeben sich aus dem BMF-Schreiben vom 21.11.2012 – IV D 3 – S 7103 – a/12/10002 (UStAE Abschn. 1a.2 Abs. 14 Satz 2). Eine Übergangsregelungen gilt bis zum 30.09.2013 (BMF-Schreiben v. 20.03.2013 – IV D 3 – S 7103 – a/12).
Soweit die o.g. Voraussetzungen vorliegen, sind die Lieferungen als innergemeinschaftliche Lieferungen gem. § 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG von der Umsatzsteuer befreit. Konsequenzen für den Vorsteuerabzug ergeben sich gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1a i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht.
Rechnungserteilung
Neben den allgemeinen Vorschriften des § 14 UStG hat der Unternehmer im Rahmen der Rechnungserteilung insbesondere die folgenden Pflichten des § 14a UStG zu beachten:
- Hinweis auf die Steuerbefreiung und
- Angabe sowohl der eigenen als auch der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers.
Der Lieferer hat ein Doppel der Rechnung, auch wenn er nicht zur Buchführung verpflichtet ist, zehn Jahre aufzubewahren.
Weitere Aufzeichnungspflichten wie die gesonderte Erklärung der Bemessungsgrundlagen der innergemeinschaftlichen Lieferungen in der Umsatzsteuervoranmeldung und der Jahreserklärung sowie die getrennte Aufzeichnung der Bemessungsgrundlagen in der Buchführung ergeben sich aus § 22 UStG.
Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung
Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist grundsätzlich (analog den Ausfuhrlieferungen ins Drittland) gem. § 6a Abs. 3 UStG, dass der Unternehmer die innergemeinschaftliche Lieferung belegmäßig und buchmäßig nachweist (Abschn. 6a.2 Abs. 1 UStAE). Von der Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen hat das Bundesministerium der Finanzen in den §§ 17a–17c UStDV Gebrauch gemacht. Im Einzelnen ergeben sich die folgenden Nachweispflichten:
Innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) durch: | Belegnachweis | Buchnachweis |
Beförderung | § 17a Abs. 1 und 2 UStDV | § 17c Abs. 1 und 2 UStDV |
Versendung | § 17a Abs. 1, 2 und 3 UStDV | § 17c Abs. 1 und 2 UStDV |
Gemeinschaftliches Versandverfahren | § 17a Abs. 1 und 3 UStDV | § 17c Abs. 1 und 2 UStDV |
Be- bzw. Verarbeitungsfälle (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UStG) | § 17a Abs. 1 und § 17b UStDV | § 17c Abs. 1 und 2 UStDV |
Innergemeinschaftliches Verbringen (§ 6a Abs. 2 UStG) | Eigenbeleg analog § 17a UStDV | § 17c Abs. 1 und 3 UStDV |
Praxistipp: Der erforderliche Belegnachweis kann noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht nachgeholt werden.
In Fällen, in denen der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, hat der Unternehmer den Nachweis durch einen zeitnahen schriftlichen Verbringensnachweis zu führen (vgl. auch BFH v. 12.05.2011 – V R 46/10).
Wichtig: Gelangensbestätigung
Durch die „ Zweite Verordnung zur Änderung steuerlicher Verordnungen“ vom 02.12.2011 (BGBl I, 2416) wurden die §§ 17a, 17b und 17c UStDV mit Wirkung zum 01.01.2012 geändert.
Die Nachweispflichten wurden hierbei gegenüber der bisherigen Rechtslage wesentlich verschärft. So wurde u.a. der Nachweis mittels „Gelangensbestätigung“ (§ 17a UStDV) eingeführt. Das BMF hat mit Schreiben vom 09.12.2011, 06.02.2012 (IV D 3 – S 7141/11/10003) und 01.06.2012 (IV D 3 – S 7141/11/10003-06) bis zum Inkrafttreten der erneuten Änderung der UStDV jedoch zugelassen, dass der Unternehmer den beleg- und buchmäßigen Nachweis noch nach den bisherigen Regelungen führen kann.
Für nach dem 30.09.2013 ausgeführte innergemeinschaftliche Lieferungen ist die Gelangensbestätigung zwar weiterhin geeigneter Belegnachweis, aber nicht mehr die alleinige Nachweismöglichkeit. Der Nachweis durch andere Belege wie Frachtbrief oder Konossement ist wieder möglich.
Neben den Änderungen des UStAE enthält das BMF-Schreiben vom 16.09.2013 – S 7141/13/10001 auch Muster einer Gelangensbestätigung sowie weitere Anlagen. Das neue Recht ist zwingend auf Umsätze anzuwenden, die ab dem 01.01.2014 ausgeführt werden.
Der Unternehmer kann danach den Belegnachweis in jedem Fall durch ein Doppel der Rechnung und einer Gelangensbestätigung erbringen. Daneben sind jedoch je nach Einzelfall verschiedene Alternativnachweise (§ 17a Abs. 3 UStDV) möglich. Im Einzelnen ergeben sich folgende Möglichkeiten:
Beförderung durch | Versendung durch | ||
---|---|---|---|
Lieferant | Abnehmer | Lieferant | Abnehmer |
Gelangensbestätigung (§ 17a Abs. 2 Satz Nr. 2 UStDV) | |||
Versendungsbeleg (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) UStDV) | |||
Spediteursbescheinigung (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) UStDV) | |||
Tracking & Tracing Protokoll (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) UStDV) | |||
Empfangsbescheinigung Postdienstleister (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d) UStDV) | |||
Spediteursversicherung (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 UStDV) |
Der für die Umsatzsteuerfreiheit erforderliche Belegnachweis i.S.v. § 17a UStDV kann nicht durch eine Zeugenvernehmung ersetzt werden (BFH, Urt. v. 19.03.2015 – V R 14/14).
Alternativen bzw. Besonderheiten ergeben sich auch für die Lieferung verbrauchssteuerpflichtiger Waren (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 UStDV), Beförderungen im gemeinschaftlichen Versandverfahren (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 UStDV) und für die Lieferungen von Fahrzeugen (§ 17a Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 UStDV).
Seit dem 01.10.2013 kann die Übermittlung von Nachweisen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen in bestimmten Fällen auf elektronischem Weg erfolgen (§ 17a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b) UStDV).
Eine bedeutende Rolle für den Nachweis der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung spielt die USt-IdNr. und das Bestätigungsverfahren. Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer i.S.d. § 27a UStG ist ein wesentlicher Bestandteil des Buchnachweises und Ordnungsmerkmal des Unternehmers im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr (Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz v. 25.08.1992, BGBl I, 1548).
Unternehmer, die seit dem 01.01.1993 Waren in andere EU-Mitgliedstaaten liefern oder Waren aus diesen Ländern beziehen, erhalten daher für Umsatzsteuerzwecke neben ihrer Steuernummer grundsätzlich eine eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer hat neben der materiellen Rechtswirkung und Ordnungsfunktion insbesondere Beweisfunktionen für die Steuerfreiheit einer in Deutschland steuerbaren innergemeinschaftlichen Lieferung.
Die USt-IdNr. des Leistungsempfängers aus einem anderen EU-Mitgliedstaat ist Indiz für die Unternehmereigenschaft des Erwerbers und die Steuerbarkeit des Erwerbs im Bestimmungsland. In den Rechnungen über innergemeinschaftliche Lieferungen sind daher gem. § 14a Abs. 3 UStG die USt-IdNr. des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers anzugeben.
Als notwendiger Nachweis für die Steuerbefreiung ist die USt-IdNr. des Leistungsempfängers gem. § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV aufzuzeichnen. Zur Rolle der USt-IdNr. vgl auch EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (BFH, Beschl. v. 10.11.2010 – XI R 11/09). Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 27.09.2012 (C-587/10) festgestellt, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung in besonderen Ausnahmefällen selbst dann möglich ist, wenn der Erwerber keine gültige USt-IdNr. besitzt (BFH, Folgeurt. v. 28.05.2013 – XI R 11/09).
Die Frage, ob die Finanzverwaltung die Steuerbefreiung versagen darf, wenn der Steuerpflichtige die USt-IdNr. seines Abnehmers nicht aufgezeichnet hat, wurde vom EuGH mit Urteil vom 20.10.2016 (Rs. C-24/15 „Plöckl“) entschieden. Die ausländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer stellt danach nur ein formelles Erfordernis dar. Die Nichteinhaltung dieser formellen Anforderung könne nur in zwei Fällen den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen:
- Der Unternehmer beteiligt sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung (und kann sich somit nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen).
- Der Verstoß gegen formelle Nachweispflichtet verhindert den sicheren Nachweis (durch alternative Belege), dass die materiellen Anforderungen für die Steuerbefreiung gegeben sind.
Eine Reaktion der Finanzverwaltung auf das EuGH-Urteil bleibt abzuwarten.
Bei Zweifeln an den Voraussetzungen für die Steuerfreiheit muss sich der Unternehmer gem. § 18e UStG (Bestätigungsverfahren) die Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bestätigen lassen.
Beispiel
D aus Dortmund liefert Maschinen an A aus Amsterdam. A teilt dem D seine niederländische USt-IdNr. mit. Aufgrund des guten Eindrucks, den D von seinem neuen Geschäftspartner hat, und aus Zeitgründen lässt sich D die USt-IdNr. lediglich per Internet (einfache Bestätigung) als gültig bestätigen. Spätere Ermittlungen ergeben, dass die angegebene USt-IdNr. tatsächlich einem anderen niederländischen Unternehmen zugeteilt war.
Das Bundeszentralamt für Steuern bestätigt gem. § 18e UStG auf schriftliche und telefonische Anfrage oder bei Anfrage durch Telefax die Gültigkeit einer USt-IdNr. Über das Ergebnis der Anfrage erteilt das Bundeszentralamt für Steuern in jedem Fall einen schriftlichen Bescheid (Abschn. 18e.1 UStAE) mit den folgenden Angaben:
Antwort | ||
---|---|---|
Art der Anfrage | Einfache Bestätigungsabfrage | Qualifizierte Bestätigungsabfrage |
USt-IdNr. des Leistungsempfängers | gültig oder ungültig | gültig oder ungültig |
Name des Leistungsempfängers, Postleitzahl, Ort, Straße des Unternehmens des Leistungsempfängers | zusätzlich jeweils:
|
Nur bei der sogenannten qualifizierten Bestätigungsabfrage bestätigt das BZSt zusätzlich den Namen und die Anschrift der Person, der die USt-IdNr. von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde (vgl. Abschn. 18e.1 Abs. 4 UStAE).
Lösung: Da im Beispielsfall keine qualifizierte Bestätigung, sondern lediglich eine einfache Bestätigungsabfrage vorliegt, wird die Finanzverwaltung die Steuerbefreiung versagen.
Beachte: Die im Rahmen des § 6a Abs. 4 UStG dem Unternehmer obliegende Sorgfaltspflicht kann durch eine einfache Bestätigungsabfrage nicht erfüllt werden.
Vertrauensschutzregelung bei der ig. Lieferung (Abschn. 6a.8 UStAE)
Der liefernde Unternehmer ist im Zusammenhang mit dem notwendigen Nachweis einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung von den Angaben seines Abnehmers abhängig. In vielen Fällen fehlen ihm jedoch die Möglichkeiten zur Überprüfung dieser Angaben. § 6a Abs. 4 UStG enthält daher eine Vertrauensschutzregelung für den Unternehmer. Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn:
- die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und
- der Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben bei Beachtung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns (vgl. auch § 347 HGB) nicht erkennen konnte.
Beachte: Die Vertrauensschutzregelung ist auf Fälle beschränkt, in denen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen. Scheitert die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung daran, dass der Unternehmer der Nachweispflicht i.S.d. § 6a Abs. 3 UStG nicht nachgekommen ist, kommt die Gutglaubensschutzregelung nicht zur Anwendung.
Beispiel
Der Unternehmer B aus Belgien erwirbt in Münster bei M Büromaschinen. Bei Abholung der Ware gibt B seine belgische USt-IdNr. an und erteilt dem M eine schriftliche Bestätigung, dass er die Ware nach Belgien transportiert und dort für sein Unternehmen nutzt. Tatsächlich bringt B jedoch die Ware in ein Lager in Deutschland und veräußert sie unmittelbar an verschiedene deutsche Abnehmer.
M behandelt die Lieferung als steuerfrei und erklärt sowohl in seiner USt-Voranmeldung als auch in seiner Zusammenfassenden Meldung steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Für die belgische USt-IdNr. des B liegt dem M eine qualifizierte Bestätigungsabfrage vor.
Ein Tatbestandsmerkmal des § 6a Abs. 1 UStG (Lieferung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats) ist nicht erfüllt. M wurde durch unrichtige Angaben des Abnehmers getäuscht. Da er die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns erfüllt hat und sich vom Abnehmer zeitnah einen schriftlichen Verbringensnachweis hat geben lassen, kann er durch Anwendung der Vertrauensschutzregelung die Lieferung weiterhin als steuerfrei behandeln.
Ein Verstoß gegen § 6a Abs. 3 UStG – also den Buchnachweis – liegt nicht vor, da er die zutreffende USt-IdNr. aufgezeichnet hat. Der BFH hat mit Urteil vom 14.11.2012 (XI R 17/12) zum Umfang der Sorgfaltspflichten eines Unternehmers Stellung genommen. Danach muss der Unternehmer z.B. beim Barverkauf eines Luxus-Pkw Nachforschung bis zur „Grenze der Zumutbarkeit“ anstellen. Die erhöhten Anforderung an die Gutgläubigkeit hat der BFH mit Urteil vom 25.04.2013 (V R 28/11) nochmals bestätigt (zu den Anforderungen an ein „leichtfertiges Handeln“ vgl. BFH, Urt. v. 24.07.2014 – V R 44/13).
Nur bei dem Tatbestandsmerkmal der „Lieferung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats“ und der entsprechenden Nachweisführung hierzu besteht kein direkter Zusammenhang mit der USt-IdNr. des Leistungsempfängers.
Das „ungelöste“ Praxisproblem:
Die Vertrauensschutzregelung i.S.d. § 6a Abs. 4 UStG wurde geschaffen, um gutgläubige Unternehmer vor negativen Konsequenzen aufgrund unrichtiger Angaben der jeweiligen Leistungsempfänger zu schützen. Offensichtlich berufen sich aber immer mehr „steuerunehrliche Teilnehmer“ an sogenannten Umsatzsteuerkarussellen aufgrund einer offensichtlich sauberen Beleglage auf die o.g. Vertrauensschutzregelung. Die Täter machen sich hierbei das System der Umsatzsteuer zunutze, in dem der Anspruch auf Erstattung von gesondert in Rechnung gestellter Vorsteuer unabhängig davon besteht, ob der Schuldner der Umsatzsteuer diese auch an das Finanzamt abführt.
Beispiel
Ein deutscher Kfz-Händler liefert Kraftfahrzeuge in ein anderes EU-Land. Da sich der Vertragspartner (bzw. der vermeintliche Leistungsempfänger) trotz Überprüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer als sogenannter „Scheinunternehmer“ erweist, behandelt die Finanzverwaltung die Lieferung als steuerpflichtig und versagt die Steuerbefreiung i.S.d. § 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG. Der vom Unternehmer begehrte Vertrauensschutz i.S.d. § 6a Abs. 4 UStG wird von der Finanzverwaltung regelmäßig abgelehnt.
Zur Klarstellung:
1. Umsatzsteuerkarussell
Ein „Umsatzsteuerkarussell“ liegt vor, wenn Unternehmer unter Ausnutzung der Regelungen für die Umsatzbesteuerung der innergemeinschaftlichen Lieferungen und Erwerbe durch den Aufbau von grenzüberschreitenden Lieferketten in den Genuss von Vorsteuerabzug gelangen, ohne dass die in der Kette entstehende Umsatzsteuer angemeldet bzw. entrichtet wird (vgl. Fumi, EFG 2003, 891; Anmerkungen zum Hessischen FG, Beschl. v. 05.01.2001 – 6 V 4543/00).
Zu etwaigen Konsequenzen bei der Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell vgl. auch EuGH vom 12.01.2006 (Rs. C-354/03, Rs. C-355/03, Rs. C-484/03 „Optigen“) und 06.07.2006 (Rs. C-439/04 „Kittel“). Soweit der Unternehmer die Identität seines Abnehmers bewusst verschleiert, entfällt die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung (BFH v. 17.02.2011 – V R 30/10). Zur Versagung der Steuerbefreiung bei Beteiligung an Steuerhinterziehung vgl. auch BFH v. 11.08.2011 (VR 19/10), BFH v. 11.08.2011 (VR 50/09), BVerfG, Beschl. v. 16.06.2011 (2 BvR 542/09) und BMF-Schreiben v. 26.09.2011 (IV D 3 – S 7141/08/10001)
2. Scheinunternehmen
Ein „Scheinunternehmen“ ist ein Rechtsgebilde, das, ohne am eigentlichen Leistungsaustausch teilzunehmen, in eine Leistungskette eingegliedert ist oder als Leistender bzw. Abnehmer vorgeschoben wird. Da ein Scheinunternehmen wirtschaftlich inaktiv ist, kann es weder Leistungen im Rahmen eines Leistungsaustauschs empfangen noch selber solche ausführen. Auch eine rechtlich existente natürliche oder juristische Person kann somit Scheinunternehmer sein.
Praxistipp: Laut Beschluss des BFH vom 25.11.2005 – V B 75/05 ist der Umfang der Anforderungen an den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung und unter welchen Voraussetzungen sich ein Unternehmer auf den Gutglaubensschutz i.S.d. § 6a Abs. 4 UStG berufen kann, noch nicht abschließend geklärt. Hinsichtlich einer etwaigen Aussetzung der Vollziehung im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen hat das BMF ein BMF-Schreiben – IV A 6 – S 7140 – 5/06 herausgegeben.
Der EuGH hat in drei Grundsatzentscheidungen vom 27.09.2007 (Rs. C-146/05, „Collée“; Rs. C-409/04, „Teleos“ und Rs. C-184/05, „Twoh International“) zu den Rechten und Pflichten Steuerpflichtiger, die innergemeinschaftliche Lieferungen tätigen, Stellung genomm
- Rs. C-409/04: Zum Thema „gutgläubiger Lieferant“ hat der EuGH entschieden, dass eine Erwerbererklärung keinen Beweis für eine innergemeinschaftliche Lieferung darstellt.
- Rs. C-184/05: Die Finanzbehörden des Ursprungmitgliedstaats einer innergemeinschaftlichen Lieferung sind nicht verpflichtet die Behörden des vom Lieferanten angegebenen Bestimmungsmitgliedstaats um Auskunft zu ersuchen. Das Urteil stärkt damit die Rechte der Finanzverwaltung und nimmt eindeutig den liefernden Unternehmer in die Nachweispflicht.
- Rs. C-146/05 (UR 21/2007, 813): Die Befreiung einer tatsächlich ausgeführten innergemeinschaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer kann nicht allein mit der Begründung verwehrt werden, dass der Nachweis einer solchen Lieferung nicht rechtzeitig erbracht sei. Die Folgeentscheidung des BFH vom 06.12.2007 – V R 59/03 ermöglicht es, über Mängel beim Beleg- und Buchnachweis hinwegzusehen, wenn eindeutig eine innergemeinschaftliche Lieferung i.S.d. § 6a Abs. 1 UStG vorliegt. Die Nachweispflichten des Lieferers stellen nach der Entscheidung des BFH keine materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung mehr dar. Danach kann eine Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer auch nicht allein darauf gestützt werden, dass der Unternehmer den ihm obliegenden Nachweispflichten nach §§ 8 ff. UStDV bzw. §§ 17a ff. UStDV nicht entsprochen hat (BGH, Beschl. v. 19.08.2009 – 1 StR 206/09). Weitere aktuelle Grundsätze zu den Nachweisen im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen ergeben sich aus den BFH-Urteilen vom 08.11.2007 (V R 72/05 und V R 26/05).
Praxistipp: Zurzeit lassen sich aus der neueren EuGH- und BFH-Rechtsprechung folgende Erkenntnisse ableiten:
Sachverhalt | Rechtliche Konsequenz | Gutglaubenschutz |
---|---|---|
Der Unternehmer kommt seinen Nachweispflichten i.S.d. §§ 17a–17c UStDV nicht nach. | Die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegen nicht vor. | Nein. |
Der Unternehmer kommt seinen Nachweispflichten i.S.d. §§ 17a–17c UStDV nicht nach. Aber: Aufgrund der objektiven Beweislage steht fest, dass die Voraussetzungen des § 6a UStG erfüllt sind. | Die Lieferung ist steuerfrei gem. § 6a UStG. | Nicht notwendig. |
Der Unternehmer kommt allen seinen Nachweispflichten i.S.d. §§ 17a–17c UStDV nach. Aber: Es liegen nicht alle Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vor. | Die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegen grundsätzlich nicht vor. | Der Gutglaubensschutz i.S.d. § 6a Abs. 4 UStG ist zu prüfen. |
Das BMF hat mit Schreiben vom 06.01.2009 – IV B 9 – S 7141/08/1001 zur Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b) UStG i.V.m. § 6a UStG umfassend Stellung genommen.
Die strengen Nachweise für die Führung des Buch- und Belegnachweises sind – auch wenn sie nicht mehr als materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung angesehen werden – danach weiterhin zu beachten.
Das o.g. BMF-Schreiben wurde an die Rechtsprechung des BFH angepasst und durch das BMF-Schreiben vom 05.05.2010 – IV D 3 – S 7141/08/10001 – ersetzt. Neuerungen ergeben sich insbesondere beim Belegnachweis in Beförderungsfällen, beim Belegnachweis in Versendungsfällen sowie beim Buchnachweis. Zu den Anforderungen an CMR-Frachtbriefe als Belegnachweis für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Versendungsfällen vgl. auch BFH v. 17.02.2011 – V R 28/10, BFH v. 31.03.2011 – I B 177/10 und BFH v. 04.05.2011 – XI R 10/09 und BFH vom 22.7.2015 – V R 38/14.
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