BVerfG erklärt Bemessungsgrundlage der Grundsteuer für verfassungswidrig

Lange schon wurde bezweifelt, ob die derzeitigen Regelungen zur Einheitsbewertung als Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer noch zeit- und verfassungsgemäß sind. Im Rahmen der Einheitswertermittlung wird auf Grundstückswerte zurückgegriffen, die bereits Jahrzehnte zurückliegen. Nun hat das BVerfG mit aktuellem Urteil vom 10.04.2018 ( 1 BvL 11/14) entschieden, dass die Einheitsbewertung von Grundvermögen in den alten Bundesländern (ab 2002) als verfassungswidrig anzusehen ist. Mit dem Urteil gehen Aufträge des Gerichts an den Gesetzgeber einher, innerhalb bestimmter Fristen eine verfassungskonforme Regelung zu schaffen.

Die Hintergründe zur Entscheidung vom 17.4.2018

  1. Die Einheitswerte zur Bewertung des Grundvermögens nach § 19 BewG dienen der Ermittlung des gemeinen Werts nach § 9 BewG. Als ein Massenbewertungsverfahren, das ca. 20 Mio. zu bewertende wirtschaftliche Einheiten umfasst, geht es hierbei nicht um den für das einzelne Grundstück genau zutreffenden Wert, sondern um einen Durchschnittswert, der annährungsweise den Verkehrswert treffen soll.
  2. In den alten Bundesländern wurden die Einheitswerte erstmals auf die Wertverhältnisse zum 01.01.1964 festgestellt. Ursprünglich war alle sechs Jahre eine Anpassung geplant, die jedoch nie durchgeführt wurde. Im Ergebnis führt dies (neben anderen Faktoren) dazu, dass die heutigen Einheitswerte in sich unstimmig und weithin zu niedrig sind.
  3. Wirtschaftliche Einheit für die Wertermittlung im Rahmen der Einheitsbewertung ist nach § 70 Abs. 1 BewG das Grundstück. Dabei wird z.B. nach verschiedenen Grundstücksarten wie unbebaute Grundstücke, baureife Grundstücke und bebaute Grundstücke unterschieden.

Ausgangssituation des Verfahrens rund um die verfassungswidrige Grundsteuer

Gegenstand des Urteils des BVerfG waren sowohl Vorlagen des BFH zur Normenkontrolle (BFH, Beschl. v. 22.10.2014 - II R 16/13, BStBl II 2014, 957; v. 22.10.2014 - II R 37/14, NV; v. 17.12.2014 - II R 14/13, NV) sowie Verfassungsbeschwerden einzelner Beschwerdeführer (1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12). Die Klägerinnen und Kläger der Ausgangsverfahren sind Eigentümer bebauter Grundstücke in verschiedenen alten Bundesländern, die jeweils vor den FG gegen die Festsetzung des Einheitswerts ihrer Grundstücke vorgegangen sind. Die Einwendungen wurden hauptsächlich auf die Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes gestützt.

Das Urteil des BVerfG (1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11)

1. Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz

Steuerpflichtige müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Dies gilt auch für die Bewertungsebene im Rahmen der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen. Der Gesetzgeber hat jedoch einen weitreichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Will der Gesetzgeber dennoch grundsätzlich gleiche oder ähnliche Sachverhalte ungleich behandeln, braucht er einen besonderen sachlichen Grund, um die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.

Nach Ansicht des BVerfG führt das Festhalten des Gesetzgebers am Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gibt. Die im Gesetz vorgesehene periodische Wiederholung der Hauptfeststellung ist zentral für das vom Gesetzgeber selbst gestaltete Bewertungssystem. Ohne regelmäßige Anpassungen führt dieses System unweigerlich zu Verwerfungen und Ungleichbehandlungen, da verkehrswertrelevante Veränderungen bei einzelnen Grundstücken (z.B. Entwicklung zur wirtschaftlichen Boomregion etc.) nicht berücksichtigt werden. Kern des verfassungsrechtlichen Problems ist, dass es so zu relativ ähnlichen Einheitswerten für Grundstücke kommt, die jedoch in Bezug auf ihren Verkehrswert stark auseinanderliegen. Eine Auseinanderentwicklung zwischen Verkehrswert und festgestelltem Einheitswert ist für sich genommen jedoch verfassungsrechtlich nicht bedenklich, zumindest dann, wenn alle Einheitswerte gleichmäßig hinter den Verkehrswerten zurückbleiben.

2. Hoher Verwaltungsaufwand spielt keine Rolle

Die wertverzerrenden Auswirkungen des überlangen Hauptfeststellungszeitraums ziehen sich komplett durch die einzelnen Bewertungselemente sowohl des Ertragswert- als auch des Sachwertverfahrens.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG bedarf einer Rechtfertigung. Das BVerfG hat jedoch weder die Vermeidung von allzu hohem Verwaltungsaufwand noch Typisierung und Pauschalierung als ausreichende Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen angesehen. Auch wenn der Verwaltungsaufwand, der mit einer Neuwertung aller Grundstücke einhergeht, immens hoch ist, rechtfertigt dies nicht die Beibehaltung eines dysfunktionalen Bewertungssystems. Der Verzicht auf die Folgebewertung ist auch keine Vereinfachung, sondern es fehlt ein zentrales Element für eine realitätsnahe Bewertung.

Verzicht auf Folgebewertung ist keine zulässige Typisierung

Gründe der Typisierung und Pauschalierung rechtfertigen ebenfalls nicht die Aussetzung der Hauptfeststellung und ihre Folgen. Typisierungen, die einzelne Fälle außer Acht lassen und dort ggf. zu einer Ungleichbehandlung gegenüber dem Regelfall führen, kann der Gesetzgeber anwenden, wenn diese sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren und ein vernünftiger, einleuchtender Grund vorhanden ist. Diese Vorgaben erfüllen jedoch die Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung nicht. Die Wertverzerrungen sind keine atypischen Sonderfälle oder vernachlässigbare Korrekturen in Randbereichen, sie betreffen die Wertfeststellung im Kern und nehmen mit fortschreitender Dauer auch zu.

Weder eine gemessen am Verkehrswert generelle Unterbewertung des Grundvermögens noch die vermeintlich absolut geringe Belastungswirkung der Grundsteuer vermögen die Wertverzerrungen zu rechtfertigen. Schon der Sache nach sieht das BVerfG die Grundsteuer nicht als eine vernachlässigbare Größe an. Dagegen spricht schon die stetige Erhöhung des Grundsteueraufkommens in den letzten Jahren, das mittlerweile eine Größenordnung von 14 Mrd. € erreicht.

3. Vorgaben des BVerfG an den Gesetzgeber

Die in der Vergangenheit festgestellten Einheitswerte und die daraus resultierende Grundsteuer gelten zunächst bis zum 31.12.2019. Bis zum 31.12.2019 hat der Gesetzgeber eine Neuregelung zu treffen. Über den 31.12.2019 hinaus sind die derzeitigen Regelungen nur noch für weitere fünf Jahre nach der Verkündung einer Neuregelung anzuwenden, längstens jedoch bis zum 31.12.2024. Diese verhältnismäßig lange Frist hält das BVerfG durch die besonderen Sachgesetzlichkeiten der Grundsteuer für geboten und von daher ausnahmsweise gerechtfertigt. Zur bundesweiten Neubewertung aller Grundstücke bedürfe es eines außergewöhnlichen Umsetzungsaufwands im Hinblick auf Zeit und Personal.

Das Verfahren hatte lediglich Grundstücke in den alten Bundesländern zum Gegenstand. Grundstücke in der ehemaligen DDR unterliegen besonderen Regelungen. Das BVerfG schließt jedoch nicht aus, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen auch auf diese Grundstücke anwendbar sind.

Praxistipp: Die Bundessteuerberaterkammer hat in einer Mitteilung bereits darauf hingewiesen, dass das Urteil des BVerfG - trotz Vorläufigkeitsvermerks - keine Auswirkungen auf bereits ergangene Grundlagenbescheide zur Grundsteuer hat. Für die betroffenen Steuerpflichtigen besteht demnach kein Handlungsbedarf, denn an dem bislang festgesetzten Steuerbetrag ändert sich nichts.

Fazit: Frist bei der Neuregelung der Grundsteuer ist knapp bemessen

Gemessen an dem Aufwand, den eine Neuregelung der Grundsteuer bedeutet, ist die gesetzte Frist des BVerfG dennoch eher knapp bemessen. Das vom Bundesrat ins Spiel gebrachte Kostenwertmodell dürfte innerhalb dieser kurzen Zeit kaum realisierbar sein. Zudem stellt sich die Frage, ob eine verfassungskonforme Anpassung der Bemessungsgrundlage zu Mehrbelastungen, insbesondere bei seit 1964 überproportional im Wert gestiegenen Grundstücken, führt. Selbst wenn sich erreichen ließe, dass sich das Aufkommen der Grundsteuer insgesamt nicht erhöht, bedeutet dies nicht die Belastungsgleichheit im konkreten Einzelfall.

BVerfG vom 10.04.2018- 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11

Thorsten Wagemann, Steuerberater, Dipl.-Wirtschaftsjurist

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