Inwieweit gelten die Grundsätze für elektronische Registrierkassen auch für programmierbare computergestützte Kassensysteme? Das Finanzgericht Münster hat die Rechtsprechung hierzu weiter konkretisiert und die Anforderungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung benannt. Das Gericht gab dabei Hinweise zu Mängeln und Manipulierbarkeit sowie zur Hinzuschätzung für mögliche Steuernachzahlungen.
Das Finanzgericht Münster (FG) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, ob die vom Bundesfinanzhof (BFH) entwickelten Grundsätze für elektronische Kassensysteme auch für PC-Kassensysteme gelten.
Ein Friseur, der seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelte, erfasste seine Bareinnahmen über eine PC-gestützte Kassensoftware, die auch über andere Funktionen wie eine Kundenkartei und Terminverwaltung verfügt. Mit diesem Programm wurden jeden Tag Kassenberichte erstellt, in denen die Bareinnahmen für den Verkauf sowie die Ausgaben erfasst wurden. Eine fortlaufende Nummerierung enthalten diese Kassenberichte nicht.
Trinkgelder wurden nicht in der Kasse erfasst, sondern für jeden Mitarbeiter in einem jeweils eigenen Sparschwein gesammelt, worüber keine Aufzeichnungen geführt wurden. Bei einer Betriebsprüfung wurde Einigkeit darüber erzielt, dass im Sparschwein des Inhabers jährlich Trinkgelder in bestimmter Höhe nicht bei der Gewinnermittlung erfasst wurden.
Bei dieser Betriebsprüfung wurde außerdem die Kassenführung wegen verschiedener Mängel als nicht ordnungsgemäß verworfen, u.a. weil die Kassenberichte nicht nummeriert seien, nicht ermittelbar sei, wann diese Berichte aus dem System erzeugt wurden, Gutscheine nicht vollständig aufbewahrt worden seien und Protokolle über die Einrichtung sowie die Programmierung des Kassensystems nicht vorlägen. Ferner sei die Kassensturzfähigkeit nicht gegeben, weil die Trinkgelder nicht in der Kasse erfasst wurden.
Darüber hinaus führte der Prüfer sogenannte Bargeldverkehrsrechnungen durch, bei denen er monatlich die Barentnahmen aus der Kasse und den betrieblichen Konten sowie die Abhebungen des privaten Kontos den Bareinlagen gegenüberstellte. Unter Berücksichtigung eines monatlichen Mittelbedarfs für die Familie des Friseurs ermittelte er so Unterdeckungen. Anfangs- und Endbestände enthalten die Rechnungen nicht.
Schließlich nahm der Prüfer für ein Streitjahr eine Erlösverprobung vor. Dabei kalkulierte er die Chemieumsätze (Dauerwelle, Färbung, Tönung und Blondierung) anhand der eingekauften Waren. Für die Ermittlung der verbrauchten Warenmengen wertete er 139 Anwendungen aus. Für die Ermittlung des Anteils der Chemieumsätze an den Gesamtumsätzen (60,9 %) wertete er 250 von insgesamt 17.252 Datensätzen aus. Warenbestandsverschiebungen berücksichtigte er mangels Bilanz nicht. Danach ergaben sich im Bereich der Chemieumsätze Kalkulationsdifferenzen beim Bruttoumsatz. Die Kalkulation der Gesamtumsätze fiel entsprechend höher aus. Als Folge davon nahm der Prüfer teilweise erhebliche Hinzuschätzungen vor.
Beim Einspruchs- und Klageverfahren war streitig, ob Mängel in der Buchführung vorliegen, da nach Auffassung des Friseurs die genutzte Kassensoftware den GoBD entspricht, die Kassensturzfähigkeit jederzeit gegeben und zudem die Nachkalkulation nicht vollständig ist.
Befugnis zur Hinzuschätzung
Dem Grund nach besteht nach Ansicht des FG eine Schätzungsbefugnis, weil die Kassenführung nicht ordnungsgemäß ist und daher die tatsächlichen Einnahmen des Friseurs nicht ermittelt werden können. Für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermitteln, ergibt sich nicht nur für die Umsatzsteuer, sondern auch für die Einkommensteuer eine Aufzeichnungspflicht aus § 22 UStG und der UStDV.
Zwar sind umsatzsteuerrechtliche Aufzeichnungen keine Aufzeichnungen „nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen“ i.S.d. § 140 AO. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt aber, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine solche Beschränkung aus der Natur der Sache ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG. Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind u.a. die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Die Aufzeichnungen müssen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.
Es ist zwar anders als bei einer Buchführung nicht erforderlich, vereinnahmte Barentgelte gesondert in einem Kassenbuch aufzuzeichnen. Allerdings müssen auch bei einer Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG die der Gewinnermittlung zugrundeliegenden Belege, insbesondere die Tagesendsummenbons einer Registrierkasse, geordnet und vollständig aufbewahrt werden. Wer überwiegend Bargeschäfte tätigt, muss neben der geordneten Belegsammlung Bareinnahmen täglich aufzeichnen.
Bei der Nutzung programmierbarer elektronischer Kassensysteme stellt das Fehlen der Programmierprotokolle einen gewichtigen formellen Kassenführungsmangel dar, der jedenfalls bei bargeldintensiven Betrieben zu Hinzuschätzungen berechtigt. Zu den Prorgammierprotokollen gehören neben den Anweisungen zur Kassenprogrammierung insbesondere diejenigen Unterlagen, die nachträgliche Änderungen dokumentieren. Das Fehlen dieser Organisationsunterlagen bei einem elektronischen Kassensystem steht dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei Registrierkassen bzw. dem Fehlen von Auszählungsprotokollen bei einer offenen Ladenkasse gleich.
Es ist von erheblicher Bedeutung, dass sich ein Betriebsprüfer und gegebenenfalls das Gericht davon überzeugen können, wie die Kasse bei Inbetriebnahme programmiert war und in welchem Umfang zu späteren Zeitpunkten Programmeingriffe vorgenommen wurden. Das Gewicht dieses Mangels tritt dann zurück, wenn der Steuerpflichtige im konkreten Einzelfall darlegt, dass die von ihm genutzte elektronische Kasse trotz Programmierbarkeit keine Manipulationsmöglichkeiten enthält. Dieser Ausnahmefall, den der Steuerpflichtige darlegen muss, ist nach Ansicht des FG nur dann gegeben, wenn das System „keine Manipulationsmöglichkeiten eröffnet“. Es kommt also nicht darauf an, mit welchem Aufwand oder durch wen Manipulationen vorgenommen werden können, sondern lediglich auf eine grundsätzliche Manipulierbarkeit.
Diese Grundsätze wendet das FG ebenso wie der BFH auch für die bereits vor Ergehen der neusten Entscheidungen des BFH abgeschlossenen Jahre an. Der BFH hat mit diesen Entscheidungen nicht eine bisherige für den Steuerpflichtigen günstigere Rechtsprechung verschärft, sondern seine Rechtsprechung lediglich präzisiert. Ein Anspruch auf Vertrauensschutz besteht daher nicht.
Anwendung dieser Grundsätze auf PC-Kassensysteme
Diese Grundsätze sind auf PC-Kassensysteme ebenso anzuwenden wie auf elektronische Registrierkassen, weil Erstere mindestens ebenso manipulationsanfällig sind wie Letztere. Denn wären bei PC-Kassensystemen im Gegensatz zu elektronischen Registrierkassen keine Programmierprotokolle bzw. Organisationsunterlagen aufzubewahren, würde dies bedeuten, dass allein die Vorlage der Bedienungsanleitung zum Nachweis der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung genügte.
Dies steht für das FG im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung, deren Sinn es gerade ist, die Ergebnisse eines elektronisch geführten Kassensystems nur dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn festgestellt werden kann, wie, wann und durch wen die Daten eingegeben wurden und wie das Programm diese weiterverarbeitet hat. Dies ist weder bei elektronischen Registrierkassen noch bei PC-Kassensystemen möglich, wenn Programmierprotokolle fehlen.
Anwendung auf den klagenden Friseur
Die Kassenführung des Friseurs erfüllte unabhängig von der Gewinnermittlungsart nicht die Anforderungen an Programmierprotokolle. Der Friseur hat nicht alle erforderlichen Unterlagen aufbewahrt. Ob die mit Hilfe des PC-Kassensystems erstellten Kassenberichte die Einnahmen vollständig darstellen, kann nicht geprüft werden, weil die Programmierprotokolle nicht vorgelegt wurden. Das benutzte Kassensystem stellt keine (einfache) elektronische Registrierkasse dar, sondern ein programmierbares computergestütztes Kassensystem, das neben der Kassenführung auch weitere Funktionen beinhaltet. Die grundsätzliche Möglichkeit der Programmierung und auch der Stornierung erfasster Daten ergibt sich bereits daraus, dass es sich um ein PC-Kassensystem handelt.
Zusätzlich zu diesem Mangel sind die ausgegebenen und wieder eingelösten Gutscheine nicht aufbewahrt worden, obwohl diese als Einnahmeursprungsaufzeichnungen ebenfalls aufbewahrungspflichtig sind. Dies stellt einen weiteren Mangel der Kassenführung dar.
Schätzungen des FG
Allerdings begrenzt das FG die Hinzuschätzungen auf die unstreitig bisher nicht erfassten Einnahmen aus den dem Friseur persönlich zugewandten Trinkgeldern zzgl. eines nach Ansicht des FG angemessenen und realistischen Sicherheitszuschlags i.H.v. 7,5 % auf die erklärten Erlöse. Die vom FA durchgeführte Bargeldverkehrsrechnung kann einer Schätzung nicht zugrunde gelegt werden. Denn diese ist bereits deshalb nicht dafür geeignet, weil sie weder Anfangs- noch Endbestände enthält. Hierbei handelt es sich allerdings um existentielle Bestandteile einer jeden Geldverkehrsrechnung. Soweit Lebenshaltungskosten angesetzt werden, muss in einer Geldverkehrsrechnung angegeben werden, auf welcher Tatsachengrundlage diese Werte ermittelt worden sind. Auch hieran fehlt es bei der vom FA durchgeführten Berechnung.
Mangels anderer in Betracht kommender Schätzungsgrundlagen nimmt das FG eine griffweise Schätzung in Form von Sicherheitszuschlägen vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein gravierender formeller Kassenführungsmangel vorliegt, weil ein manipulierbares Kassensystem verwendet wurde. Hinzu kommt in Form der fehlenden Gutscheine ein weiterer formeller Mangel und in Höhe der nicht erfassten Trinkgelder auch ein materieller Kassenführungsmangel. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Zuschlag in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes auf die erklärten Nettoumsätze neben den anzusetzenden Trinkgeldern als sachgerecht, wobei das Verböserungsverbot zu beachten ist.
Praxishinweis
Das FG hat die Rechtsprechung des BFH zu programmierbaren Kassensystemen weiter konkretisiert und die für elektronische Kassensysteme geltenden Grundsätze auf PC-Kassensysteme angewendet. Dies ist konsequent, denn PC-Kassensysteme sind ebenso programmierbar wie elektronische Kassensysteme, beides sind letztlich moderne Computer. Interessant sind auch die Ausführungen des FG zu den verworfenen Schätzungsmethoden des Finanzamts. Erstaunlich ist allerdings, dass das beklagte FA die gerügten Mängel, die recht offensichtlich waren, nicht selber bemerkt und abgestellt hat. Im Ergebnis hat sich mit dieser Entscheidung zwar die Rechtsprechung zur Kassenführung konkretisiert, aber auch verschärft. Steuerpflichtige sollten künftig ihre Kassenführung nach diesen Grundsätzen ausrichten, um Hinzuschätzungen und damit verbundene Steuernachzahlungen zu vermeiden.
FG Münster, Urt. v. 29.03.2017 - 7 K 3675/13 E,G,U
Quelle: RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht