Nachdem der BFH zuletzt schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab 01.04.2015 geäußert hatte, reagiert jetzt das BMF: Die Finanzverwaltung gewährt in entsprechenden Fällen auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Abzuwarten bleibt nun die abschließende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der Steuerzinsen.
Mit Schreiben vom 14.06.2018 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) in die Verwaltungspraxis einbezogen. Der BFH hatte mit Beschluss vom 25.04.2018 (IX B 21/18) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2015 geäußert. Das BMF gewährt deshalb auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung (AdV).
Fall vor dem BFH
Im Streitfall wurde ein Ehepaar zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Nach einer Außenprüfung wurde ein geänderter Einkommensteuerbescheid erlassen, in dem erstmals ein Veräußerungsgewinn angesetzt wurde. Darüber hinaus wurden in einem separaten Zinsbescheid Nachzahlungszinsen festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid beantragte das Ehepaar im Einspruchsverfahren zunächst das Ruhen des Verfahrens und bezog sich dabei auf die zurzeit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2237/14), dass der gesetzliche Zinssatz von 0,5 % für jeden Monat für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2011 verfassungswidrig sei.
Im Anschluss daran beantragte das Ehepaar die Aussetzung des Zinsbescheids. Dies lehnte das zuständige Finanzamt ebenso wie das daraufhin angerufene Finanzgericht ab. Der BFH gewährte jedoch die AdV und äußerte hinsichtlich der Höhe der Nachzahlungszinsen von 0,5 % für jeden vollen Monat jedenfalls ab dem Veranlagungszeitraum 2015 schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel.
Wann und wie hoch sind Steuern zu verzinsen?
Grundsätzlich sind Steuern nur zu verzinsen, soweit dies gesetzlich angeordnet ist. Die Zinsberechnung richtet sich nach § 238 AO und beträgt für jeden vollen Monat 0,5 %, also 6 % pro Jahr. Die Verzinsung kann durch unterschiedliche in der AO aufgeführte Ereignisse ausgelöst werden. So sind Steuernachforderungen und Steuererstattungen grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, zu verzinsen.
Ferner fallen Zinsen für die Dauer einer gewährten Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis an. Ebenso sind hinterzogene Steuern, Erstattungsbeträge aus Prozessen oder Beträge aufgrund einer AdV zu verzinsen.
Zweifel des BFH an der Verfassungsmäßigkeit
Der Gesetzgeber hat auch im Steuerrecht den allgemeinen Gleichheitssatz zu beachten, wobei er jedoch einen weitreichenden Entscheidungsspielraum hat. Dies gilt sowohl für die Auswahl des Steuergegenstands als auch für die Bestimmung des Steuersatzes. Dabei werden in ständiger Rechtsprechung Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse verfassungsrechtlich anerkannt.
Nach Auffassung des BFH überschreitet jedoch der gesetzlich festgelegte Zinssatz i.H.v. 0,5 % pro Monat jedenfalls für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 16.11.2017 aufgrund einer strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße.
Aussetzung der Vollziehung für Zeiträume ab 01.04.2015
Auf Antrag ist der BFH-Beschluss für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2015 in allen Fällen anzuwenden, in denen gegen eine vollziehbare Zinsfestsetzung Einspruch eingelegt wird. Unerheblich ist dabei, zu welcher Steuerart und für welchen Besteuerungszeitraum die Zinsen festgesetzt wurden. Die Vollziehung soll grundsätzlich ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn sie für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ausdrücklich soll diese Handhabung allerdings nicht so verstanden werden, dass die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder die Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO bezweifeln.
Praxishinweis
Durch den BFH-Beschluss und die Handlungsanweisung des BMF können betroffene Steuerpflichtige für alle Zeiträume ab 01.04.2015 die AdV für festgesetzte Zinsen erhalten. Dabei sollten sie jedoch beachten, dass im Fall eines negativen Verfahrensausgangs vor dem BVerfG nicht nur Zinsen in Höhe des ausgesetzten Betrags anfallen, sondern auch i.H.v. 6 % auf den ausgesetzten Betrag für die Laufzeit der AdV. Bei ausreichender Liquidität können Steuerpflichtige dieses Zinsrisiko vermeiden, indem sie auf eine AdV verzichten und stattdessen eine freiwillige Sonderzahlung leisten.
Update, 30.11.2018: Aus der Praxis ist bekannt geworden, dass Finanzämter antragsgemäß das Verfahren ruhen lassen und AdV gewähren, jedoch mit dem expliziten Hinweis, dass für die Dauer der Aussetzung bei endgültiger Erfolglosigkeit des Einspruchsverfahrens wiederum Zinsen nach § 237 AO festgesetzt würden. Die Bundessteuerberaterkammer hält diese Vorgehensweise für unzutreffend und unzulässig.
BMF, Schreiben v. 14.06.2018 - IV A 3 - S-0465/18/10005-01
Quelle: Steuerberater und Dipl.-Volkswirt Volker Küpper