Neue Grundsteuer im Fokus: Finanzverwaltung lässt Korrekturen zu

Die Grundsteuerreform in Deutschland bewegt seit ihrer Einführung im Jahr 2022 die Gemüter. Die jüngsten Beschlüsse des BFH vom 27. Mai 2024 (II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)) eröffnen bereits neue Chancen für Steuerpflichtige, die sich gegen möglicherweise überhöhte Grundsteuerwerte wehren möchten.

Die Finanzverwaltung hat am 24. Juni 2024 mit einem Ländererlass (BStBl. I S. 1073) weitere Klarstellungen zum Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts für Grundstücke getroffen. Diese Regelungen bieten Immobilienbesitzern neue Möglichkeiten, ihre Steuerlast zu senken, indem sie den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts erbringen können. Der Erlass adressiert zentrale Fragen, die im Zusammenhang mit der Berechnung des Grundsteuerwerts auftreten, insbesondere dann, wenn der festgestellte Wert den Verkehrswert erheblich übersteigt.

In unserem aktuellen Beitrag erfahren Sie, welche konkreten Vorgaben der Erlass mit sich bringt und welche Handlungsempfehlungen sich für betroffene Immobilienbesitzer ableiten lassen.

Rechtliche Hintergründe und BFH-Beschlüsse vom 27. Mai 2024

Die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 27. Mai 2024 (II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)) stehen im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion um die neue Grundsteuerbewertung. Bereits mit der Einführung des Bundesmodells im Zuge der Grundsteuerreform wurde deutlich, dass die neuen Bewertungsverfahren – insbesondere die Ermittlung des Grundsteuerwerts – in vielen Fällen zu erheblichen Abweichungen vom tatsächlichen Verkehrswert führen können.

Der BFH stellte in den AdV-Verfahren fest, dass die festgestellten Grundsteuerwerte in Einzelfällen zu einer Verletzung des Übermaßverbots führen können.

In den beiden Fällen ging es um die Frage, ob der festgestellte Grundsteuerwert im Vergleich zum tatsächlichen Verkehrswert des Grundstücks so stark abweicht, dass eine Anpassung notwendig ist. Der BFH entschied, dass der Grundsteuerwert um mindestens 40 % über dem gemeinen Wert liegen müsse, damit eine Korrektur gerechtfertigt sei. Auch wenn es dem Gesetzgeber erlaubt gewesen sei, Sachverhalte zu typisieren und pauschale Berechnungen zur Berechnung der Grundsteuerwerte in einem Massenverfahren vorzunehmen, müsse das Übermaßverbot beachtet werden. Die Entscheidungen öffnen damit die Tür für Steuerpflichtige, die ihren Grundsteuerwertbescheid anfechten möchten, sofern sie einen signifikant niedrigeren gemeinen Wert nachweisen können.

Die BFH-Beschlüsse unterstreichen die Bedeutung des Übermaßverbots bei der Steuererhebung und bieten Immobilienbesitzern eine Grundlage, um gegen überhöhte Grundsteuerwertbescheide vorzugehen. Dies ist besonders relevant in Fällen, in denen die Pauschalierung der Bewertungsvorschriften zu unzutreffenden Ergebnissen führt.

Inhalt des neuen Ländererlasses

Die neuen Ländererlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 24. Juni 2024 (BStBl. I S. 1073) setzen an den vorangegangenen BFH-Beschlüssen und damit an einem zentralen Punkt der Grundsteuerreform an: der Bewertung von Grundstücken für steuerliche Zwecke.

Das Ziel der Ländererlasse besteht darin, einen Ausgleich für jene Fälle zu schaffen, in denen die Steuerpflichtigen nachweisen können, dass der ermittelte Grundsteuerwert um mehr als 40 % über dem gemeinen Wert ihres Grundstücks liegt. Diese Regelung gibt Betroffenen eine Möglichkeit, eine Korrektur des Grundsteuerwerts zu erwirken und ihre Steuerlast zu verringern.

Regelungen zum Ansatz eines niedrigeren Werts

Nach den Vorgaben des neuen Ländererlasses ist es Steuerpflichtigen in allen offenen Fällen möglich, einen niedrigeren gemeinen Wert ihres Grundstücks nachzuweisen, wenn der festgestellte Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 % übersteigt. Diese Regelung basiert demnach auf den jüngsten Beschlüssen des Bundesfinanzhofs vom 27. Mai 2024.

Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gelten in entsprechender Anwendung des § 198 Abs. 1 S. 2 BewG grundsätzlich die auf Grund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften. Der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts erfolgt in der Regel durch ein Gutachten eines Gutachterausschusses oder eines zertifizierten Sachverständigen für die Wertermittlung von Grundstücken (§ 198 Abs. 2 BewG). Alternativ kann auch ein tatsächlich erzielter Kaufpreis, der innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt (01.01.2022) erzielt wurde, als Nachweis dienen, sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse des Grundstücks unverändert geblieben sind (§ 198 Abs. 3 BewG).

Für Fälle mit Erbbaurechtsbelastungen oder Gebäuden auf fremdem Grund und Boden gelten gesonderte Regelungen, bei denen der Gesamtwert von Grund und Gebäude ermittelt werden muss.

Vorgehensweise bei bestandskräftigen Feststellungen

In den Fällen, in denen der Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinden Wert um mindestens 40 % übersteigt, der Grundsteuerwert bereits bestandskräftig festgestellt wurde und die Feststellung nicht mehr nach den Korrekturvorschriften der Abgabenordnung änderbar ist, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung (§ 222 Abs. 3 BewG) vorliegen. Die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung dient dazu, signifikante Fehler bei der ursprünglichen Feststellung des Grundsteuerwerts zu korrigieren. Hierbei ist die Wertfortschreibungsgrenze i. H. v. 15.000 EUR bezogen auf den Grundsteuerwert des letzten Feststellungszeitpunkts zu beachten (§ 222 Abs. 1 BewG).

Regelungen zur Aussetzung der Vollziehung

Eine weitere wichtige Regelung im neuen Ländererlass betrifft die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) von Bescheiden über die Feststellung des Grundsteuerwerts. Steuerpflichtige können die Aussetzung der Vollziehung beantragen, wenn sie schlüssig darlegen können, dass der festgestellte Grundsteuerwert den gemeinen Wert um mindestens 40 % übersteigt. Die Finanzämter wurden angewiesen, diesen Anträgen ab sofort zu entsprechen.

Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung genügt zunächst eine substantiierte Darlegung des Steuerpflichtigen, dass der Grundsteuerwert überhöht ist. Ein vollständiges Gutachten muss zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegt werden. Die Finanzverwaltung kann 50 % des festgestellten Werts von der Vollziehung aussetzen und den Steuerpflichtigen auffordern, innerhalb einer angemessenen Frist den Nachweis durch ein Gutachten zu erbringen.

Die Vollziehung des Grundsteuermessbetrags ist anschließend von Amts Wegen vorzunehmen (§ 361 Abs. 3 S. 1 AO). Die betroffenen Kommunen sind hierüber durch die Finanzämter zu unterrichten.

Diese Regelung bietet Steuerpflichtigen einen wichtigen Schutzmechanismus. Insbesondere in Fällen, in denen der Grundsteuerwert deutlich über dem Verkehrswert liegt, kann durch die Aussetzung der Vollziehung eine zu hohe Steuerlast vorübergehend vermieden werden, bis der endgültige Wert geklärt ist.

Hinweis: Die koordinierten Ländererlasse hinsichtlich des Ansatzes eines niedrigeren gemeinen Werts und der Aussetzung der Vollziehung von Grundsteuerwerten gelten nur für die Bundesländer, die den Grundsteuerwert nach dem sog. Bundesmodell berechnen. Hierzu gehören nicht Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hamburg und Hessen.

 

Ausblick

In seinen Beschlüssen vom 27.05.2024 entschied der BFH, dass die streitgegenständlichen Feststellungen einfach-rechtlich rechtswidrig seien. Er führte aus, dass die Bewertungsvorschriften so verfassungskonform ausgelegt werden müssen, dass der Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes zugelassen werden müsse. Der BFH ließ demnach offen, ob die zugrunde liegenden Bewertungsvorschriften insgesamt verfassungswidrig sind. Diese Frage muss folglich in den Hauptsachverfahren geklärt werden. Je nach Ausgang der Hauptsacheverfahren könnte dies zu erheblichen Änderungen führen, insbesondere falls das BVerfG involviert wird und die neue Grundsteuerregelung für verfassungswidrig erklärt.

Es ist zu vermuten, dass in einem solchen Fall der Gesetzgeber dazu aufgefordert wird, innerhalb einer gewissen Frist erneut eine Neuregelung für die Zukunft aufzustellen.

Fazit

Angesichts der neuen Regelungen im Ländererlass und der Rechtsprechung des BFH sollten Immobilienbesitzer ihre Grundsteuerbescheide sorgfältig prüfen lassen. Besonders in Fällen, in denen der festgestellte Grundsteuerwert stark vom tatsächlichen Verkehrswert abweicht, kann es sich lohnen, ein Gutachten erstellen zu lassen und gegen den Bescheid Einspruch einzulegen.

Der Ländererlass vom 24. Juni 2024 bringt für Steuerpflichtige wesentliche Erleichterungen bei der Feststellung des Grundsteuerwerts. Durch den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts haben Immobilienbesitzer die Möglichkeit, ihre Steuerlast zu senken, wenn der festgestellte Wert um mehr als 40 % vom tatsächlichen Verkehrswert abweicht. Gleichzeitig schaffen die BFH-Beschlüsse vom 27. Mai 2024 einen rechtlichen Rahmen, der den Schutz vor einer unverhältnismäßig hohen Steuerbelastung stärkt. Immobilienbesitzer sollten diese neuen Möglichkeiten prüfen und gegebenenfalls rechtliche Schritte in Betracht ziehen, um ihre Interessen zu wahren.

Luca Wagener, Dipl. Finanzwirt (FH)

Spezialreport Grundsteuerreform 2022

Der konkrete Handlungsplan für Ihre Kanzlei: Von der stressfreien Mandatsvorbereitung über die Berechnung bis hin zur Software-Auswahl und den besonderen Länderregeln.

» Hier kostenlos downloaden!

Muster-Honorarvereinbarung Grundsteuer

Mit unserem Muster haben Sie ein rechtssicheres Schriftstück sofort zur Hand, das Sie gamz leicht an Ihre Gegegenheiten anpassen können.

» Hier kostenlos downloaden!

Checkliste Grundsteuerreform

In der Checkliste erhalten Sie einen schnellen tabellarischen Überblick darüber, in welchem Bundesland welche Informationen in der Feststellungserklärung angegeben werden müssen.

» Hier kostenlos downloaden!

Webinar mit vielen konkreten Tipps, die Sie sofort in Ihrer Kanzlei umsetzen können

Nutzen Sie unser kostenloses On-Demand-Webinar, um sich in aller Tiefe für die bevorstehenden Herausforderungen der Grundsteuerreform zu wappnen

» Hier anfordern!

Empfehlungen der Redaktion

In nur 20 Minuten sind Sie über die wichtigsten Steuer- und Wirtschaftsthemen der Woche informiert. Inklusive wöchentlichem E-Mail-Service, einzigartigem BFH-Alarm und einer umfangreichen Online-Datenbank.

39,33 € mtl. zzgl. USt
 

Jetzt verfügbar: E-Rechnungen, Kasse 2024 und mehr!

Kommen Ihre Mandanten auch oft schlecht vorbereitet und mit wenig aussagekräftigen Unterlagen zu Ihnen? Informieren Sie Ihre Mandanten über das Wichtigste vorab ganz einfach und schnell mit unseren Merkblättern.

19,90 € mtl. zzgl. USt