Sind die Kinderfreibeträge verfassungswidrig? Das Finanzgericht Niedersachsen moniert die Höhe des Kinderfreibetrags insbesondere für das Jahr 2014 und bemängelt zudem die grundsätzlichen Regelungen zur Berechnungsmethode. Nun muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Eltern können auf Steuererstattungen hoffen. Auch für Bezieher von Kindergeld könnte die Entscheidung Auswirkungen haben.
Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) hält den für jedes zu berücksichtigende Kind zu gewährenden Kinderfreibetrag i.H.v. 2.184 € sowie den Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes i.H.v. 1.320 € für das Jahr 2014 für zu niedrig und verfassungswidrig. Daher hat das FG diesen Sachverhalt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt, damit dieses prüft, ob die gesetzliche Regelung zur Höhe der Kinderfreibeträge (generell) verfassungswidrig ist.
Im konkreten Streitfall wandte sich eine verwitwete Mutter von zwei Töchtern für ihre Kinder gegen die Höhe des in ihrem Einkommensteuerbescheid festgesetzten Kinderfreibetrags sowie des Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf. Dabei wies sie u.a. auf den neunten Existenzminimumbericht des Bundeskabinetts vom 07.11.2012 hin und beanstandete die Verfassungswidrigkeit der Kinderfreibeträge im Jahr 2014. Nach teilweise erfolglosem Einspruchsverfahren stimmte das FG der Auffassung der Witwe zu und setzte das Verfahren aus, um beim BVerfG eine Vorlageentscheidung einzuholen.
Steuerfreiheit des Existenzminimums verfassungsrechtlich geschützt
Nach Rechtsprechung des BVerfG darf bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens ein Betrag in Höhe des Existenzminimums nicht besteuert werden. Dieser Teil des Einkommens, den man bei Bedürftigkeit als Sozialleistung erhalten würde, darf nicht der Besteuerung unterworfen werden. Die Höhe des Existenzminimums wird alle zwei Jahre von der Bundesregierung im Existenzminimumbericht ermittelt und bezieht nicht nur das Existenzminimum des Steuerpflichtigen ein, sondern auch das der zu berücksichtigenden Kinder.
Ausgangslage im Veranlagungszeitraum 2014
Für einen Erwachsenen wurde im Veranlagungszeitraum 2014 nach § 32a EStG ein Grundfreibetrag von 8.354 € von der Besteuerung freigestellt. Für Kinder konnten bei der Festsetzung der Einkommensteuer im Jahr 2014 Kinderfreibeträge von 4.368 € für das sächliche Existenzminimum und 2.640 € für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf abgezogen werden. Dieser Abzug wurde dann vorgenommen, wenn er für den betreffenden Steuerpflichtigen günstiger war als das erhaltene Kindergeld. Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlags werden die Kinderfreibeträge jedoch grundsätzlich abgezogen, auch wenn das Kindergeld günstiger ist.
Im neunten Existenzminimumbericht, auf den sich die klagende Mutter berief, wurde ausgeführt, dass der für eine verfassungsgerechte Besteuerung im Jahr 2014 erforderliche Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum 4.440 € beträgt. Der o.g. gesetzliche Freibetrag in diesem Veranlagungszeitraum war jedoch um 72 € niedriger. Somit ging bereits der Existenzminimumbericht der Bundesregierung von einem zu niedrigen Freibetrag aus und hielt den Kinderfreibetrag für verfassungswidrig. Die Kinderfreibeträge wurden erst ab dem Veranlagungszeitraum 2015 um den Differenzbetrag von 72 € angehoben.
Fehlerhafte Berechnungsmethodik
Das steuerliche Existenzminimum wird bislang auf Grundlage der Regelsätze berechnet, die Eltern im Sozialhilfefall für ihre Kinder erhalten. Das Sozialhilferecht knüpft diese Sätze jedoch – anders als das Steuerrecht – derart an das Alter des Kindes, dass ein älteres Kind mehr als ein jüngeres Kind bekommt. Im Steuerrecht hingegen wird das Existenzminimum als Durchschnitt aus den Regelsätzen der Sozialhilfe ermittelt, der dann für alle Kinder bis 18 Jahre gilt.
Dies führt nach Ansicht der Richter des FG beispielsweise dazu, dass das steuerliche Existenzminium eines 17-Jährigen (258 € pro Monat im Jahr 2014) unter dem Sozialhilferegelsatz eines Sechsjährigen liegt (261 €).
Praxishinweis
Das FG hat dem BVerfG einen bedeutenden Fall für alle Eltern, die für ihre Kinder einen Anspruch auf Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag haben, zur Entscheidung vorlegt. Denn die Höhe der Kinderfreibeträge wirkt sich auch bei solchen Steuerpflichtigen aus, für die das Kindergeld günstiger ist, da die Kinderfreibeträge auch bei der Festsetzung der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags berücksichtigt werden.
Hält das BVerfG die Freibeträge tatsächlich für verfassungswidrig, könnten Steuerpflichtige in allen offenen Fällen eine Erstattung erhalten. Betroffene sollten insoweit das Ruhen des Verfahrens gem. § 363 Abs. 2 AO beantragen. Nach Ansicht des FG ist es jedoch wahrscheinlicher, dass der Bundesregierung eine Frist eingeräumt wird, innerhalb derer sie die möglicherweise verfassungswidrigen Punkte ausbessern muss.
FG Niedersachsen, Vorlagebeschl. v. 02.12.2016 - 7 K 83/16
Quelle: Dipl.-Volkswirt Volker Küpper