Über den „Sanierungserlass“ des BMF konnten bislang Sanierungsgewinne von insolvenzgefährdeten Unternehmen steuerfrei gestellt werden. Diese allgemeinverbindliche Verwaltungsanweisung zu den Billigkeitsregeln der Abgabenordnung (AO) hat der Große Senat des BFH nun verworfen. Für kriselnde Unternehmen sind solche Steuervergünstigungen damit schwieriger durchsetzbar - sie bleiben aber möglich.
Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, ob die Finanzverwaltung durch ihren sogenannten Sanierungserlass bestimmte Unternehmensgewinne im Billigkeitsweg generell steuerfrei stellen kann.
Sachverhalt für die Vorlage an den Großen Senat
Ein Einzelunternehmen erzielte in den Veranlagungszeiträumen 2001 bis 2006 Verluste. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage traf der Unternehmer eine Vereinbarung, nach der die kreditgebenden Banken 2007 auf einen Teil ihrer Forderungen verzichteten. Das Finanzamt legte die aus dem Forderungsverzicht erzielten Gewinne der Besteuerung zugrunde. Den Einspruch des Unternehmers wies das Finanzamt zurück. Neben dem Einspruch hatte der Unternehmer beantragt, den Sanierungsgewinn nach § 163 AO steuerfrei zu belassen. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt allerdings ab. Einspruch und Klage gegen den Ablehnungsbescheid blieben erfolglos.
Strittig blieb, ob die Voraussetzungen für einen Erlass der festgesetzten Einkommensteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß dem Sanierungserlass vorlagen. Auf die Revision des Unternehmers legte der zehnte Senat des BFH dem Großen Senat die Frage vor, ob der Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße.
Hintergrund des Sanierungserlasses
Bis zum Veranlagungszeitraum 1997 stellte § 3 Nr. 66 EStG a.F. Sanierungsgewinne unter bestimmten Voraussetzungen in voller Höhe steuerfrei. Diese Steuerfreiheit wurde genehmigt, wenn
- die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens vorlag,
- die Sanierungsabsicht der Gläubiger bestand sowie
- die Sanierungseignung des Schuldenerlasses gegeben war.
Anschließend wurde die Vorschrift aufgehoben, so dass ein Sanierungsgewinn grundsätzlich steuerpflichtig wurde. Nun konnte ein Erlass der auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuern lediglich im Billigkeitsweg beantragt werden. Die Finanzverwaltung musste über diesen Antrag im Einzelfall entscheiden, ein Anspruch auf Steuerbefreiung bestand nicht.
Daraufhin gab das BMF den Sanierungserlass heraus. Darin regelte es in einer allgemeinverbindlichen Verwaltungsanweisung, dass aufgrund der §§ 163 und 227 AO Ertragsteuern auf einen Sanierungsgewinn unter ähnlichen Voraussetzungen wie in § 3 Nr. 66 EStG a.F. erlassen werden können. In dem Erlass wird u.a. bei Vorliegen eines Sanierungsplans davon ausgegangen, dass die für einen Steuererlass erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Auf eine Prüfung im Einzelfall, ob persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe gegeben sind, wird gemäß Erlass verzichtet.
Beurteilung durch den Großen Senat
Nach Ansicht des Großen Senats hat der Gesetzgeber im Jahr 1997 ausdrücklich entschieden, dass die bis dahin geltende gesetzliche Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne abgeschafft wird. Der Finanzverwaltung ist es daher verwehrt, entgegen der Entscheidung des Gesetzgebers gleichwohl diese Gewinne durch einen generell anzuwendenden Erlass von der Besteuerung auszunehmen. Die Finanzverwaltung verstößt damit gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Denn sie darf die Besteuerung eines Sanierungsgewinns nicht – wie mit dem Sanierungserlass geschehen – allgemein als sachlich unbillig erklären und von der Besteuerung freistellen unter Bedingungen, die denen der vom Gesetzgeber aufgehobenen Steuerbefreiung nahezu entsprechen.
Hinzu kommt, dass für den Großen Senat die Voraussetzungen, die im Sanierungserlass für die Steuerbefreiung aufgestellt werden, keinen Fall für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen wegen sachlicher Unbilligkeit i.S.d. §§ 163 und 227 AO darstellen. Also hat die Finanzverwaltung typisierende Regelungen für einen Steuererlass geschaffen, die außerhalb der Billigkeitsmaßnahmen stehen, die im Einzelfall möglich sind. Durch dieses Vorgehen wird vom BMF eine strukturelle Gesetzeskorrektur vorgenommen und damit das Legalitätsprinzip verletzt, das sowohl verfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 3 GG als auch einfachrechtlich in § 85 Satz 1 AO normiert ist.
Diese Vorgehensweise wird aus Sicht des BFH auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Steuerfreistellung von Sanierungsgewinnen aus Gründen außerhalb des Steuerrechts zu begrüßen sein könnte. Zwar mag eine solche Begünstigung aufgrund des wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Interesses am Erfolg der eingeleiteten Unternehmenssanierung zu begrüßen sein. Allerdings obliegt die Entscheidung, ob sich der Fiskus an der Sanierung von Unternehmen beteiligt, und wenn ja, in welcher Weise er dies tut, allein dem Gesetzgeber.
Praxishinweis
Der Große Senat hat zwar den geltenden Sanierungserlass verworfen, aber aus dieser Entscheidung folgt nicht, dass Billigkeitsmaßnahmen durch eine allgemein gültige Verwaltungsanweisung generell nicht getroffen werden können. Voraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahmen treffende allgemein gültige Verwaltungsanweisung ist allerdings, dass in jedem Einzelfall, der in den Anwendungsbereich dieser Verwaltungsanweisung fällt, tatsächlich eine Prüfung der Billigkeit der Steuerbefreiung vorgenommen wird und diese positiv ausfällt. Die Steuerfreiheit kann sich dann aus sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen ergeben.
Gleichzeitig folgt aber auch, dass seitens der Finanzverwaltung allein aufgrund des Sanierungserlasses keine Steuerfreiheit bewilligt werden kann. Folglich werden finanzgerichtliche Klagen, die sich auf den Sanierungserlass stützen, künftig kaum noch Erfolg haben. Unabhängig davon bleibt die Möglichkeit bestehen, individuelle Billigkeitsmaßnahmen anzuwenden, die auf besonderen Gründen des Einzelfalls beruhen, wie z.B. persönliche Billigkeitsgründe. Es bleibt abzuwarten, wie das BMF auf diese BFH-Entscheidung reagiert, insbesondere ob es den Sanierungserlass aufhebt.
BFH, Beschl. v. 28.11.2016 - GrS 1/15
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht