Der Rat der Europäischen Union hat eine Richtlinie verabschiedet, in der es um die Änderung verschiedener Bestimmungen der MwStSystRL geht (EU ABl. L 20/14 v. 15.01.2010). Für die Praxis ist insbesondere die Korrektur beim Vorsteuerabzug in Bezug auf gemischtgenutzte Grundstücke als Reaktion des Gesetzgebers auf die Seeling-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Bedeutung.
Seeling-Rechtsprechung
Mit Urteil vom 08.05.2003 (Rs. C-269/00 - Seeling) hatte der EuGH festgestellt, dass bei einem gemischtgenutzten und vollständig dem Unternehmensvermögen zugeordneten Gebäude die private Nutzung eines Gebäudeteils als unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist. Im Gegenzug ergibt sich daraus, dass die mit diesem Gebäude im Zusammenhang stehenden Vorsteuerbeträge voll abgezogen werden können.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und später der Gesetzgeber haben auf das Seeling-Urteil dadurch reagiert, dass im Rahmen der Versteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe die Gebäudeanschaffungs- bzw. Gebäudeherstellungskosten nur noch auf zehn statt bisher 50 Jahre verteilt werden dürfen. Der EuGH hat mit Urteil vom 14.09.2006 bestätigt (Rs. C-72/05 - Wollny), dass die Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf zehn Jahre mit dem EU-Recht vereinbar ist.
Änderung der MwStSystRL
Mit der Änderung der MwStSystRL wird nun folgender Art. 168a eingefügt:
(1) Soweit ein dem Unternehmen zugeordnetes Grundstück vom Steuerpflichtigen sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für seinen privaten Bedarf oder den seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke verwendet wird, darf bei Ausgaben im Zusammenhang mit diesem Grundstück höchstens der Teil der Mehrwertsteuer nach den Grundsätzen der Art. 167, 168, 169 und 173 abgezogen werden, der auf die Verwendung des Grundstücks für unternehmerisch Zwecke des Steuerpflichtigen entfällt.
Ändert sich der Verwendungsanteil eines Grundstücks nach Unterabsatz 1, so werden diese Änderungen abweichend von Art. 26 nach den in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Vorschriften zur Anwendung der in den Art. 184 bis 192 festgelegten Grundsätze berücksichtigt.
(2) Die Mitgliedstaaten können Absatz 1 auch auf die Mehrwertsteuer auf Ausgaben im Zusammenhang mit von ihnen definierten sonstigen Gegenständen anwenden, die dem Unternehmen zugeordnet sind.
Nach Art. 2 der Änderungsrichtlinie müssen die Mitgliedsstaaten die erforderliche gesetzliche Anpassung auf nationaler Ebene bis zum 01.01.2011 vorgenommen haben. Es ist damit zu rechnen, dass die Bundesregierung die notwendigen Anpassungen des UStG im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz 2010 vornehmen wird.
Folgen für die Praxis
Nach dem neuen Art. 168a MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich nur noch insoweit, als der Steuerpflichtige die Gegenstände und Dienstleistungen für seine unternehmerische Tätigkeit verwendet. Damit ist nicht das Recht auf Zuordnung des Gegenstands oder der Dienstleistung zum Unternehmensvermögen gemeint, sondern eine Beschränkung des Rechts auf Vornahme des Vorsteuerabzugs der Höhe nach.
Die neue Vorschrift betrifft insbesondere Grundstücke und damit zusammenhängende Ausgaben. Durch die Änderung entfällt der Zinsvorteil des Seeling-Steuersparmodells, nach dem Unternehmer nach dem Prinzip des Sofortabzugs der Vorsteuer im Zeitpunkt des Leistungsbezugs die Vorsteuer in voller Höhe vom Finanzamt erstattet bekommen und erst im Verlauf von zehn Jahren über die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe an das Finanzamt zurückzahlen müssen.
Beispiel: Der Unternehmer erwirbt ein Einfamilienhaus samt Grund und Boden zum Kaufpreis von 1 Mio. € zzgl. 190.000 € USt, das er zu 25 % unternehmerisch und zu 75 % privat nutzt.
Bisher kann er die Vorsteuer von 190.000 € unter Berufung auf die Seeling-Rechtsprechung in voller Höhe abziehen. Im Gegenzug muss er über zehn Jahre eine unentgeltliche Wertabgabe von 75.000 € mit 19 % USt versteuern und somit jährlich 14.250 € wieder an das Finanzamt abführen.
Ab 2011 ist die Vorsteuer beim Kauf nur noch anteilig in Höhe von 25 % bzw. 47.500 € abzugsfähig. Im Gegenzug entfällt die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe.
Ändert sich innerhalb von zehn Jahren der unternehmerische Verwendungsanteil, erfolgt die Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs voraussichtlich über die Regeln der Vorsteuerberichtigung des § 15a UStG.
Hinweis: Im Fokus der Neuregelungen stehen zwar in erster Linie Grundstücke und damit zusammenhängende Ausgaben. Art. 168a Abs. 2 MwStSystRL ermächtigt die Mitgliedstaaten allerdings, die Einschränkung der Höhe des Vorsteuerabzugs auch für bewegliche Gegenstände einzuführen, die dem Unternehmen zugeordnet sind und privat genutzt werden. Insoweit handelt sich allerdings im Gegensatz zu Art. 168a Abs. 1 MwStSystRL um eine subsidiäre Regelung, so dass es in das Obliegen des jeweiligen Mitgliedstaats gestellt ist, die den Vorsteuerabzug einschränkende Regelung für bewegliche Gegenstände (z.B. Pkws) einzuführen. Mit Blick auf die öffentliche Haushaltslage bleibt mit Spannung abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber davon Gebrauch machen wird.
Richtlinie v. 22.12.2009 - 2009/162/EU