Wer gegen Steuernachforderungen vorgeht und die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids erreicht, muss ggf. später auf den geschuldeten Betrag „Aussetzungszinsen“ zahlen. Der geltende Zinssatz von 6 % pro Jahr ist umstritten. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hält die Zinsregelung in der Abgabenordnung allerdings für verfassungsgemäß. Eine Entscheidung des BFH hierzu steht noch aus.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) hat mit einem aktuellen Beschluss in einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung dazu Stellung genommen, ob die in der AO vorgesehenen Aussetzungszinsen mit einem Zinssatz von 6 % p.a. verfassungsgemäß sind.
Ein Steuerberater hatte nach einer Betriebsprüfung gegen die Nachforderungsbescheide Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Diese wurde befristet und endete jeweils einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch bzw. der sonstigen Erledigung des Einspruchsverfahrens. Der Bescheid darüber enthielt den Hinweis, dass nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens gem. § 237 AO anfallende Zinsen durch gesonderten Bescheid angefordert würden, was das Finanzamt (FA) auch tat.
Hiergegen legte der Steuerberater Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung, was das FA ablehnte. Daraufhin beantragte der Steuerberater beim FG vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz, weil ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bestünden.
Keine ernstlichen Zweifel
Nach Ansicht des FG verstößt die gesetzliche Regelung bezüglich der Verzinsung nicht gegen die Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 , Art. 3 Abs. 1 oder Art. 19 Abs. 4 GG). Auch Entscheidungen anderer Gerichte, die eine Aussetzung der Vollziehung gebieten, würden nicht vorliegen.
Kein Verstoß gegen Grundrechte
Die durch die AO statuierte Verzinsungspflicht verfolgt laut FG verfassungsgemäße Zwecke. Sie ist geeignet, erforderlich und auch angemessen zur Erreichung dieser Zwecke. Deren Kern ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung der Vollziehung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem angefochtenen Steuerbescheid „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht.
Außerdem hat die Verzinsungspflicht bei Aussetzung der Vollziehung den Zweck, unnötige Steuerprozesse zu vermeiden. Der Gleichheitssatz gebietet es zudem, dass diejenigen, die ihre Steuern nicht sogleich bei Fälligkeit entrichten, nicht besser gestellt werden als diejenigen, die die Steuerschuld sofort begleichen.
Die Verzinsungspflicht mit dem Zinssatz von 0,5 % ist nach Auffassung des FG schon per se nicht verfassungswidrig, weil der Steuerpflichtige bei Aussetzungszinsen den als zu hoch empfundenen Zinsen im Regelfall ausweichen kann. Dabei ist nicht zu beanstanden, wenn sich der gesetzliche Zinssatz für den Aussetzungszins daran orientiert, welche Zinsen der Steuerpflichtige für ein Darlehen hätte aufbringen müssen, und nicht am Zins am Kapitalmarkt.
Im Zusammenhang mit der Angemessenheit des Zinses für Steuernachforderungen ist davon auszugehen, dass der Vergleichsmaßstab sowohl die bei Geldanlagen zu erzielenden Zinsen als auch die für Darlehen zu zahlenden Zinsen sein müssen. Dass bei der Ermittlung des angemessenen Zinssatzes zu berücksichtigen ist, welche Zinsen Steuerpflichtige zahlen müssen, wenn sie das Geld zur Bezahlung der streitigen Steuersumme als Darlehen aufnehmen müssen, gilt erst recht bei der Ermittlung des verfassungsrechtlich noch zulässigen Höchstzinssatzes bei Aussetzungszinsen. Denn strukturell tritt der Staat bei der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung dem Steuerpflichtigen wie ein Darlehensgeber gegenüber.
Der vom Gesetz hierfür statuierte Zinssatz von 6 % p.a. ist angesichts der üblichen Zinssätze nicht unverhältnismäßig. Für Konsumdarlehen wurden demgegenüber Zinssätze verlangt, die eine ähnliche Höhe haben. Auch Verzugs- oder Prozesszinsen sind höher bzw. ähnlich hoch wie der gesetzliche Zinssatz von 6 % p.a. für Aussetzungszinsen. Nochmals höher sind die üblichen Bankzinsen für Dispokredite. Hinzu kommt, dass der Steuerpflichtige die Aussetzungszinsen zumindest im Regelfall vermeiden kann, indem er die Steuerschuld bezahlt und sich zu einem günstigeren Zinssatz anderweitig refinanziert.
Keine anderweitigen Gerichtsentscheidungen
Das FG sieht keine Notwendigkeit, die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, (nur) weil beim Bundesfinanzhof (BFH) zwei Revisionsverfahren, die die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes betreffen, anhängig sind. Denn beide Revisionsverfahren betreffen die Verzinsung von Steuernachforderungen und nicht von Aussetzungszinsen.
Auch bei ernstlichen Zweifeln keine Aussetzung
Selbst wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von 0,5 % monatlich bestünden, würde dies eine Aussetzung der Vollziehung nicht rechtfertigen. Zwar können ernstliche Zweifel auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm sein.
Allerdings kommt dann eine Aussetzung nur in Betracht, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt. Dazu hat der BFH verschiedene Fallgruppen entwickelt, bei deren Vorliegen ein solches berechtigtes Interesse gegeben ist. Jedoch ist keine dieser Fallgruppen vorliegend einschlägig.
Praxishinweis
Das FG hat in dieser Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für Aussetzungszinsen bejaht, aber gleichzeitig die Revision zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der BFH sich hinsichtlich der Aussetzungszinsen seiner Ansicht bezüglich der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen anschließen wird. Daher sollte vorsorglich jeder Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen mit dem Einspruch angefochten und, wenn Revision eingelegt werden sollte, unter Hinweis darauf das Ruhen des Verfahrens beantragt werden.
FG Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.01.2018 - 2 V 3389/16
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht