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Einkommensteuer -

Lohnsteuerhaftung: Ermessensfehler des Finanzamts

Wer haftet für die Lohnsteuer, wenn mehrere Haftungsschuldner in Betracht kommen? Gegen wen muss das Finanzamt den Haftungsbescheid erlassen? Nach dem BFH gilt für solche Fälle: Wenn das Finanzamt ohne nähere Begründung lediglich den Arbeitgeber für die Lohnsteuer in Haftung nimmt, obwohl auch eine Haftung des Geschäftsführers in Betracht kommt, übt es sein Auswahlermessen fehlerhaft aus.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte in seiner aktuellen Entscheidung vom 02.09.2021 (VI R 47/18) darüber zu befinden, ob die Haftung des Arbeitgebers für Lohnsteuer rechtmäßig ist, wenn auch noch andere Personen in Betracht kommen, die haften könnten.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die A-GmbH beschäftigte Angestellte mit überwiegend ausländischer Herkunft, die in Deutschland nicht ansässig waren. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung wurde festgestellt, dass die A-GmbH die Lohnsteuer für ihre Arbeitnehmer unter Anwendung von unrichtigen Lohnsteuerklassen berechnet, einbehalten und abgeführt hatte.

Daraufhin erließ das Finanzamt (FA) gegenüber der A-GmbH einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer.

Zudem wurde gegen den Geschäftsführer der GmbH ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung eingeleitet und beim zuständigen Amtsgericht Anklage erhoben. Einspruch und Klage beim Finanzgericht waren erfolglos. Der BFH folgte dem aber nicht.

Voraussetzung der Haftung

Der Haftungstatbestand ist hinsichtlich der betroffenen Arbeitnehmer dem Grunde nach unstreitig erfüllt. Auch ist der angefochtene Lohnsteuerhaftungsbescheid durch Verweis auf den Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung inhaltlich hinreichend bestimmt.

Die Finanzbehörden können die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen.

Diese Ermessensentscheidung ist gerichtlich jedoch nur daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

Daher muss die Behörde insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt.

Entscheidung im Besprechungsfall

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beurteilt der BFH die Entscheidung des FA als ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.

Denn die unrichtige Einbehaltung und Anmeldung der Lohnsteuer kann unter den gegebenen Umständen eine - wenn nicht vorsätzliche - zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten des Geschäftsführers der GmbH i.S.d. Haftungsrechts darstellen. Daher kommt neben der A-GmbH auch deren (damaliger) Geschäftsführer als Haftungsschuldner in Betracht.

Allerdings ist für den BFH nicht ersichtlich, dass das FA eine mögliche Haftung des Geschäftsführers der A-GmbH oder sonstiger Dritter im Rahmen seines Auswahlermessens überhaupt geprüft hat.

Ausweislich des angefochtenen Haftungsbescheids sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung hat das FA als Gesamtschuldner lediglich die A-GmbH als Arbeitgeberin und die betroffenen Arbeitnehmer in Betracht gezogen.

Darüber hinaus hätte das FA in seine Ermessenserwägungen auch die mögliche Inanspruchnahme des Geschäftsführers einbeziehen müssen, denn zwischen den einzelnen Haftungsvorschriften besteht keine Rangordnung.

Weil der vorgenommene Lohnsteuerabzug offensichtlich fehlerhaft war, hätte eine solche Prüfung nahegelegen - zumal gegen den Geschäftsführer der A-GmbH ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung durch Abgabe falscher Lohnsteueranmeldungen eingeleitet und, wenn auch erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung, Anklage erhoben wurde.

Aufgrund der vorliegenden Ermessensunterschreitung ist der angefochtene Haftungsbescheid nach Ansicht des BFH aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Praxishinweis

Der BFH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass die einzelnen Haftungstatbestände gleichrangig nebeneinander stehen. Daher übt die Finanzbehörde ihr Auswahlermessen bezüglich des Haftungsschuldners fehlerhaft aus, wenn sie ohne nähere Begründung nur den Arbeitgeber für die Lohnsteuer in Haftung nimmt, obwohl nach den gegebenen Umständen eine Haftung des Geschäftsführers in Betracht kommt.

BFH, Urt. v. 02.09.2021 - VI R 47/18

Quelle: Axel Scholz, RA und StB, FA für Steuerrecht

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