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Verfahrensrecht -

Verfassungswidriger Abzinsungszinssatz?

Ist der Zinssatz von 5,5 % für die Abzinsung von Verbindlichkeiten verfassungswidrig? Das Finanzgericht Hamburg hat jedenfalls ernstliche Zweifel an einer Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Steuergesetzlich festgelegte Zinshöhen sind derzeit in unterschiedlichen Fällen Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Hintergrund ist das Missverhältnis zu der bereits länger anhaltenden Niedrigzinsphase.

Mit Urteil vom 31.01.2019 hat das Finanzgericht Hamburg (FG) entschieden, dass im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Zinssatzes von 5,5 % für die Abzinsung von Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG bestehen, da in einer anhaltenden Niedrigzinsphase der typisierende Zinssatz den Bezug zum langfristigen Marktzinsniveau verloren habe.

Im aktuellen Fall wurden nach Abschluss einer Außenprüfung bei einer GmbH die Körperschaft- und Gewerbesteuermessbescheide geändert und die Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als zwölf Monaten abgezinst.

Dabei wurde der am Jahresende verbleibende Saldo auf dem Verrechnungskonto um die im jeweiligen Jahr hinzugekommenen Verbindlichkeiten bereinigt und mit einem Faktor von 0,503 abgezinst, und Mehr- bzw. Mindergewinne wurden festgestellt.

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens beantragte die Steuerpflichtige Aussetzung der Vollziehung (AdV) und wandte sich u.a. gegen die Zinshöhe, mit der die Verbindlichkeiten abgezinst wurden. Beides blieb ohne Erfolg, so dass die Steuerpflichtige beide Begehren vor Gericht geltend machte.

Abzinsung von Verbindlichkeiten

Grundsätzlich sind Verbindlichkeiten mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Ausgenommen davon sind solche Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorauszahlung beruhen.

Die Abzinsung beruht auf der Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belastet als eine sofortige Leistungspflicht. Das FG äußerte hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des typisierenden Abzinsungssatzes von 5,5 % ernsthafte Zweifel. Diese resultieren aus der seit längerem anhaltenden Niedrigzinsphase.

Derzeit sind beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hierzu verschiedene Verfahren zur Zinshöhe anhängig:

  • 2 BvR 2706/17 – Abzinsung von Angehörigendarlehen,
  • 2 BvL 22/17 – Rechnungszinsfuß von 6 % gem. § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG 2015,
  • 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 – Zinssatz gem. § 238 Abs. 1 AO für Verzinsungszeiträume ab 2009 bzw. ab 2012.

Darüber hinaus hat der Bundesfinanzhof (BFH) auch in mehreren Beschlüssen bezogen auf die Zinshöhe wegen schwerwiegender verfassungsrechtlicher Zweifel AdV gewährt. Er sah aufgrund der eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße verletzt.

Auch die Verwaltung setzt seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2012 aus.

Das FG geht im Fall der Abzinsung von Verbindlichkeiten gleichermaßen von der Verfassungswidrigkeit und davon aus, dass sich das BVerfG alsbald mit der Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe befassen wird. Dabei sind die Rechtsfolgen jedoch noch nicht absehbar, da die Normen sowohl für nichtig oder lediglich für mit dem GG unvereinbar erklärt werden könnten.

Praxishinweis

Das FG hat mit der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes einen weiteren Mosaikstein zur verfassungsrechtlichen Überprüfung des Zinsniveaus gelegt und nun auch die Abzinsung von Verbindlichkeiten hinzugefügt. Die Beschwerde zum BFH wurde zugelassen. Steuerpflichtige sollten beachten, dass bei einer Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Klage Aussetzungszinsen zu leisten sind.

FG Hamburg, Beschl. v. 31.01.2019 - 2 V 112/18

Quelle: Steuerberater und Dipl.-Volkswirt Volker Küpper